N UNBEKANNTES THEMA DER MARIANISCHEN IKONOGRAPHIE
das hier zum erstenmal veröffentlichte Gemälde der Kunstabteilung
Dorotheums zur Versteigerung für die Frühjahrsmcsseauktion
l übergeben wurde, schuf die Deutung der seltsamen Darstellung
he Schwierigkeiten. Der wohl aus den westlichen Alpenländern
imende spätgotisehe Künstler zcigt den Überfall von Soldaten auf
Gruppe von Männern, die einen Sarg tragen, während einer von
n mit Palme und Buch voranschreitet. Unter der Bahre aber liegt
von Schmerz und Schrecken gezeichneter Scherge, der die Arm-
tpfe von sich streckt, da seine im Gelenk abgerissenen Hiinde am
'tuche haften.
1 diese: Komposition weder in der deutschen noch in der niederlän-
18'] Malerei der Gotik vorkommt, ist es wohl der Mühe wert, ihre
tung aufzuzeigen.
Anführer des Konduktes ist durch die in den Saum seines Mantels
estickten Anfangsworte des johanncsevangcliums als der Lieblings-
er des Herrn identifizierbar. Damit ist aber auch schon der Aus-
gspunkt für die Erklärung des rätselhaften Bildinhaltes gegeben,
n man jenes Kompendium der christlichen Mythologie zu Rate
t, welches in der „Lcgenda aurea" des jacobus de Voraginc, die
s aller szenischen Darstellungen der christlichen Bildkunst der
k bildete.
dem umfangreichen Bericht „Von Mariac Himmelfahrt", den der
hrte Erzbischof von Genua im 13. jahrhundert aufzeichnete, seien
die zum Verständnis dieses Bildes wesentlichen Teile zitiert. (Die
vnda aurea des jacobus de Voragine, aus dem Lateinischen über-
von Richard Benz, Verlag Lambert Schneider, Heidelberg, pag.
'f.)
lcher Weise die Himmelfahrt det' seligen Jungfrau Maria ist ge-
hen, das lesen wir in einem apokryphen Buche, das Sanct Johan-
der Evangelist soll geschrieben haben.
s Tages nun, da ihr Herz gar sehr in Sehnsucht nach dem Sohne
entzündet, ward ihr Geist bewegt, daß ihre Tränen reichlich flos-
und wollte die Zeit, da der Trost des Sohnes von ihr war genom-
, nicht mehr mit ruhigem Mute ertragen. Siehe da erschien ihr ein
:l in großem Glanz, der grüßte die Mutter seines Herrn mit gro-
Ehrfurcht und sprach: „Sei gegrüßt Maria du Gebenedeite, emp-
e dcn Segen des, der jacob seinen Segen gab; siehe ich bringe Dir
n Palmzweig aus dem Paradies, den sollst du vor deiner Bahre
eit tragen; denn in dreien Tagen wirst du von dem Leibe genom-
tverden, und mit großen Ehren von Deinem Sohn empfangen."
nttvortetc Maria und sprach: „Habe ich Gnade gefunden vor deinen
in, so beschwöre ich dich: tu mir deinen Namen kund; und bitte
; daß meine lieben Söhne und Brüder, die Apostel, allesamt mögen
niclt sein, auf daß ich sie noch sehe mit leiblichen Augen, ehe denn
sterbe und sie mich zu Grabe mögen leiten; denn sie sollen bei mir
wenn ich meine Seele Gott wiedergebe . . ."
vortctc der Engel und sprach: „Fraue, was begehrst du meines Na-
s? Der ist groß und wunderbar. Aber siehe, es werden heute zu dir
mmelt werden die Apostel, die sollen dir ein edel Begräbnis bereiten,
sollen bei dir sein, wenn du deinen Geist aufgibst." ...Als der
:l das gesprochen hatte, stieg er wieder auf gen Himmel in großem
iz; die Palme aber leuchtete in großer Klarheit, sie war grün als
unger Zweig, und ihre Blätter funkelten als der Morgenstern . . .
tun die heilige jungfrau die Apostel alle versammelt sah, da lobte
lott und setzte sich mitten unter sie bei brennenden Lichtern und
penl Nachts um die dritte Stunde kam Jesus mit dem himmli-
1 Heer der Engel und Patriarehen, der Märtyrer und Bckenner
Jungfrauen; die stunden alle um das Bett Mariens und hubcn an
süß zu singen . ..
schied Mariens Seele aus dem Leib, ohn alle leibliche Pein oder
en, gleich wie sie ohne Makel war gewesen in ihrem Leben; und
in die Arme ihres Sohnes. Da sprach der Herr zu den Zwölfboten:
sollt meiner Mutter Leichnam tragen in das Tal josaphat, darin
't ihr ein neu Grab, darein sollet ihr sie begraben und sollet mein
en, bis ich wieder zu euch komme in dreien Tagen" . ..
lach nahmen die Apostel den Leib mit großer Ehrfurcht und leg-
ihn auf eine Bahre. Und johannes sprach zu Pctro: „Du Petre,
t den Palmzweig vor der Bahre tragen, denn der llerr hat dich uns
ngetragen und zum Hirten seiner Schafe geordnet und zu einem
ten". Antwortete Sanct Peter: „Mich dünket billiger, daß du die
ie tragcst, denn du bist jungfräulich von Gott auserwählt, und es
Seesehwäbischer Maler um 1500:
81.4 X 69.5 cm.
Grabtragung Mariens, Ol, Holz
ist ziemlich, daß eine jungfrau die Palme der Jungfrau trage. Auch
hast du an der Brust des Herrn geruht und daselbst mehr denn die
andern alle von den Flüssen der Weisheit und Gnade getrunken. Darum
so ist es billig, daß du der Jungfrau die meiste Ehre erweisest, der du
von dem Herrn die meiste Gnade hast empfangen. Also trage du die
Palme des Lichts zu dem heiligen Begängnis, der du mit dem Becher
des Lichts von dem Quell der ewigen Wahrheit hast getrunken. So will
ich die Bahre tragen mit dem heiligen Leibe; so werden die anderen
Brüder mit Lobgesang neben der Bahre gehen". . .
Da waren noch die Engel da, die sangen mit den Aposteln und erfül-
leten alles Erdreich mit ihrem süßen Getöne. Da hörten die Menschen
die süßen Melodien und kamen eilends aus der Stadt und forschten mit
Fleiß, was das wäre. Sprach einer: „Das sind die jünger jesu, die tra-
gen Marien tot zu Grabe und singen um sie die Gesänge, die ihr höret."
Alsbald liefen die Juden zu den Waffen und sprachen untereinander:
„Komme! und laßt uns die jünger alle töten und den Leib mit Feuer
verbrennen, der den Betrüger hat getragen." Und da der Hohcpriester
das Wunder sah, erschrak er und sprach in großem Zorn: „Das ist der
Tempel des, der uns und unser Volk verstöret hat, wie wird ihm jetzt
noch also große Ehre!" Mit den Worten legte er seine Hand an die
Bahre und wollte sie umtverfen und zu der Erden ziehen. Da dorreten
seine Hände beide und blieben an der Bahre hängen, also daß er nicht
von der Bahre mochte kommen, und schrie in großen Schm
jämmerlich, das andere Volk aber ward von den Engeln, die in den
Wolken waren, mit Blindheit geschlagen.
Die ebenfalls in der Legenda aurea verzeichnete Überlieferung vom
Tode Mariens nach Sanct Cosmas mit dem Beinamen Vestitor berich-
"zen gar
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