Wolsey um die englische Allianz. In Spanien wurde gleichzeitig
die Revolte niedcrgekämpft. Die ganzen ungeheuren Probleme,
die der Kaiser zu bewältigen hatte, waren gestellt.
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Karl ist ein Zeitgenosse Macchiavellis. Er war 27 Jahre alt,
als der Verfasser des Principe starb. Was der Kaiser als großer
Brückenbauer über die Zeiten hinweg unternahm, liegt in der
Sphäre Dantes und nicht in derjenigen des dem Kaiser an Klug-
heit so überlegenen Schreibers aus dem Palazzo Vecchio. Das
Zeitalter, in welchem Karl wirken mußte, hat der Florentiner
gekannt wie kein anderer. Könige wie Franz I. von Frankreich
oder Heinrich VIII. von England gehörten schon völlig in seinen
psychologischen Bereich. Wenn Macchiavelli die politische
Technik auseinandersetzte, die von nun an bis in unsere Tage
gelten sollte, so hat er unter rastlos und kurzfristig zielstreben-
den Gruppen, deren Gewühl beständig von Tätern und Könnern
durchkreuzt wurde, völlig richtig geurteilt, und er hat recht
behalten. Im Unterschied zu dem grundgescheiten Florentiner
Realisten aber besaß Karl V. die Fähigkeit, sich immer wieder
über die Bedingungen des Zeitalters zu erheben und über das im
Augenblick Nützliche hinauszudenken. Für ihn ging es immer
um Universalität. Nur von diesem Standpunkt aus läßt sich sein
Verhalten zwischen Reformation und römischer Kirche ver-
stehen. Die Kirche war für ihn Einheitsprinzip wie das Kaiser-
tum. Sein Wille ging dahin, die Reformation innerhalb der Kir-
che zu vollziehen, daher seine Schonung Luthers, daher später
der ausschließlich seiner Initiative entspringende, rein politisch
gedachte große Versuch des „Interims", der an jeder politischen
Lenkung sich entziehenden Kräften zerschellen sollte. Karls
Hoffnung auf Rettung einer allgemeinen Christenheit durch das
große Gespräch, durch Konzilien, sollte sich ebensowenig er-
füllen wie ähnliche Bestrebungen einer säkularisierten Welt in
unseren Zeiten. Auch der Ausbruch und das Wesen der Gegen-
reformation hat sich der Einsicht dieses Fürsten, der in der
Rolle des Mediators, somit in der undankbarsten aller mensch-
lichen Rollen, lebte, immer wieder entzogen.
Er hat im Beginn seines Wirkens und wieder zuletzt in der Ent-
täuschung Augenblicke der Härte, der scharfen Entschlüsse ge-
habt. Aber ein vorherrschender Zug bei ihm ist die Geduld und
das immer wieder sich herstellende Streben nach Gleichgewicht.
Man hat dies auf einen Einfluß des Erasmus zurückführen
wollen. Viel mehr mag, so scheint es, eine ganz bestimmte in
Spanien damals vorhandene Richtung dem Kaiser konform ge-
wesen sein. Gewaltanwendung in Dingen des Glaubens und
der Gesinnung hatten die Spanier im Verlauf ihrer Kämpfe
gegen den Islam im Überfluß und in bitterster Weise angewandt.
Der Bewunderer des Raimundus Lullus, Raimund von Sabunde,
dieser Visionär, der Montaigne und Pascal beschäftigen sollte,
hatte gepredigt, die Konversion der Ungläubigen müsse durch
Überredung und nicht durch die Schärfe des Schwertes erfolgen.
Hernando von Talavara, der erste Erzbischof von Granada,
hatte schon 1501 seine sehr objektive „Reprobaciön del Alco-
rän" herausgegeben. Eine große liberale, in Spanien immer wie-
der vorhandene minoritäre Bewegung hatte den Kaiser, wie wir
aus seinen Äußerungen wissen, beeindruckt, eine Bewegung, an
deren Ende eine Persönlichkeit wie diejenige des Begründers
des internationalen Rechtes, Vittoria, steht und aus der die
ganze große spanische Literatur, Calderon wie Lope, hervor-
wächst.
