WIENER PORZELLAN MIT DEM BINDENSCHILD
Von WILHELM MRAZEK
Im Jahre 17-14 war die von Kaiser Karl VI. privilegierte Schutz-
frist für die ,,Porcellain-Fabrique in der Rollau" abgelaufen. Der
stark verschuldete Inhaber Claudius Innoccntius Du Paquier
hatte trotz aller Bemühungen keine privaten Geldgeber mehr fin-
den können, die bereit gewesen wären, sein Unternehmen weiter
zu finanzieren. So sah er sich gezwungen, dem Staate die Ma-
nufaktur zum Kaufe anzubieten. Am 10. Mai des Jahres 17-14
wurde der Kaufvertrag auf Grund einer kaiserlichen Ent-
schließung zwischen Du Paquier und der HOflMIUCOÖCPUKAIiOH,
dem damaligen Finanzministerium, abgeschlossen. Datnit war
der Weiterbestand der Manufaktur gesichert. Welches auch die
Motive der Kaiserin Maria 'l'heresi:.i gewesen sein mögen, -
war es die herrschende Auffassung, datS für eine fürstliche Hof-
haltung eine Porzellanfabrik ein „notwendiges Attribut des Glan-
zes und der Würde" sei oder war es vielmehr ihr ausgeprägter
Sinn für das „so edle tils zärtliche Feld des feines Porzellans",
- mit ihrer Entschließung hatte sie für Wien ein Unternehmen
gerettet und erhalten, das mit seinen Erzeugnissen den glanz-
vollsten Beitrag des Wiener Kunsthandtvcrltes erbracht hatte.
Obwohl im Vertrag vorgesehen war, dati der „erste Erfinder
der allhicsigen Poreellain-Nlanuhictui", Du läiquier, die Ober-
aufsicht beibehalten sollte, wurde bald dem Rechnungsobcroffi-
zial Karl Franz Xavcr Maverhofer von Grünbühel die Stellung
eines Porzellanfabriks-Administinitors und die gesamte (ieschäfts-
führting zugewiesen. Lfm den neuen Eigentümer zu kennzeich-
nen, wurde das österreichische Landeswappen, der Bindenschild,
als llabriksmarke eingeführt. Jedem Porzellan wurde er ab 17-15
aufgeprägt und ab 17-19 mit blauer Farbe unter der Glasur
aufgcmalt.
Die vorhandenen Bestände, veraltete Ware, die nicht mehr dem
nettesten „Gout" entsprach, wurde abgestoßen. Durch eine
Lotterie, die 6000 Lose umfaßte, wurde somit der Schltillstrich
unter eine Epoche der Wiener Porzellanerzeugung gesetzt, deren
Formen und Dekore von den miinnlich-pathctischen Stilmerk-
malen der Barockzeit gciuriigt waren.
Was aber jetzt, in der Ära der Kaiserin Maria Theresia, das Ge-
fallen der Käufer fand und was bei den Erzeugnissen der Meis-
scner Manufaktur seit einigen Jahren d. Entzücken der Kenner
und Liebhaber erregte, waren jene Einflüsse und Stiltendcnzen.
die man allgemein als die des „R0koko" zusammenzufassen
pflegt.
Die ' 'r neuesten Geschmacksrichtung mulitc die Manufaktur der
Kaiserin Rechnung tragen. Der Vorsprung der Meisscner Pro-
duktion mußic ohne Stiumen eingeholt werden. Kupferstichc,
die den Bossicrcrn und Nlztlern als Vorbilder dienen konnten,
wurden beschafft und eine Reihe Meissener Arbeiter zum I)e-
scrtieren bewogen. Die Stelle eines Modellmeisters wurde mit
einem akademisch gebildeten Modelleur besetzt. Johann Joseph
Nicdermayr erhielt sie im Jahre 17-17. Er war 1734 als Schüler
in die Akademie der bildenden Künste eingetreten. Von 1738 bis
17-13 war er lnstruktor und 1741 auch „Führer" bei der „Frey-
Compagnie der k. freyen Hof-Aktidemie der Mahlcrey, Bild-
haucrei und läatikunst". Bis 1784 gehörte er der Manufaktur an.
In diesen Jahren hat er die Produktion der Wiener Manufaktur
entscheidend beeinflullt.
Energiseh ging er zu Werke. Der neue, von Meissen geprägte
Porzclltinstil wurde bei den Gefäßen, Geräten und in den plasti-
schen Erzeugnissen nahezu kopiert. Der „Schnörkel", der C-
Bogen, der sich mit einem Muschelrand verband und akanthus-
blattartig aulflammte, wurde zum vorherrschenden Dekorations-
motiv. Das bildsame Material des Modelleurs ließ sich mühelos
Kiuzilix. Die elegante und fcingliedrige Ausarhcitting ver-
rtit intensives Antitomiestiitlitim. Die sparsame Bemalung
in den zarten untl intensiven Tönen der Rokokozeit ver-
.s ' kt die plastischen Ausdrucksvaerte. Ohne Marke.
täsirrreichisehrs Museum für angewandte Kunst.
zu den phantastischen Gebilden des „style rocaille" gestalten.
Die zum Schmuck der Tafel bestimmten Aufsätze für Zucker,
Obst, Gewürze und Konfekt wurden jetzt im wesentlichen aus
Rocaillen gebildet. Dort aber, WO diese sich nicht plastisch an-
bringen liellen, bedeckte der Maler die Ränder der Gt ille,
Schüsseln und Teller mit goldenen Rocaillebordüren und den
liond mit figuralcn Szenen in Rocaillekartuschcn. Um 1760
tauchte selbst an den Sockeln der Statuetten die aus Schnfärkel
gebildete „Spitzenbordüre" auf, ein typisches Kennzeichen der
Wiener Porzellane.
Die plastische Produktion wir in den ersten Jahren zunlichst
nochgiinztiufdieaus der liartickzeit stammenden mythologischen
Themen eingestellt. Aber die Meissencr Arbeiter brachten auch
hier einen Wlandel. lis entstanden zahlreiche Gruppen, die mit
ihren bewegten Gestalten und den k'irikierend-satvrisehcit Aus-
drucksiverten eindeutig auf die Älodellc des grollen Messener
Modelleurs Kiindler zurückgingcn. Neben diesem tigen
und belebenden Einfluß kam llhtl" auch jene sanfte, heitere, mit-
unter kecke Auffassung zur Geltung, die in dsn Werken der
französischen Künstler, vor allem Watteaus, lebte. Gärtnt-rvolk.
Jäger, Jägerin und immer wieder Kinder, dann auch das bunte
Völkchen der italienischen Komödie, waren auch in Wien Licb-
lingsthemen der Porzellanmodelleuere.
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