JAPANISCHE KLEINKUNST
Von FRANZ WEBER
Das Interesse für die Kunst und das Kunstgewcrbe des Fernen
Ostens hat in letzter Zeit außerordentlich zugenommen. Die
Zahl der Liebhaber und Sammler von japanischen Netsuke hat
sich stark vergrößert, besonders in den USA, wo durch den
Kontakt, den Angehörige der Armee mit Japan bekamen, die
Sammlerzahl sehr gestiegen ist. Auch die Japaner finden, daß
man seinerzeit, als das Land dem Westen erschlossen wurde,
viel zu rasch und unbedacht diese kleinen Kunstwerke weg-
gegeben hat. japanische Sammler kaufen daher in Europa und
den USA gute alte Stücke wieder für ihr Land zurück.
Der Zweck des Netsukes war, das Abgleiten von Geldbörsen,
Medizindöschen oder Tabaksbehältcrn aus dem Gürtel, dem
Obi, in den diese Gegenstände geschoben wurden, zu verhindern.
Die alte japanische Tracht kannte keine Taschen. Der Ursprung
und die Zeit der Ingebrauchnahme ist unsicher, ihr Ende aber
fanden die Netsukes mit dem Eindringen der europäischen Klei-
dung und deren Ausbreitung in Japan.
Ursprünglich war es wohl nur ein Holzstab, ein Ast- oder Wur-
zelholzstück, um welches die Schnur geknüpft wurde. Später
findet man langgestreckte flache figurale Formen, die in der
Mitte durchbohrt sind, um eine Schnur durchziehen und ver-
knoten zu können. Noch später kommen knopfartige Netsuke-
formen auf, bis schließlich die geformten und gegliederten
Schnitzereien entstehen, die aber so gehalten sind, daß keine
hervorstehenden Kanten oder Ecken die Kleidung beschädigen.
Neben Holz (Buchs-, Kirsch-, Kaki- und Ebenholz etc.) kommen
nun auch Hirschhorn und dann das eingeführte Elfenbein, aber
auch Hartstcine, ja sogar auch Halbedelsteine, Metall oder Lack
als Material in Verwendung. Die Motive sind der Religion des
Buddhismus, wie auch dem Taoismus und dem Shintoismus ent-
nommen. Auch die Folklore und Geschichte Japans lieferte ge-
nug Vorbilder, ebenso das gewöhnliche Leben. Ticre, Pflanzen,
sowie Gegenstände oder Symbole etc. werden ebenfalls als Net-
sukemotiv verwendet.
Oftmals findet man serienweise abgewandelte oder streng nach-
geschnitzte Darstellungen, dann aber auch wieder geistreiche
und künstlerisch hochwertige Schnitzereien. Berühmte Schnit-
zernamen scheinen auf, Meister, deren jeder eine Unzahl von
Schülern hatte und dessen Schnitzslil man unschwer an seinen
Arbeiten und denen seiner Schüler erkennen kann.
Das Sammeln von Netsukes blühte in den Siebzigerjahren des
vorigen Jahrhunderts und berühmte Kollektionen entstanden zu
jener Zeit. Insbesondere in Frankreich, Holland und England
werden große und wertvolle Netsukeschätze gehortct. Gegen
Ende des 19. Jahrhunderts lösen sich eine ganze Reihe dieser
Sammlungen durch den Tod ihrer Besitzer auf.
1905 schreibt Brockhaus, ein Bruder des bekannten Verlegers,
sein Standardwerk über Netsuke, das auch heute noch zum
Fundament jedes Netsukesammlers gehört. 1923 erscheint V. F.
Webers „Koji-Hotcn" in französischer Sprache. Es ist das um-
fassendste Werk über chinesische und japanische Folklore, Ge-
bräuche, Geschichtshelden, Fürsten, Wappen etc., das für den
Sammler eine Fundgrube an Wissen und Erkenntnis gibt.
In den letzten Jahren ist eine Reihe kleinerer Publikationen er-
schienen, die meist besondere Privat- oder Museumssammlungen
behandeln. Hiezu gehören das in japanischer Sprache abgefaßte
„Netsuke no kenkyu" von Reikichi Ucda, das kleine sehr gute
Büchlein von Okada Yuzumi vom National-Museum in Tokio,
ein Buch von Madeline R. Tollner in USA und letztlich auch
ein Werk des großen Netsuke-Kenners F. Meincrtzhagen, Art
of Netsuke Carver, London 1956.
