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Volltext: Alte und Moderne Kunst III (1958 / Heft 9 und 10)

im 19. Jahrhundert lebte und eines der ersten Mitglieder der 
kaiserlichen Kunstakademie in Tokio wurde. Abb. 2 zeigt, in 
Blutstein (Hämatit) gearbeitet, eine Schildkröte. Ein Perlmutter- 
Plättchen auf der Bauchplatte des Tieres trägt dic Signatur Ju- 
raku, eines Künstlers des 19. Jahrhunderts (wahrscheinlich ein 
Schüler Horakus). Das Material ist bemerkenswert und selten 
anzutreffen, die Schneidearbeit hervorragend, und die symboli- 
sche Verknüpfung, ein Tier, das nach japanischer und chinesi- 
scher Anschauung langes Leben versinnbildlicht, mit dem als 
Heilstein bekannten Hämatit in Verbindung zu bringen, äußerst 
reizvoll. 
Die Holländer waren die ersten, welche mit den Japanern Han- 
del trieben und neben den noch früher in Japan an Land gegan- 
genen Portugiesen die ersten Fremdländer, welche die Japaner 
zu sehen und zu studieren bekamen. Es ist daher nicht zu ver- 
wundern_ daß Holländer in allen Varianten, als Koch, Last- 
träger, Trompctenbläser, Federhutträger etc. zu den Motiven 
alter Netsukes gehören. 
Die unter der Nummer 1, 4, 5, 7 abgebildeten Stücke stammen 
aus dem Besitz Prof. Richard Tcschncrs. Er war ein großer Ver- 
ehrer und Kenner exotischer Kunst. Er hatte auch Japan bereist 
und eine Unmenge Kunstgegenstände und kunstgewerblichc Ar- 
beiten nach Wien gebracht. 
Abb. 7 bringt in bunt gelacktem Holze ohne Signatur, nach Art 
der Naraschule, einen Shintopriester, der eine große Tempel- 
schelle, auch Mokugyioglocke genannt, mittels eines großen, gro- 
ben Pinsels reinigt. Das Motiv ist äußerst oft anzutreffen und 
seine Abwandlung nur sehr geringfügig. In Abb. 4 wird ein 
Vogelmensch, ein sogenannter Tengu, gezeigt. wie er mit seiner 
langen Nase Brei in einer Schale rührt. Auch dieses Motiv ist 
in der darstellenden Kunst Japans und als Netsuke häufig anzu- 
treffen. Es ist aus Holz geschnitzt, stammt aus dem 18. Jahr- 
hundert und ist nicht bezeichnet. Abb. 1 zeigt einen in gelacktem 
Holz ausgeführten blinden Geschichtenerzähler. Wie treffend 
weiß doch der Schnitzer die zum Licht erhobenen, erloschenen 
Augen des Mannes zu zeigen und seine Haltung zu charakteri- 
sieren. Der Kopf und die kleine winzige Zunge sind beweglich. 
Abb. 5 schließlich bringt einen der sieben japanischen Glücks- 
götter, der „shichi fukujin", und zwar Fukuokuju, den Gott des 
langen Lebens. Er hat einen riesig überhöhten Kopf, welcher 
in der vorliegenden Nctsukcdarstellung durch eine Art Haube 
bedeckt ist. An seiner Seite geht ein Knabe, der eine Schriftrolle 
hält, auf welcher das Zeichen Ju-, langes Leben, zu lesen 
steht. Das Netsuke wurde sicher einem Kindc gegeben und da- 
mit de: Wunsch nach Gesundheit und langem Leben zum Aus- 
druck gebracht. Die Holzschnitzerei ist nicht signiert und stammt 
aus dem 18. Jahrhundert. 
Neben den bereits erwähnten Sammlungen sei noch auf die 
Sammlung des Erzherzogs Franz Ferdinand hingewiesen, die die- 
ser von seiner Weltreise heimbrachte und dem Völkerkundemuse- 
um schenkte. Es sind einige alte und originelle Stücke dabei, 
darunter auch von Kokusai, einem ob seiner originellen Net- 
sukearbeiten berühmten Meister. Die Sammlung Anton Exncrs 
ist zum Teil dem Österreichischen Museum für angewandte 
Kunst gewidmet worden und befindet sich dort in Katalogisie- 
rung. 
MEISTERLICHE JAPANISCHE 
GEBRAUCHSGRAPHIK 
Von JOHANN MUSCI 
IK 
Einer der häufigsten Vorwürfe, die gegen moderne Kunst er- 
hoben werden, ist der der Gleichmacherei. An allen Enden und 
Ecken der Welt werde heute ä la Picasso, ä la Max Ernst, 
ä la Mondrian und Kandinsky und jackson Pollock gemalti 
Als ob die großen alten Stile nicht auch über große Teile der 
Welt verbreitet gewesen wären! Der Siegesmarsch neuer Ent- 
deckungen, neuer Errungenschaften in der heutigen Kunst über 
beinahe die ganze Welt hängt mit dem UmSttlnd zusammen, 
daß die ökonomisch-politische, die technisch-kulturelle Verflech- 
tung der Völker ungleich entwickelter, dichter, intensiver ist 
als jemals zuvor, trotz aller Gegensätze, aller Rivalitäten der 
Staaten. 
Die Publizilät der Ereignisse, die Technik der Kommunikation 
sind ins Ungeheure gewachsen. Aber immer noch gibt es Origi- 
nalität in der Welt, die heute wie einst zum großen Teil in der 
nationalen, lokalen, individuellen Abwandlung allgemein gül- 
tiger Prinzipien besteht. Unterschiede der Tradition spielen eine 
bedeutende Rolle. Und so zum Verwechseln ähnlich sind die 
Bedingungen, unter denen der Geist waltet, auch in der Gegen- 
wart nicht, daß der kulturelle Einheitsbrei wirklich entstehen 
müßte, von dem in antimodcrnistisehen Cassandrzirufen so laut 
und häufig die Rede ist. 
Das Genie der Nationen, der Persönlichkeit, lebt noch immer 
und Möglichkeit genug zu seiner Entfaltung besteht; man darf 
vielleicht sagen: je weiter die Entwicklung fortschrcitet, desto 
mehr. Denn Separation hat selten den schöpferischen Geist be- 
fruchtet. Die Leistung ist zu allen Zeiten in weit höherem Maße 
eine Folge von Aufgeschlossenheit gewesen. DalS die Völker an 
ihren Errungenschaften wechselseitig teilnehmen wollen und daß 
sie dazu mehr Gelegenheit als in den alten Zeiten haben, (Lts ist 
ein Fortschritt. 
„Heute stehen die japanischen Graphiker vor allem dem Pro- 
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