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Volltext: Alte und Moderne Kunst III (1958 / Heft 6)

Wiener Bürgerhäuser im 18. Jahrhundert 
Von RENATE 
Im heutigen Wiener Stadtbild spielt das Rokoko so gut wie keine 
Rolle. Dies ist jedoch nicht erst eine Folge des Nicdcrrcißzns 
alter Paläste und Wohnhäuser; es gehört vielmehr zu den charak- 
teristischen Erscheinungen der Wiener Architektur des 18. Jahr- 
hunderts, daß um etwa 1730 auf die einmaligen Leistungen der 
vorhergehenden hachbarocken Phase eine Gegenbewegung cin- 
setzte, die ein stark klassizierendes Gepräge aufweist. Auf ihr 
fußt dann die weitere Architektur des ausgehenden 18. Jahr- 
hunderts "bis zum eigentlichen Klassizismus. Die freudige Bewegt- 
heit des bayrischen Rokoko bestimmte wohl noch die obcröster- 
reichische Bautätigkeit, drang jedoch über die Enns nach Osten 
kaum mehr vor. In der kaiserlichen Metropole, wo seit dem 
Spätwerk Fischers von Erlach eine Auseinandersetzung mit dem 
Palladianischcn Klassizismus erfolgte, machte sich dagegen ein 
starker westcuropäischer Einfluß geltend. So wie im Westen 
wirkt sich auch in Wien das Rokoko - soweit überhaupt - 
hauptsächlich in der Innenraumgestaltung, vor allem der kaiser- 
lichen Bauten, aus. Hauptrepräsentant ist der Hofarchitekt Nico- 
laus Paccassi; verstärkt wird der westliche Einfluß durch die 
mit Franz Stephan aus Lothringen kommenden Künstler, vor 
allem J. N. Jadot, den Erbauer der alten Aula der Wiener Univer- 
sität. Auch die österreichischen Künstler pilgern nun nicht mehr 
wie vordem nach Italien; wie schon für den jüngeren Fischer 
v. Erlach, so ist etwa auch für Franz Anton Hillebrandt, der in 
Wien und Preßburg baute, Westeuropa maßgeblich. Auch für 
die Maler wird ja nach der Mitte des 18. Jahrhunderts Rembrandt 
der große Anreger. Die in Wien im zweiten und dritten Viertel 
der 18. Jahrhunderts herrschende kühle und klassizierende Stil- 
tendenz vermehrt die Aufnahmebereitschaft für westliche Ein- 
flüsse. Diese Phase wird um die Mitte des Jahrhunderts durch 
das kurze Zwischenspiel eines „Nachbarock", eines feinen Nach- 
halles der großen Leistungen vom Beginn des Jahrhunderts, 
aufgelockert. Es ist eine typische Spätzeit, die das Zarte und 
Kleinteilige liebt und betont elegant, aber auch manieristisch 
labil ist. Man vergleiche dazu etwa die Providentia von Donners 
Mehlmarkt-Brunnen (1737) mit den Trauerndcn vom großen 
Sarkophag Maria Theresias und Franz Stephans in der Kapuzi- 
nergruft (1753 von B. F. Moll). Auch in der Architektur treten 
die monumentalen Aufgaben zurück. Künstlerisch bedeutende 
Lösungen, wie etwa die Gardekirche auf dem Rennwcg (1755 bis 
1763 von Paccassi) oder der Portalvorbau der Peterskirche (1751 
bis 1753 von Andrea Altomonte) haben bescheidene Ausmaße. 
Bezeichnenderweise ist der repräsentativste Profanbau dieser Zeit 
nicht ein Neubau, sondern der Umbau von Schloß Schönbrunn. 
Das seit 1696 von Fischer v. Erlach errichtete Schloß wurde 
1744-49 von Paccassi umgestaltet. Wie uns alte Abbildungen, 
vor allem die beiden Gemälde Canalettos im Kunsthistorischeu 
Museum überliefern, fügte Paccassi wo es anging zwischen die 
beiden Geschosse des Fischer-Baues ein weiteres Geschoß ein, 
wobei aus Platzmangel die Fenster des Obergeschoßes in un- 
tektonischer Weise über die Kapitellzone hinaufgerückt wurden. 
