Von einer solchen Arbeit, und zwar einem Tafelaufsatz aus Meißner
Porzellan, die ich im Jahre 1900 nach einer mir durch Professor Dr. von
Boloz-Antoniewicz zugesandten Photographie veröffentlicht habe," soll hier
die Rede sein.
Als ich vor kurzem durch eine Zeitungsnotiz erfuhr, daß die Russen
sich nicht gescheut hätten, den Inhalt des Museums des Stauropigianischen
Instituts in Lemberg nach Kiew zu verschleppen, wurde ich wieder an sie
erinnert. Denn auch sie befand sich in einer Lemberger Sammlung, und zwar
in der Pawlikowskischen Bibliothek, und der Gedanke liegt nahe, daß sie
das gleiche Schicksal habe teilen müssen.
Zufällig erhielt ich gleichzeitig einen weiteren Anstoß, mich mit dieser
Arbeit zu beschäftigen. Ein Berliner Sammler, Dr.Dosquet, hatte die gleiche
Gruppe, die allerdings nicht vollständig war und in Einzelheiten von der
Lemberger abwich, erworben. Er wandte sich an mich, um näheren Auf-
schluß darüber zu bekommen.
Mit freundlicher Hilfeleistung von Professor Hösel und der Fabriks-
leitung in Meißen, die eine neue Ausformung aus den alten Formen anfertigte
und dem Dresdner Kunstgewerbemuseum überließ, habe ich nun ver-
sucht, mir Klarheit zu verschaffen über Besteller, Entstehungszeit und
Bedeutung der Gruppe. Das Ergebnis dieser Untersuchungen, von denen
ich annehme, daß sie weitere Kreise interessieren werden, fasse ich in dieser
Stelle zusammen.
Früher, als ich die Gruppe nur aus einer Photographie kannte, hatte ich
angenommen, daß sie aus der von 1763 bis 1774 anzusetzenden Punktperiode
stamme. Die etwas wilde Rokokokartusche, der übermäßig schlank gebildete
Obelisk und die antikisierenden Verzierungen des kleinen runden Altars
waren es wohl vor allem gewesen, die mich zu einer so späten Datierung
verleitet hatten. Nun hat sich aber herausgestellt, daß die Kartusche eine
spätere Variante bedeutet und nichts mit dem Ursprungsmodell zu tun hat.
Was den Obelisken anlangt, so kommen solche Formen wohl derartig häufig
in den klassizistischen Perioden vor, daß man bei ihrer Verwendung zunächst
an sie denken möchte. Indessen lassen sie sich bei Meißner Porzellan bereits
in den vierziger und fünfziger Jahren des XVIII. Jahrhunderts verschiedent-
lich nachweisen."
Daß man aber bei ihnen schon in der Mitte der vierziger Jahre einzelne
Teile mit antikisierenden Ornamenten schmückte, wie das bei dem Altar,
und zwar mit vollem Bewußtsein geschehen ist, habe ich bis dahin nicht
geglaubt, annehmen zu dürfen.
Aus den Meißner Fabriksakten geht indessen mit völliger Sicherheit
hervor, daß das Modell zu dieser Gruppe im Jahre 1746 von keinem Gerin-
"' Berling, Das Meißner Porzellan, igoo, Fig. zoo.
"" Sponsel, Ksbinettstiicke des Meißner Porzellans, igoo, Seite 223. - Im „Inventariurn". das das in der
„Conditorey" des Ministers BHIhl beündliche Porzellan aufzühlt, gibt es eine besondere Abteilung (Kap. 26), die
nur von Aufsätzen und Pyramiden (hier soviel wie Obelisken) handelt. Es sind hier ganz große, große, kleine,
durchbrochene, mit Weintrauben uinwundene und verschiedene andere aufgezählt. (Berling, a. n. 0., Seite x87 f.)