ClWJS ausdrücken, etwas bedeuten. Der lnhalt des Ausgesagtcn
aber ist nicht das Einmalige, Individuelle, sondern das Allge-
meine, das Elementare. Die Ruhe oder die Bewegung, das Zarte
oder das Kraftvolle, das Weiche oder das Harte, das Runde oder
das Zackige, das Dunkle oder das Helle, das Frcudige oder das
Düstere, solcher Art sind die Inhalte der abstrakten Kunst. Auch
sie nimmt, wie alles menschliche Schaffen, ihren Stoff aus der
Natur. Der Mensch kann ja nur aus seiner Erfahrung, die ihm
seine Sinne vermitteln, schaffen; er ist kein Schöpfer, sondern
nur ein Nachsehöpfer. Aber es ist nicht das einzelne Ding der
Natur, das einmalig geformte, das der abstrakte Künstler nach-
bildet, er entnimmt der Natur nicht ihre geprägten Formen,
sondern die Gesetze und Möglichkeiten, nach denen sie formt,
und macht sie zu seinen eigenen, mit denen er nun eine Welt
neuer, eigener, seiner Phantasie und seinem Erleben entsprun-
gener Gebilde schafft. Er nimmt den Wettlauf mit der Natur an
einem andern Punkt auf, als der nachbildcnde Künstler. Beide
müssen sich in Stunden der Besinnung sagen, daß sie diesen
Wettlauf nie gewinnen können, weil die Natur weit reicher ist,
alssieAufbeide lauert eine Gefahr: auf den nachbildenden Künst-
ler die photographische Treue, auf den abstrakten Künstler die
seelenlose Präzision von Wissenschaft und Technik. Übersehen wir
Franz Hrrbcrth, Abstrakte Knmpoßilion, fnrhigu Druckgraphik.
Franz llcrlxcrllu. Ahslrnklv Kflmpüsilinn. llxrhngn- Druckgrnphnk.
nicht, daß z. B. viele physikalische Erscheinungen eine so starke
ästhetische Komponente haben, daß sie mit .80 manchen ab-
strakten Kunstwerken wetteifern können. Nur an ein Beispiel sei
erinnert: die verschlungenen Kurven asymmetrisch aufgehängter
Pendel, die in der modernen Gebrziuchsgraphik bereits eine
ziemliche Rolle spielen.
Es stellt sich nun natürlich die Frage, welche Bedeutung hat
diese neue Kunst für den Menschen. Hat es denn einen Sinn,
neben die Natur eine zweite Welt von Formgebilden zu stellen,
wenn diese neue Welt nur gewisse allgemeine Erscheinungen der
Natur variiert und kombiniert, wenn die großen religiösen und
ethischen Erschütterungen von vornherein ausbleiben müssen
und das Spielerische überwiegt? Nun, auch die alte Kunst kannte
nicht nur Werke, die uns ergreifen, sondern daneben viele Gat-
tungen, denen nichts ferner 121g, als das. Stillebcn, Bildnis, Land-
schaft und Genremalerei verfolgten andere, weniger gewichtige
Ziele; sie wollen erheitern, erfreuen, schmeicheln, sie wollen eine
Note von Freude und Schönheit in das Leben bringen. Dasselbe
müssen wir aber auch der abstrakten Kunst . in vielen ihrer
Schöpfungen zubilligen. Sie sind eine Art Musik für das Auge,
ihre Formen und Rhythmen erfreuen uns, sie gehen unserm
Denken reiche Anregungen, sie sprechen unser emotionales Er-
leben an. Und das umso mehr, als sie eben im Allgemeinen blei-
ben, uns nicht festlegen, sondern uns Freiheit lassen. Es ist zu-
dem ja nicht nur die sichtbare, gewohnte Natur, die sie paraphra-
siercn, sondern in sie fließt, vom Künstler mehr oder weniger
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