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Volltext: Alte und Moderne Kunst III (1958 / Heft 9 und 10)

VON DER AUFGABE EINER NEUEN RELIGIÖSEN KUNST 
GEDANKEN ZU DREI AUSSTELLUNGEN CHRISTLICHER KUNST 
IN SALZBURG, MÜNCHEN UND LÖWEN. 
Von JORG LAMPE 
Svit man die xalaralc Kunst hernbrlrüclzt, um sie au} da: 
Niveau der Leute zu bringvn, in sie kein Akt de: Glau- 
bens mehr, sondern ein Alel der Propaganda. 
George: Bruqus 195a 
Der ausgezeichnete Katalog zur „Ars sacra 1958" in Löwen 
(Belgien) beginnt mit den Worten: „Die religiöse Kunst ist kein 
Problem. Sie ist eine Aufgabe." Deren Bewältigung freilich setzt 
das Wissen um die Situation voraus, aus der die Aufgabe erwach- 
sen ist. Diese Situation aber wird im allgemeinen noch gründ- 
lich mißverstanden, woran die Ausstellungen vor allem in Salz- 
burg, dann auch in München und schließlich in Löwen keinen 
Zweifel lassen. 
Man scheint nämlich die Aufgabe der neuen religiösen Kunst 
in einer gemäßigten Modernisierung des Bildausdrucks, der Bild- 
gestaltung zu erblicken und nicht sehr viel danach zu fragen, 
ob auch ein Bildgehalt, also eine durch ein wahrhaft religiöses 
Bilderlebnis ausgelöste Bildaussage vorhanden ist, die überhaupt 
erst eine Arbeit zu einer solchen der neuen religiösen Kunst 
zu machen fähig wäre. Mancher hält sogar ein solches religiöses 
Bilderlebnis nicht für nötig, wcil erstens die Weihe durch den 
Kirchenraum und zweitens die Inbrunst der Gläubigen ein Bild- 
werk erst wirklich ins Sakrale zu erheben hätten. Auch im 
Mittelalter sei gewiß so manches Bildwerk mit religiösem In- 
halt lediglich als die Bewältigung eines bildnerischen Problems 
entstanden, ohne daß hierdurch seine Eignung für den Kirchen- 
raum geringer geworden wäre. Das aber trifft doch wohl nur 
für eine sowohl im Glauben als auch in der bildnerischen Form- 
gebarung gesicherte Epoche und nicht auch für die Zeiten des 
Umbruchs zu. 
Nähern wir uns der Umbruchsfrage von der Frage nach der 
Beziehung zu den üblichen christlichen Bildinhalten. Bis zum 
Ende des Mittelalters ging es hauptsächlich um die bildliche 
Erzählung der Heils- und Heiligengeschichte. Von der Renais- 
sance ab trat eine Vcrmenschlichung dieser Erzählung ein, die 
sich im Barock ins Triumphale steigerte und dann allmählich 
einer fortschreitenden Verdünnung und Entleerung wich, die in 
einer völligen Konventionalisierung endete. Es kam trotz man- 
nigfacher Variationen und Motiventwicklungen zu einem regel- 
rechten Verschleiß der religiösen Bildinhalte. War jedenfalls in 
der christlichen Kunst des Mittelalters der Blick noch unmittel- 
bar auf Gott gerichtet, so wurde er dann mehr und mehr durch 
die „Welt" gebrochen und gefiltert, bis schließlich gar der Filter 
als das Ding an sich erschien. 
Gerade darum aber ist es utopisch, zu erwarten, daß der Mensch 
bloß von seinem „irrigen" Ausflug in die Welt in sein vorheriges 
Gottverhältnis zurückzukehren und dann die gleiche Bilderwelt, 
nur mit modernem Einschlag, hervorzubringen habe, um so aufs 
neue eine religiöse Kunst zu schaffen, die echte Werte zu ver- 
mitteln in der Lage sei. Als ob nicht der Einstieg in die Welt 
zugleich auch Einstieg in die Wirklichkeit der Schöpfung wäre 
oder doch zu ihm führe und von hier aus eine neue Wirklich- 
keit dcs religiösen Bildens, ja geradezu neue Bildinhalte eröff- 
nen müßlc und bereits eröffnet hätte. 
