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Volltext: Alte und Moderne Kunst III (1958 / Heft 7 und 8)

ClWJS ausdrücken, etwas bedeuten. Der lnhalt des Ausgesagtcn 
aber ist nicht das Einmalige, Individuelle, sondern das Allge- 
meine, das Elementare. Die Ruhe oder die Bewegung, das Zarte 
oder das Kraftvolle, das Weiche oder das Harte, das Runde oder 
das Zackige, das Dunkle oder das Helle, das Frcudige oder das 
Düstere, solcher Art sind die Inhalte der abstrakten Kunst. Auch 
sie nimmt, wie alles menschliche Schaffen, ihren Stoff aus der 
Natur. Der Mensch kann ja nur aus seiner Erfahrung, die ihm 
seine Sinne vermitteln, schaffen; er ist kein Schöpfer, sondern 
nur ein Nachsehöpfer. Aber es ist nicht das einzelne Ding der 
Natur, das einmalig geformte, das der abstrakte Künstler nach- 
bildet, er entnimmt der Natur nicht ihre geprägten Formen, 
sondern die Gesetze und Möglichkeiten, nach denen sie formt, 
und macht sie zu seinen eigenen, mit denen er nun eine Welt 
neuer, eigener, seiner Phantasie und seinem Erleben entsprun- 
gener Gebilde schafft. Er nimmt den Wettlauf mit der Natur an 
einem andern Punkt auf, als der nachbildcnde Künstler. Beide 
müssen sich in Stunden der Besinnung sagen, daß sie diesen 
Wettlauf nie gewinnen können, weil die Natur weit reicher ist, 
alssieAufbeide lauert eine Gefahr: auf den nachbildenden Künst- 
ler die photographische Treue, auf den abstrakten Künstler die 
seelenlose Präzision von Wissenschaft und Technik. Übersehen wir 
Franz Hrrbcrth, Abstrakte Knmpoßilion, fnrhigu Druckgraphik. 
Franz llcrlxcrllu. Ahslrnklv Kflmpüsilinn. llxrhngn- Druckgrnphnk. 
nicht, daß z. B. viele physikalische Erscheinungen eine so starke 
ästhetische Komponente haben, daß sie mit .80 manchen ab- 
strakten Kunstwerken wetteifern können. Nur an ein Beispiel sei 
erinnert: die verschlungenen Kurven asymmetrisch aufgehängter 
Pendel, die in der modernen Gebrziuchsgraphik bereits eine 
ziemliche Rolle spielen. 
Es stellt sich nun natürlich die Frage, welche Bedeutung hat 
diese neue Kunst für den Menschen. Hat es denn einen Sinn, 
neben die Natur eine zweite Welt von Formgebilden zu stellen, 
wenn diese neue Welt nur gewisse allgemeine Erscheinungen der 
Natur variiert und kombiniert, wenn die großen religiösen und 
ethischen Erschütterungen von vornherein ausbleiben müssen 
und das Spielerische überwiegt? Nun, auch die alte Kunst kannte 
nicht nur Werke, die uns ergreifen, sondern daneben viele Gat- 
tungen, denen nichts ferner 121g, als das. Stillebcn, Bildnis, Land- 
schaft und Genremalerei verfolgten andere, weniger gewichtige 
Ziele; sie wollen erheitern, erfreuen, schmeicheln, sie wollen eine 
Note von Freude und Schönheit in das Leben bringen. Dasselbe 
müssen wir aber auch der abstrakten Kunst . in vielen ihrer 
Schöpfungen zubilligen. Sie sind eine Art Musik für das Auge, 
ihre Formen und Rhythmen erfreuen uns, sie gehen unserm 
Denken reiche Anregungen, sie sprechen unser emotionales Er- 
leben an. Und das umso mehr, als sie eben im Allgemeinen blei- 
ben, uns nicht festlegen, sondern uns Freiheit lassen. Es ist zu- 
dem ja nicht nur die sichtbare, gewohnte Natur, die sie paraphra- 
siercn, sondern in sie fließt, vom Künstler mehr oder weniger 
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