KETZERISCHE APOLOGIE DER ABSTRAKTEN KUNST
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Empfindungen, seines ganzen Erlebens gestaltet. Kunst dieser Art
stößt immer über das Ästhetische hinaus ins Ethische vor. Der
Persönlichkcitsgehalt dieser Kunst bringt es mit sich, daß neben
dem Werk auch immer der Künstler selbst für uns zum Erlebnis
wird. Michelangelo, Leonardo da Vinci oder Rembrandt sind
Künstler dieser Art und ihre bedeutendsten Werke sind er-
greifende Zeugnisse menschlichen Ringens nach dem Höchsten.
Es gibt aber noch eine andere Triebfeder, die den Menschen zum
künstlerischen Schaffen drängt; das ist der Spieltrieb. Der „homo
ludens", der spielende Mensch, dem Huizinga ein bedeutendes
Buch gewidmet hat, will sich betätigen. Er will die schönen Ein-
zelerscheinungcn, die ihm die Natur bietet: die Liniengefüge und
Farbenzusammenstellungen, die Umrißformen und körperlichen
Gebilde, die ihm Tier, Pflanze, Kristall vor Augen führen, in
seiner Weise nachbilden. Er will ihr Gleichwertiges und Ver-
wandtes seiner Erfindung an die Seite stellen. Er schafft Muster
und Ornamente, die gleichsam eine zweite Natur neben die frei-
lich unerreichbar vielfältige bestehende stellen. Er stellt sich
gleichsam neben den Schöpfer als winziger Schöpfergott, der
allerdings nie mehr tun kann, als variieren und kombinieren, was
der wirkliche Schöpfer ihm vorgeschaffen hat. Diese Seite der
Kunst bleibt belangen im Ästhetischen, sie erschüttert nicht, sie
ist nur schmciehlerisches Spiel und der Künstler tritt hier neben
dem Werk ganz zurück.
Dies sind zwei Aspekte der Kunst, und es soll nicht übersehen
werden, dafi sie künstlich isoliert und nur ganz grob gefaßt sind.
Auch im erhabensten, größten Kunstwerk fehlt nicht eine spie-
lerische Komponente und auch Ornament und Muster sind nicht
immerfrei von Ausdruck und Bedeutung, ja gerade das Orna-
ment hatte in vergangenen Zeiten oft eine sehr tiefe Bedeutung.
Das Gebiet zwischen diesen von uns isolierten Grenzen ist
ja auch nicht leer, sondern voll von vielfältigen Äußerungen des
künstlerischen Schaffens, die beide lückenlos miteinander verbin-
den. Gemeinsam aber ist a'ler bildenden Kunst die „Sprache". Die
Sprache, das heißt der unübersehbare Schatz von Formwerten:
von Linienzügen, Flächenstücken, Farbsehattierungen und Farb-
kontrasten, von räumlichen Beziehungen und plastischen Werten,
von Rhythmen usw., die für den bildenden Künstler das sind, was
'l'öne, Klänge, I-larmonien und Rhythmen für den Musiker sind.
Irgendwo zwischen diesen beiden Grenzen nun muß der Ort der
abstrakten Kunst zu finden sein. Unter abstrakter Kunst werden
hier nicht so sehr die vomälixpressionismus herkommenden Rich-
tungen verstanden, wie vielmehr die sozusagen rein abstrakten;
nicht der Kandinsky ab 1910, um ein Beispiel zu nennen, sondern
der ab 1922. Diese abstrakte Kunst ist eine Richtung für sich, sie
hat ihr eigenes Wesen und damit auch allen Anspruch, für sich
gewertet zu werden und nicht nur nach ihrem Verhältnis zu
den beiden Grenzsituationen der bildenden Kunst, die eben ge-
schildert wurden. Trotzdem wird es zu ihrem Verständnis viel-
leicht beitragen, sie daraufhin anzusehen. Offenbar ist sie von der
ins Ethische verstoßenden Ausdruckskunst weiter entfernt als
von der spielerischen. Ihr Platz ist nicht in der Mitte zwischen
beiden, sondern mehr gegen diese hin verschoben; sie ist weniger
Ausdruck und mehr Spiel. Aber ist sie leer von Ausdruck und ist
sie nur Spiel? Weder das eine noch das andere. Auch die
abstrakte Kunst drückt etwas aus, freilich nicht die ethischen In-
halte der alten hohen Kunst, denn diese sind an das Individuelle
gebunden, weil nur das Individuum einer ethischen Haltung fä-
hig ist. Die Sprache der abstrakten Kunst ist keine Bildersprache
denn sie bildet ja nicht ab, was sie in der Natur vorgebildet fin-
det, sondern eine Zeichensprache. Sie verwendet Zeichen, die
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