Es gcht also heute gar nicht mehr allein um die Bebilderting 
der Heils- und Heiligengeschichte, sondern auch zusätzlich dar- 
um, eben den Schöpfungscharakter in den Dingen und Bezügen 
der durch den Menschen immer intensiver mobilisierten Welt, 
- wenn man so will: das Sein in einem bis zur Autonomie ge- 
steigerten Dasein - offenbar zu machen. Denn gab in den 
ersten jahrhundertcn der christlichen Kunst die Überwältigung 
durch das Ereignis, daß das „Wort Fleisch geworden" war, den 
Ausschlag, so tritt jetzt die durch unsere Situation bedingte und 
dringliche Aufgabe hinzu, umgekehrt das lilcisch zum Wort zu 
formen, das Wort im Fleisch zu finden, und es als bildnerischrs 
Gleichnis herauszustellen. Wo jedenfalls diese Notwendigkeit 
nicht einbezogen oder gar nicht einmal gesehen wird, bleibt 
alle zeitgenössische religiöse Kunst, gebärde sie sich auch noch 
so primitivistisch, romanisch, gotisch, hyzantinisch oder visionär, 
modern und expressiv, steriles Epigonentum. 
Das Wort zum Fleisch zu formen, hat, wie man sich denken 
kann, mit der Realisierung irgendwelcher subjektiver „Vor- 
stellungcn" nicht viel zu tun. Denn soll die Schöpfung in den 
Dingen sichtbar werden, so kommt ihr nur ein echtes Ein- 
schauungsvermögen, ein sinnlich-Seelisch-gcistiges Teilhaftig- 
Werden-Können, ein tätiger Gehorsam dem gleichfalls tätigen 
Sein der Schöpfungswirklichkeit in der Materie gegenüber auf 
die Spur. Für diesen Gehorsam hören Stein, Holz, Metall, Glas, 
Farbe und alle anderen bildnerischen Stoffe auf, bloße Materia- 
lien zu sein, als welche sie noch die „Materialgcrcchtigkeit" aus 
der Zeit nach 1900 angesprochen hatte. Sie werden ihm vielmehr 
eben zur lebendigen Materie als einem stofflich verschlüsselten, 
der Entdeckung und Verwirklichung harrendcn Gestaltauftrag. 
Diesen Auftrag zu erschließen und durch die tätig zupackende, 
aber eben gehorsamc und vertrauende Auseinandersetzung mit 
der Materie zum Bilde als der Frucht solchen bildnerischen Zwie- 
gespräches mit ihr ins Gültig-Glcichnishafte zu befreien, ist das 
besondere Kriterium der neuen religiösen Kunst. Es ist ihre be- 
sondere Aufgabe, weil so allein der Einstieg in die Welt, die bloße 
Besitzergreifung von ihr zum Einstieg in die Schöpfung als 
Schöpfung und so zur Führung des menschlichen Tuns durch sie 
bereitet werden kann. 
Nur so aber wird dann auch der „Filter" wieder lichtdurchlässig 
und ein neuer echter Durchblick auf das Göttliche und Heilige 
ermöglicht, also wieder ein echtes religiöses Bilderlebnis ange- 
bahnt. Denn läßt sich schon der direkte Blick nicht mehr enttrii- 
ben, so wird doch dann der indirekte, der cben durch die Welt 
hindurch, wenn man sie erst als Schöpfung im erfahren lernt, das 
Licht nur um so bindender empfangen. Nur so aber wird dann 
auch der ganze Weg der Moderne sinnvoll und seiner eigentli- 
chen Bestimmung zugeleitet, die ja eben in der Erschließung, der 
Sichtbarmachung des Ursprünglichen und Wesentlichen, des Gei- 
stigen im Sinnlichen und Stofflichen gelegen ist. 
Vor dieser Aufgabe hält vor allem in Salzburg, dann aber auch 
in München und Löwen nur wenig wirklich stand. Auch haben 
sich ganz offenkundig in Salzburg die besten Bildner an der 
ersten Biennale der christlichen Kunst gar nicht mehr so recht 
beteiligt. 
Allein schon die ungeeigneten und völlig überfüllten Räumlich- 
keiten der Dom-Oratorien machen das verstandlieh. Sie lassen, 
um nur ein Beispiel hcrauszugreifcn, Herbert Boeckls Marien-
	        
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