Das fast explosiv ausbrechende Ereignis der Gegenreformation
dagegen geht weit über Wille und Einwirkung dicses Kaisers
oder irgendeiner historischen Person hinaus, es ist ebenso ele-
mcntar wie die Reformation, und es ist nicht allein religiösen
Ursprunges. Wenn nordisches Wesen sich im Protestantismus
kundtut, so wirken auch in der Gegenreformation gewaltige An-
triebe aus dem kulturellen Selbstbehauptungswillen des um das
Mittelmeer gelagerten, der Antike unlöslich verbundenen Men-
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schen. Antike Formensprache, sinnliche Gestaltungskraft cr-
heben sich gegen Nüchternheit und schlichte Strenge. Eine
mächtige Gefühlswelle mystischer Ekstase, wie bei der heiligen
Therese, rauscht auf; gleichzeitig herrscht römische Leiden-
schaft der absoluten Tat bei Ignatius, hiezu gesellt sich bald
fanatischer christlicher Rationalismus eines Melchior Cano im
dogmatischen Zurückgreifen auf Aristoteles und Thomas. All
dies setzt sich um in tausendfältige Gestalt und schafft einen
neuen Stil, den letzten, den Europa gekannt hat, in welchem
man sich in voller Reaktion gegen darbenden Verzicht nicht
genug tun kann an plastischem Jubel, an Schwung, an leuch-
tendem Weiß und Gold, an Licht und rauschenden Tönen, so
daß die ganze europäische Musik aus solchem Aufruhr heraus-
tönt und übergrcift bis in jenen lutherischen Barock, dem ein
Johann Sebastian Bach entstammt.
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Dies alles ereignet sich fernab von dem schwcigsamen Kaiser,
der lebenslang im Gebet um Erleuchtung und richtige Führung
flehte, aber Erleuchtung und Führung auf dem Gebiet, das ihm
zugewiesen war, dem Gebiet der Politik als dem Mittel, die
ihm anvertrauten Menschen von zerstörendem Wahn und aus
auswcglosen Gegensätzen zu retten. Wie einst im äschyläischen
Denken wurde bei diesem Habsburger die Vorstellung blind
wirkenden Schicksals nicht zugelassen, er sah den Menschen
und alles, was ihm geschieht, als von Gott gewollt; sein Welt-
bild war theonom, der menschliche Wille war für ihn souverän,
sobald er dem Willen Gottes diente. Hier lag das Wesen seiner
Frömmigkeit, die Wurzel seines Wirkens, seines Glaubens an
Ausgleich und Einheit, da doch der höchste Wille nur Einheit
und nicht Widerspruch sein konnte.
Luther hatte die Größe, Karl gerecht zu werden, obwohl es seine
hemmungslose Urgewalt gewesen ist, die das Messende und Wä-
gende des Monarchen, seine weit voraussehenden Pläne, zu-
nichte machte.
In einer seiner Tischreden hat er gesagt: „Wir haben einen
frommen Kaiser, der hat einen Keil in seinem Herzen, es hat
ihn darin gesteckt, wer da wollte, er ist still und fromm. Ich
halte, er redet in einem Jahr nicht so viel wie ich in einem
Tag". Und Mclanchthon sollte äußern: „Sein Leben ist voll der
ehrenhaften Beispiele der Enthaltsamkeit, der Beherrschung und
der Mäßigung." Bucer schrieb an Zwingli: „Der Kaiser ist von
klarem Geist und zäh in der Verfolgung seiner Pläne. Kaiserlich
sind seine Taten, Blicke und Haltung." Wie tief hat der Eng-
länder Thomas Morus Karl verehrt! Unter den Italienern aber
haben die Venezianer und hat der Kardinal Contarini immer
wieder gestaunt über sein hervorragendes Proportionsgefühl in
Augenblicken des Triumphes; denn sicher offenbart sich ein
Charakter im hohen Gelingen viel deutlicher als in der Not.
Karls Wesensart wurde sichtbar nach seinem Sieg bei Pavia, am
24-. Februar 1525, und nach der Gefangennahme seines trotz
aller Bemühung unversöhnlichen Gegners, des französischen Kö-
nigs Franz I. Als Karl die Siegesnachricht erhielt, weilte er
mit der geliebten Gattin, Isabclla von Portugal, in der Alham-
bra zu Granada, wo er wohl die einzigen vom Glück berührten
Wochen seines Lebens verbrachte. Damals hat er seinen ganzen
Einfluß eingesetzt: um einen durch seinen Sieg leicht gemachten
Angriff der Engländer gegen Frankreich, den er ursprünglich
durch seine Verhandlungen mit Kardinal Wolsey als äußerste
Möglichkeit ins Auge gefaßt hatte, nun zu verhindern. Auch
hat er geschrieben: „Danken wir Gott für diesen großen Sieg.
Das Volk möge ihn feiern wie ich im Innern der Kirche. Die
Freude soll nicht nach außen dringen, weder in Festen noch in
Musik noch in Feuerwerk, da doch der Sieg mit dem Blut von
Christen erkämpft worden ist."
Er tat alles, um zu einem raschen Friedensvertrag zu kommen.
Einzig sein hartnäckiges Verlangen nach dem seit mehr als
50 Jahren zu Frankreich gehörenden und in Sprache und Ge-