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Volltext: Alte und Moderne Kunst II (1957 / Heft 6)

die Wandbilder der vier Stockwerke als Variationen über ein 
Grundthema deuten, dem jeweils ein neuer Sinn unterschoben 
wird, wodurch dann auch die einander entsprechenden Kompo- 
sitionselemente abgewandelt erscheinen. Stets flankieren zwei 
polar aufeinander bezogene Gebilde ein ruhigeres Mitlelmotiv, 
das jene - indem es ihre antithetische Spannung im Gleichge- 
wicht hält - sowohl trennt, als auch verbindet. Im Erdgeschoß 
wird dieses Verhältnis zunächst nur „an sich" vorgeführt: eine 
differenzierte und aggressive Form links steht einer defensiv, 
versammelten rechts gegenüber; zwischen beiden entwickelt 
sich ein gleichsam architektonisches Motiv, dessen ruhigerer Auf- 
bau im Kraftfeld solcher Gegens" zlichkeit einen Moment eben 
erreichter und schon wieder gefährdeter Harmonie repräsentiert. 
Im ersten Stock wird dann die gleiche Spannung vermensch- 
licht und in geistige Bereiche transponiert. Vor einer Tempel- 
front, deren mächtiger Säulenschritt die Szene abschließt, ge- 
bietet eine hoheitsvolle Figur einer anderen, willenlos fluten- 
den; dieser ist ein verströmender, jener ein tektonisch streng 
gegliederter Lebensraum zugewiesen; die Gitterform rechts ver- 
harrt indifferent in unfruchtbarem rationalem Ebenmaß: dem 
Gefühlsbcreich auferlegt, doch seiner Bewältigung unfähig. Der 
zweite Stock bringt eine neue Variante, in der dem Mittelmmiv 
eine besondere, auch dreidimensional zu erlcbendc Expansions- 
kraft eignet. Man ahnt hier pflanzliche Entwicklungen, wobei 
das linke Gebilde in keimhafter Ruhe reift, während das rechte 
kraftstrotzend ausbricht. Im obcrstcn Stockwerk schließlich wic- 
dcr ein „Kampf"; der Angriff erfolgt diesmal von rechts, von wo 
eine „'l'iiter"-Figt.ir (Jäger oder Raubtier) zum kraftvoll ruhen- 
den Bukranion und zum doppelhiilsig witternden Kleintier hin- 
überzichlt; in der Mitte aber die friedenstiftende Erscheinung, 
 
die Sprung (oder Schuß) mit beschwörender Geste bannt und so 
die ewige Spannung für einen Augenblick in Schwebe hält. 
Wenn wir hier eine verhältnismäßig präzise Schilderung dessen 
gaben, was sich zwischen den Einzelformen der vier Komposi- 
tionen zu ereignen scheint, so taten wir das im Bewußtsein der 
grundsätzlichen Subjektivität, die jeder Interpretation eines m0- 
dernen Kunstwerkes eigen ist. Daß es in anderen Betrachtern 
andere Assoziationen wachrufen mag, gehört ja wesentlich zu 
seinem oben besprochenen „allgemeinen" Charakter, zu jener 
thematischen Unschärfe, dank welcher es imstande ist, auf sehr 
verschiedene Individuen einzuwirken. Eine willige und nicht 
a priori ablehnende Annäherung vorausgesetzt, wird es in jedem 
Betrachter höchst persön iche Vorstellungen erwecken und ge- 
rade dadurch ein sehr innerliches Kunsterlebnis (das freilich 
nicht mit einem „sentimentalen" verwechselt werden darf) mög- 
lich machen. 
