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Volltext: Alte und Moderne Kunst III (1958 / Heft 6)

HERBERT BOECKUS 
GROSSER 
GOBELIN 
Von CLAUS PACK 
Einer der geistig-künstlerischen Brennpunkte des österreichi- 
schen Pavillons in Brüssel ist ohne Zweifel der gewaltige „Tep- 
pich des Lebens" von Herbert Boeckl. In langer Arbeit - 
die Webarbeitcn allein nahmen ein Jahr in Anspruch - ist 
hier ein Werk entstanden, das sich in Größe und Eigenart der 
Konzeption nur mit den Seckauer Fresken Boeckls und in der 
Kraft der Durchführung nur mit den besten Beispielen zeitge- 
nössischer Gobelinkunst vergleichen läßt. Es bedeutet für Öster- 
reich etwas völlig Neues; die revolutionäre 'l'ztt, die in ihm zu- 
tage tritt, bricht mit einer sterilen Tradition und setzt einen Be- 
ginn, der Herausforderung und Verpflichtung zugleich bein- 
haltet. 
Selten ist das Wesen des Wandteppichs in der heutigen Zeit so 
klar erkannt, dem Material eine derartige Transparenz und Aus- 
druckskraft abgerungcn worden. Eine schwebende Schwerelo- 
sigkeit überzieht das Gewebe, eine durchsichtige Leichtigkeit die 
Gestaltung, die ein feimtbgcstimmtes Gleichgewicht hält. Der 
Teppich ist licht und geweitet, von größter musikalischer Zart- 
heit, einer wohlgestimmten Temperatur. Die Dynamik des alle- 
gorischen und symbolischen Geschehens der Darstellung ver- 
bindet sich mit subtilster Ausgewogenheit zur künstlerischen 
Aussage. Neue Formen treten hier an die Stelle abgebrauchter 
Formeln und steigern das Erlebnis zu einem sinnvollen Ganzen. 
Gegliedert wird der Teppich durch mächtige blaue und violette 
Lebensräder, die ihm, sich in wechselnden Höhen von links nach 
rechts bewegend, den ornamentalen Rythmus geben. Borten mit 
einem gegeneinander versetzten Stabornament säumen ihn oben 
und unten in wechselnder Stärke ein. Auf dem Grund gelb- 
grauer, zart lilagrauer. in allen Nuancen variierter Flächen ent- 
wickelt sich das Geschehen, das von weißen, in sich wieder in 
den maniierten Tönen abgewandelten Figuren, Gestalten im 
höchsten Sinn, getragen wird. Ihre Bcwegtheit gibt den Rädern 
einen deutlichen Kontrapunkt und verankert sich mit den 
{einen Beziehungslinien, die den Teppich durchkreuzen, zu einem 
Netz äußerster Gespanntbeit. Was in ihm geschieht ist Para- 
digma, Gleichnis, Weltaspekt und unmittelbare künstlerische An- 
schauung. Herbert Boeckl erläutert ihn wie folgt: 
„Den Auftakt bildet der links von oben hereinspringendc Herold. 
Halb Gcwappneter, halb Clown ist er Spielansager und Verkün- 
der und trägt ein flammendes, geflügeltes Szepter. Er tritt aus 
dem ersten Lebensrad, er ist der Bote des Schicksals - cin 
grünes Gitter hinter ihm verrät seine Herkunft. Selbst cinsl; 
Gefangener, ist er nun frei, wird zum Kommentator des Über- 
wundenen. 
Von ihm weg nach rechts bewegt sich in iähem Schritt ein ano- 
menhalter Mensch, seine Arme zur Huldigung erhoben. Sie gilt 
einer leuchtenden Frauengesmlt, die, unter einem Arkadenbogcn 
stehend, ihren Mantel auseinander schlägt, um ihre strahlende 
Nacktheit zu entblößen. Am Halse trägt sie eine riesige Spinne: 
Gleichnis des Netzes, dessen Mittelpunkt sie selbst bildet. Sie 
nimmt die Huldigung des Gnomes an, weil sie, dem biologischen 
Gesetz gehorchend und dem tricbhztit Starken und Echten ver- 
haftet, an diesem ihr Wesen erfüllt. 
Ihrer Ablehnung verfallen ist die nächste Figur, die aus der Höhe 
abstürzt wie aus dem Dach eines Zeltes. Es ist der in ein Nar- 
rengcwand gekleidete Intellektuelle, der hier im buchstäblich- 
bildlichen Sinn seinen Kopf verloren hat und ihn in seinen Hän- 
den wie auf einem Teller hält. Sein jähcr Absturz treibt ihn in 
das Lebensrad - das Schicksal. Neben ihm versinnbildlichen 
schwindende Perpentikel sein Gebundensein an den Verstand, an 
die Zeit. ' 
Vom Radc weg entschwebt, gellügelt und verstümmelt, an ein 
Detail aus dem von Her- 
bert Boeckl geschaffenen 
Gobelin. 

	        
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