Diese für die Jahrhundertmitte kennzeichnende manicristisch la- 
bile Lösung wurde dann von dem Klassizisten Johann Aman 
1816-19 durch Hinaufrücken der Kapitelle wieder im Sinne 
der klassischen Säulenordnung verändert. Paccassi hatte durch 
Einführen der Dreigeschoßigkeit bei gleichbleibender Gesamt- 
höhe eine beträchtliche Streckung der Proportionen erreicht; 
die gleiche Tendenz wurde auch für die Änderung des Mittel- 
traktes wichtig, wo an die Stelle der großen Freitreppe der heute 
noch bestehende Arkadendurchgang von der Hof- zur Garten- 
seite trat. 
WAGNER-RIEGER 
VIL, Burggasse 19 
Die hier an exponierter Stelle vorgetragenen Stilqualitäten sind 
allgemein für die Palast- und Wohnhausarchitektur um und nach 
der Mitte des 18. Jahrhunderts typisch. Beim Wiener Bürgerhaus 
bestanden vorher nebeneinander zwei weitgehend getrennte Bau- 
typen; der eine arbeitete vornehmlich mit Pilasterinstrumerr- 
tierung in Fortführung der Tradition der Palastarchitektur, der 
andere schloß stärker an die im Rastersystem gegliederten Fas- 
saden der älteren Wohnhäuser an. Nunmehr erfolgte ein Aus- 
gleich zwischen diesen beiden Richtungen; Streckung der Pro- 
portionen, flächiges Fassadenrelief mit zarten Pilastern, häufige 
Verwendung der Nutung bei Sockeln und vertikalen Mauer- 
streifen sowie die dekorative Umdeutung tektonischer Gliede- 
rungselemente gehören jetzt zu den Grundprinzipien der Fassa- 
dengestaltung. Das plastische Ornament bedeutet nur ein spar- 
sam verwendetes schmückendes Bciwerk, das als richtiges Acces- 
soire auf die architektonische Gestaltung wenig Einfluß hat. 
Es ließe sich etwa beim Haus I., Stoß im Himmel 3, - einer 
der wenigen Fälle mit Rocaille-Ornamcnt - wegdenken, ohne 
daß dadurch die Fassadenwand in ihrer grundsätzlichen Gestal- 
tung geändert würde; sie wäre lediglich um ein Schmuckelement 
ärmer geworden. Ähnliches gilt von dem Haus I., Kurrent- 
gasse 2 -- Steindlgasse 6, bei dem sich der Schmuckreichtum 
auf Portale und Fenster der Stanislauskapelle konzentriert, 
während die übrige Fassade in kühler Schlichtheit mit im Wesen 
unbarocken Motiven gestaltet ist. 
Die Angleichung der beiden Bürgerhaustypen aneinander, die 
gleicherweise aus den Stiltendenzen der Epoche wie aus den 
sozialen Veränderungen resultiert, brachte jedoch nicht ihre rest- 
lose Verschmelzung. Für den von der Palastfassade abgeleiteten 
Typus ist etwa das kühl zurückhaltende Palais Dietrichstein 
am Minoritenplatz (1755 vnn F. A. Hillebrandt) tonangebend; 
seine stark gestreckten Fenster, der genutete Sockel und das 
sparsame Detail bestimmen seinen klassizistischen Charakter, 
während plastische spätbarockc Elemente, wie die Schrägstellung 
der Portalpfeiler oder die den Dreiecksgiebel umgebende Plastik 
als isolierte Vcrsatzstücke wirken. Auf das Wohnhaus über- 
tragen, findet man diese Qualitäten etwa am sogenannten kleinen 
Bischoftshof I., Domgasse 6, den der damalige Besitzer Matthias 
Gerl 1760f1 errichtete. Die starke Streckung, die für ein Haus 
in einer schmalen Gasse der Innenstadt vielfach schon aus außer- 
künstlcrischen Gründen gegeben war, wird hier noch durch 
Kunstgriffe, wie etwa die Riesenpilastcrordnung, welche die drei 
hohen Geschoße über dem gcbanderten Sockel zusammenfaßt, 
 
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