Auch in Wien entstanden um 1890 und nach dem Ersten Welt-
krieg, zwischen 1920 und 1930, einige Netsukesammlungen klei-
neren Umfanges. Inwiewcit es heute nennenswerte Sammlungen
bei uns gibt, ist unbekannt. Leider besteht hierzulande, im Ge-
gensatz zu den USA, die mit dem Sitz in Washington einen Net-
sukesammlerklub mit etwa 100 Mitgliedern besitzen, die unter-
einander zum Teil regen Kontakt halten und über das ganze
Bundesgebiet verstreut sind, keine Bindung oder auch nur Kennt-
nis irgendwelcher Art. Auch in England gibt es keinen Klub,
doch treffen sich die Sammler fast jeden Monat einmal in den
Räumen der Auktionsfirma Glendining, wo stcts zahlreiche Net-
sukes versteigert werden, und tauschen ihre Erfahrungen aus.
Die nachfolgenden Abbildungen bringen nun alte Wiener Samm-
lungsstückc und zugleich einen kurzen Abriß der Sammlung,
der sie entstammen. Es soll damit Gelegenheit geboten werden,
wirklich gute, wenn auch nicht immer mit allen Raffinessen
gearbeitete Stücke im Bild zu sehen. Gegenwärtig werden näm-
lich die Läden Europas von einer Flut von Erinnerungsnetsukes,
meist aus Elfenbein, überschwemmt, welche bäuerliche oder reli-
giöse Motive zeigen, letztere meist in einer ganz stilwidrigen
Art. Diese Kleinkunst, die nur als Massenware und Export:-
artikcl bezeichnet werden kann, hat mit wirklichen Netsukes
nichts zu tun. Die Stücke tragen Phantasiesignaturen und die
weiche, glatte Oberfläche wird ihnen durch langes Rotieren-
lassen in mit Quarzsand gefüllten Trommeln verliehen.
Aus der bekannten großen Netsukcsammlung des Hofrates Er-
nesto Kail (1924 bei Glückselig d? Wäindörfer versteigert)
stammt das in Abb. 3 gezeigte Hirschhornnetsuke eines Sennin
Gama. Sennin Gama ist einer der acht taoistischen Unsterbli-
chen, der Sennin (Einsiedler) mit der Kröte. Als Sennin trägt
er den charakteristischen Blätterschurz. Neben einem Stock hält
hält er die auf seinem Nacken sitzende Kröte, die hier vier,
manchmal aber bloß drei Beine hat (in Anlehnung an das chi-
nesische Vorbild des Liu-Hai). Man sieht bei der etwa um 1720
entstandenen Figur, daß sie zwar originell, jedoch plump ge-
arbeitet ist. Es handelt sich um ein sogenanntes „Bauernnetsuke",
also ein Stück, das von nicht begüterten Leuten getragen wurde.
Die rückwärts angebrachten Schnurlöcher sind, wie bei allen
alten Stücken, außerordentlich groß. Hofrat Kail baute seine
Sammlung aus einem Grundstock auf, den er von seinem Vater,
einem Österreichischen Marineoffizier, der den Fernen Osten oft
besuchte, übernahm.
Aus der Sammlung des Teeimportcures C. Trau stammen die
in den Abb. 2, 6 gezeigten Stücke. Trau kaufte um 1890 die
berühmte Sammlung des Prinzen Bourbon, Grafen von Bardi.
Dieser war in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts in Japan
gewesen, dort sogar zum Ehrensamurai erhoben worden und
hatte eine große Anzahl von japanischen Kunstgegcnständcn
mitgebracht. Diese wurde von dem als europäische Autorität
geltenden Direktor des Hamburgischen Museums für Kunst
und Gewerbe, Justus Brinckmann, und seinem Assistenten, einem
Japaner namens Hara, expertisiert. Trau brachte einen Teil der
Sammlung nach Wien, ein anderer, insbesondere große Stücke.
blieb im Palazzo Vendramin und wurde dann im Verlauf des
Ersten Weltkrieges italienischer Muscumsbesitz. Im Jahre 1950
verkauften die Erben nach C. Trau einen großen Teil der über
den zweiten Krieg hinweg geretteten Bestände.
Abb. 6 zeigt aus der Bourbon-Bardisammlung (mit der alten
Sammlungsnummer versehen) eine Hannyamaskc. Hannya ist
eine Hexe, die in der japanischen Legende eine Rolle spielt.
Masken derartiger Gestalten werden - in normaler Größe -
bei den religiösen No-Tänzen getragen. Kleine Nachbildungen
sind auch unter den Netsukemotiven zu finden. Das Netsuke
wurde von 'l"akcuchi Kyuichi geschnitzt, einem Künstler, der