Das Gebiet des heutigen Waldviertels bildete in jener fernen Zeit,
in die uns die Gründung Rappottensteins zurüekführt, cincn Teil
des großen Grenzwaldes, der, vom Fichtelgebirge bis zur Do-
nau reichend, böhmisches Land vom deutschen Siedlungsgcbiet
trennte. Es war der Nordwald, -- „silva Nortica" -- wie das
Waldviertcl in Urkunden bezeichnet wird.
In diese waldige Urlandschaft stießen um die Mitte des 11. jahr-
hunderts rodende Siedler als Pioniere der Kolonisation vor. Sie
kamen im Auftrag der Babenherger Markgrafen aus den weiter
östlich gelegenen und bereits dicht bevölkerten Gebieten „Un-
ter dem Manhartsberg" und standen unter der Leitung adcliger
und geistlicher Grundherrcn.
Dieser Siedlungsvorgang brachte cs mit sich, daß hier innerhalb
des anwachsenden Hoheitsgebicts des Markgrafen eigene Herr-
schaftsbcreiche von Rodungsherren hochfreier („reichsunmittel-
barer") Abkunft entstanden, die in diesem Grenzgebiet, im
Walde gegen Böhmen zu, eine eigentümliche Sonderstellung nach
Art von „Wild- und Waldgrafschaften" innehalten.
Eines dieser tatkräftigen und mächtigen Geschlechter waren die
Kuenringer. Azzo, der erste Kuenringer, von dem die Urkunden
zu berichten wissen, erhielt im jahre 1056 auf Bitten des Mark-
grafen Ernst von Österreich und des Markgrafen Wilhelm von
Mcissen drei Hufen Landes im Dorfe Hecimanneswisa als kö-
nigliche Schenkung zu freiem Eigen. Es ist der heutige Ort
Kiihnring bei Eggenburg und der Stammsitz dieses bedeutenden
Ministcrialcngeschlcchtcs. Die Forschung hat festgestellt, daß
die Kuenringer bayrischen Stammes und hochfreier Herkunft
waren. Auf dem Wege über Sachscn dürften sie wahrscheinlich
mit den Ungarnzügen König Heinrich III. nach Österreich ge-
kommen sein, wo sie „vom König reiche Schenkungen an Land
und Herrschaftsrechten erhielten". So erklärt sich die Erwäh-
nung des Markgrafen Wilhelm von Meissen in der genannten
Schenkungs-Urkundc und der Umstand, daß die Kucnringer das
Balkenwappen führten, das das Zwettler Stiftungsbuch als „von
Sachsen" bezeichnet und das später zum Wappen der Wettiner,
der Herzöge von Sachsen wurde.
Die Kuenringer „übernahmen dann bei den Markgrafen von
Österreich einen ritterlichen Dienst, ein Ministerium. Sie wurden
unbeschadet ihres Besitzes an freieigenem Gut und Hohcitsv
rechten Ministerialen des Markgrafen". (Lechner). Gars am
Kamp, Eggcnburg, Allentsteig und das Gebiet um Zwettl, der
districtus Zwettlensis, waren ncben anderem den Kuenringern
„zur Erschließung und zur Sicherung" übergeben worden.
Hier hat Hadmar I. (gest. um 1138), ein Großneffe jenes Azzo,
sich selbst und seinem Geschlecht mit der Gründung des Klo-
sters Zwettl ein unverganglichcs Denkmal gesetzt. Nachdem
seine Vorgänger das einstige Waldgebiet urbargemacht und mit
Höfen und Dörfern besiedelt hatten, übergab er das „Gut" den
Zisterziensern, die er aus Heiligenkreuz berief, um seinem Macht-
bereich auch ein kulturelles Zentrum zu geben. Es ist bezeich-
nend für Rang und Stellung des Kucnringers, daß ihn die Grün-
dung von Heiligenkreuz (1136) durch Leopold III. von Baben-
bcrg nicht ruhen ließ, es auf seiner Grundhcrrschaft dem Mark-
grafen gleichzutun und dort seiner Familie ein Hauskloster zu
errichten. Man wird nicht fchlgehcn, aus der Eile, die er dabei
an den Tag legte, neben allen kolonisatorischen Überlegungen
auch eine gewisse Rivalität als Motiv herauszulesen: Der Silve-
stcrtag 1137 ist der Gründungstag von Zwettl.
Der Schwerpunkt ihrer Macht aber lag im westlichen Wald-
vicrtel, wo die Kuenringer zweifellos als die bedeutsamsten
Burg Rappottenslcin.Derturmbohc Baublock mit unregelmäßig lünfccki-
gem Grundriß ist der Bcrchfrit der Kuenringerburg des 12. jahrhun-
derts. Dahinter wird der schlankere, auf der höchsten Stelle des Burg-
felsens erbaute Wnehtturm sichtbar. Links der aus dem 16. jahrhun-
dert stammende Uhrturm und die Mauer des „Turnicx-hofes", der wohl
einst der Platz des Hochgerichles war, du sich im Felsen darunter die
Verlies: befinden. Im Vordergrund das lurmbewehrte erste Tor.
16