Die zur Achthundertjahrfcicr im Stadtmuscum Münchens aufge-
baute Ausstellung „Münchens christliche Kunst der Gegenwart"
hat von vornherein die besseren Räumlichkeiten für sich. Sie
machen eine angemessene Darbringung des Gezeigten möglich,
wenngleich man auch hier, zumal in dem Saal mit den Einzel-
kojen mit dem, was in ihnen hängt und aufgestellt ist, hätte spar-
samer verfahren können. Immerhin gibt es ein paar einfache,
wenn auch nicht gerade überraschende Arbeiten wie den schö-
nen gestiekten, 3,2l) m im Quadrat großen „jakobsteppich" einer
Schulklasse, der in einzelnen Szenen von der Geschichte des
Klosters der armen Schulschwestcrn und ihrer Schule zu erzäh-
len weiß, ferner zwei große naive Bildschnitzereien von Hans
Schwaighofer aus Oberammergau und eine gleichfalls dem Nai-
ven nahestehende, stille „Verkündigung" in Bronze von Ingeborg
Walter, die Freude machen.
Darüber hinaus deutet sieh in einigen Arbeiten etwas von dem
Wortwerden des Fleisches, vom Gcstaltwertlen des Schöpfungs-
haften in der Materie an, wie das ein als Marmormosaik ge-
bildetes Kreuz von E,lisabeth-Lztcher-Hoffmann und besonders
eine aus dem Lindenholv. herausgcholte und doch in ihm als
ihrem Aufenthalt belasscne Gcstaltgruppe „Mariens Gang über's
Gebirge" von M. Bernardine Weber, B. M. V. bezeugen. Auch
„Eine Kerze" in Marmormosaik und als Ausschnitt aus einem
Reihenmotiv an einer für Hiroshima geschaffenen Kommunion-
bank von Karl Knappe weist in diese Richtung, ohne freilich den
Künstler ausreichend zu vertreten. Viel überzeugender nämlich
wird nicht nur Knappe sondern auch das zur Aussage-Werden
der Materie überhaupt in seiner außerhalb der hier zitierten Aus-
stcllungen für den vatikanischen Pavillon in Brüssel geschaffenen
„Taufe Christi" als Mosaik erkennbar, weil sich dort die natur-
belassencn Steine mit den sparsam hinzutretenden roten und gol-
denen Smalten zu einem wie von selbst entstandenen, einzigarti-
gen Glcichnis zusammenfügen, das das Geistig-Wesenhafte im
Thema und in der Materie zugleich durch die gehorsame Ver-
mittlung des Bildners zu gültiger Erscheinung geformt erweist.
In Löwens Ruine der gotischen St. Peterskirche hat die Idee
einer „Ars sacrzß-Ausstellung die würdigste Verwirklichung ge-
funden. Das Kirchcninnere nimmt die vorzüglich verteilten 286
Katalognummern (München 261, Salzburg 4415!!) spielend auf.
Auch wurde über die ausgesprochen christliche oder gar die sa-
krale Kunst hinaus die Moderne überhaupt mit stärkeren Zeug-
nissen herangezogen, weil man den bildnerischen Rahmen, die
bildnerische Art der Zeit vergcgcnwärtigt wissen wollte, aus der
heraus sich eine christlich-sakrale Kunst zu bilden hat. Arp,
Brancusi, Gonzales, Gargallo, Gilioli und Mastroianni, also lauter
profiliert: moderne Plastiker sind mit zum Teil sehr beachtli-
chen Arbeiten vertreten, von denen die von Arp und Gilioli so-
gar so weit in geistige Bereiche dringen, daß sie zumindest als
religiöse Kunst bezeichnet werden können.
Auch der Kruzifixus in Beton von Fritz Wotruba für die Pfarr-
kirche in Salzburg der „Arbeitsgruppe 4", den Löwen in einem
zweiten Abguß zeigt, gehört hierher. Denn geht er auch im
Grunde nur von der Figur des Menschen aus, zu deren Verti-
kale die horizontalen Arme im rechten Winkel stehen, so ist
doch eben die Figur zu einer so reinen Klarheit durchgebildet,
daß eine ins Mctaphysische reichende Gestalt entstand, die der
Eingangs-Außenwand in Parsch eine durchaus bedeutende Be-
reicherung verleiht. Die Kirchen-Plastiken in Bronze hingegen,
die der zweite Aussteller aus Österreich, Wander Bertoni, zeigt,
kommen typisch vom plastischen Formbilden als solchem her
und bemühen sich dabei, Motive wie beispielsweise Maria mit
dem Kinde eben ins Bildnerisehe zu entrücken und zu verschlüs-
seln, was aber unverkennbar die Gefahr der Kunstgewerblichkeit
heraufbeschwört.
Auch Löwen also zeigt an vielen Beispielen, daß man nicht von
der Kunst als Kunst her an die Aufgabe einer neuen religiösen
Kunst herankommt, daß also die auf den ersten Blick so einleuch-
tend erscheinende Synthese zwischen den üblichen religiösen Bild-
inhalten und einer modernen liormgcbarung nur einen Kurz-
sehluß zustandebringt. lis hilft gar nichts, abstrakte farbige Flä-
chenformen durchzuorganisieren, wie es beispielsweise der Deut-
sehe Ludwig Schaffrath tut, und sie so als kirchliche Glasfen-
sterentwürfe zu deklarieren. Der Entwurf überhaupt, ob nun für
Glasfenster oder auch für Mosaike, trifft nicht mehr ins
Schwarze, weil erst die Antwort der Materie selber auf den An-
ruf des Menschen sagen kann, wie sich ihr „Worff artikulieren
und formieren will.
Mit unserer Entwerfer-„Hcrrlichkeit" ist demnach nicht mehr
M. Bernardim- Weber B. M. V., München: „Maria Ward führt
1626 in der Kutsche nach hlünchen", Lindenholz, bemalt, 1957.
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