Hier ist ein Punkt erreicht, an dem endlich eine Frage vorge- 
bracht werden muß, die sich beim Leser vielleicht schon seit lan- 
gem meldet: ob nämlich eine so „erwachsene" Kunst in einer 
Schule ganz an ihrem Platze ist. Wir glauben, hier mit ja und 
nein zugleich antworten zu müssen: so gewiß die Kinder an 
Hexen und Prinzessinnen mehr Vergnügen hätten, für oder ge- 
gen welche sie Partei ergreifen und denen allesamt sie Schnurr- 
bärte malen könnten, so gewiß ist es auch, daß sie beim Anblick 
dieser Konfigurationen keinen Schaden nehmen werden. Die 
optisch minder sensitiven werden zum mindesten an weit vor- 
nehmere Parbakkorde gewöhnt, als ihnen in Kindcrzeitungen 
oder an Plakatwänden je ins Blickfeld kamen, die optisch be- 
gabteren aber werden aus dem Deuten dieser Bilderrätsel mehr 
lernen als in vielen Zeichenstunden. 
ALTES 
HEILIGTUM IN NEUEM GLANZ 
BASILIKA VON MARIAZELL 
ZUR 800- JAHRFEIER RENOVIERT 
Von FELIX GAMILLSCHEG 
800 Jahre Mariazell. Acht Jahrhunderte Wallfahrten zu der Ma- 
donna aus Lindenhnlz, die der legendäre Mönch Magnus zu den 
Holzfällern der stcirisehen Alpen brachte. Seit am 1. Mai dieses 
Jahres Kardinal Wendel aus München kam, um die Feierlich- 
keiten zu eröffnen, ist die Reihe der Veranstaltungen, der Strom 
der Pilger nicht mehr abgerissen. Sonntag für Sonntag, Feiertag 
für Feiertag, aber auch unter der Woche kommen sie, hunderte, 
tausende, zehntausende, die meisten aus Österreich, aber auch 
aus Deutschland, aus Italien, aus Frankreich, vor allem aber die 
Flüchtlinge aus Llngarn, Böhmen, der Karpato-Ukraine, einzeln 
oder in Gruppen, zur Magna Maler Austriae, die zugleich auch 
die Schutzpatronin der Ungarn und der slawischen Völker ist. 
Wer die Basilika von früher her in Erinnerung hat, wird sie kaum 
wiedererkennen. Schwere Bausehäden mußten beseitigt wer- 
den - und man folgte mit der Gesamtrestaurierung einer 
alten Tradition, denn schon in den vergangenen jahrhun- 
derten war die Basilika anläßlieh großer Festjahre durchgreilend 
renoviert worden. 
Der heutige, drcitürmige Bau wurde von Domenieo Seiassia er- 
richtet, einem Meister aus Graubünden, der von 1644 bis 1673 
an ihm baute. Von seinen Vorgängern ist noch das romanische 
Portal der ersten Kirche erhalten, die Heinrich von Mähren um 
1200 an der Stelle der Marienzelle des Mönehes errichtete, wäh- 
rend das gotische Langhaus mit der Vorhalle und dem Westpor- 
utl Reste der dreischilfigen Hallcnkirehe sind, die König Ludwig 
von Ungarn gegen Ende des 14. Jahrhunderts als Dank für seinen 
Sieg gegen die Türken hauen ließ. 
Der Gnadenaltar mit seiner reichen barocken Verzierung schließt 
das gotische Langschifl ab. Die acht schlanken Pfeiler. die das 
Rippengewölbe tragen, sind beim barocken Ausbau ummantelt, 
die Gewölhelelder zwischen den Rippen mit Stukkatur ausge- 
stattet worden. Im Raum hinter der Orgelempore wurden im 
Zug der Restaurierung die gotischen, bunt bemalten Rippen frei- 
gelegt, so daß sich hier auch der Laie ein Bild der gotischen 
Architektur machen kann. Vor allem aber erinnert das West- 
portal mit seinen Tympanonreliefs an den Bau Ludwigs von Un- 
garn. Damals dürfte der gotische Mittelturm wohl einen durch- 
brochencn, steinernen Helm getragen haben, wie ihn die Kirche 
Maria am Gestade in Wien heute noch besitzt. Aber als 1827 
die Kirche niederbrannte, wurde er schwer beschädigt und nur 
unzulänglich erneuert. 
Als 1704 der Baroekbnu geweiht wurde. da war nicht nur das 
Langhaus durch den Anbau der Seitenkapcllen vergrößert wor- 
den. Sciassia halte die Kirche fast um das Doppelte verlängert, 
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