Als die mit höchster Spannung erwartete Nachricht von der
Wahl Karls, des spanischen Königs, zum römischen Kaiser, die
eben in Frankfurt stattgefunden hatte, am königlichen Hofe ein-
traf, ließ sich der Großkanzler Mercurino Gattinara in einer
Denkschrift an seinen Herrn also vernehmen: „Sire, da Euch
Gott diese ungeheure Gnade verliehen hat, Euch über alle Kö-
nige und Fürsten der Christenheit zu erhöhen, zu einer Macht,
die bisher nur Euer Vorgänger Karl der Große besessen hat,
so seid Ihr auf dem Wege zur Weltmonarchie, zur Sammlung
der Christenheit unter einem Hirten." Was aus diesen pathe-
Lconc Lconi, Büstc Karls V.
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tischen Worten spricht, ist zunächst nichts anderes, als das
Hochgefühl, ja das Triumphgefühl des piemontesischen Staats-
mannes, des treuen ehemaligen Beraters der Tochter Maximi-
lians, Margareta, die in Burgund die Regentschaft führte und
die Jugend des jungen Kaisers behütet hatte. Kein Zweifel: der
Großkanzler steht unter dem überwältigenden Eindruck der
majestätischen Machtfülle, die sich in der Person des noch nicht
zwanzigjährigen Herrschers repräsentiert. Er erkennt darin das
Geheimnis einer göttlichen Berufung zu großer Tat im Dienste
der gesamten Christenheit.
Welcher Fürst auch kommt dieser Machtfülle gleich! Gattinara
faßt die Herrsehertitel zusammen, die den glänzenden Schild
des ritterlichen Burgunders schmücken sollen; „Römischer
König, künftiger Kaiser, immer Augustus, König von Spanien,
Sizilien, Jerusalem, der Balearen, der kanarischen und indiani-
schen Inseln, sowie des Festlands jenseits des Ozeans, Erzherzog
von Österreich, Herzog von Burgund, Brabant, Steiermark;
Kärnten, Krain, Luxemburg, Limburg, Athen und Patros, Graf
von Habsburg, Flandern, Tirol, Pfirt, Pfalzgraf von Burgund,
Hennegau, Pfirt, Rousillon, Landgraf im Elsaß, Fürst in Schwa-
ben, Herr in Asien und Afrika." Es liegt ihm gleichsam auf
der Zunge, zu sagen: Herr der Welt.
Das ist das leuchtende Morgenrot eines Tages, der unendlich
viel Mühen und Sorgen bringt, den wirbelnde Stürme durch-
brausen und dunkle Wolken umschatten, in dem Erfolg und
Niederlage dramatische Spannungen auslösen und an dessen
stillem Abend in friedlicher Lösung von Kampf und Mühsal die
Seele zur Ewigkeit strebt. Nur 39 Jahre nach der Frankfurter
Wahl erwartet der müde achtundfünfzigjährige Fürst in dem
Kloster San Yuste den letzten Ruf Gottes, dem er zeitlebens
zu dienen meinte als Schutzherr der Ordnung und des Friedens,
als Mahner zur Einigkeit, als Arm der Gerechtigkeit. In der
Hingebung in einen unerforschlichen Willen des Schöpfers und
Herrn verweht dieses bewegte Leben, zurück bleibt die Ehr-
furcht vor einem unerschütterlichen Glauben, einem großarti-
gen Charakter und einer unnachahmlichen Hoheit.
Drei Jahre vorher hatte sich in Brüssel die denkwürdige Zere-
monie abgespielt, als der Kaiser Herrschaft und Regierung der
Niederlande seinem damals 28jährigen Sohn Philipp übergab.
Mit der linken Hand auf die Schultern jenes Wilhelm von Ora-
nien gestützt, der ihm so teuer war und der der Todfeind seines
Sohnes werden sollte, mit der rechten Hand auf einen Stock
gestützt, hatte er Worte gesprochen, die in den Sinn seines
Herrscherlebens leuchteten. Es war eine Rechtfertigung vor aller
Welt, ein Bekenntnis, das keine Zeugensehaft fürchtete. Hier,
an eben dieser Stelle, sei er vor 40 Jahren von seinem Groß-
vater Maximilian für mündig erklärt worden, dann sei ihm
Spanien und schließlich das Heilige Römische Reich übertragen
werden. Die Christenheit sei zerrissen, seine Reiche von feind-
lichen Nachbarn umgeben gewesen, deren er sich bis zuletzt er-
wehren mußte. In der ganzen Zeit seiner Regierung habe er
sich bemüht, die Interessen seiner Länder zu schützen und die
Pflichten zu erfüllen, die seine Geburt ihm auferlegte. Seine
höchste Aufgabe aber sei gewesen, über das Christentum zu
wachen und es unverletzt zu erhalten unter den Angriffen der
Ungläubigen. Nach längerer Rede, nur noch mühsam sprechend,
wandte er sich beschwörend an seinen Sohn: „Ehre standhaft
die Religion. Befestige den katholischen Glauben im ganzen
Reich in seiner ganzen Reinheit, betrachte die Gesetze des Lan-
des als heilig und unverletzlich. Und wenn du es später jemals