Medaillonmalerei ist dem Jahreskreislauf entnommen, ein bis-
her nur auf wenigen Gläsern bekannt gewordenes Genre. Auf
den Flaschen befinden sich die 4 Jahreszeiten Frühling, Sommer,
Herbst und Winter, auf den Gläsern die 12 Monate.
In seiner Bestandaufnahme konnte Pazaurek nur einmal einen
ähnlich großen Auftrag anführen: das Service für den Grafen
Engl von Wagrein aus dem Jahre 1794. Aber das bestand im
Jahre 1923 nur mehr aus zwei Flaschen und vier Bechern, die
sich noch dazu in verschiedenen Händen befanden. Wir haben
es daher bei unserem Service einem besonderen Glücksfall zu-
zurechnen, daß dieser Bestand bis heute ungeteilt erhalten blieb.
Die Becher haben die für Mildner-Gläser bezeichnende Normal-
größe von 10,5 cm. Ihre Einsatzmedaillons zeigen figürliche
Darstellungen in braun- bis ockerfarbenen Tönen vor einem
griinblauelt Hintergrund. Die Figuren sind in der Art der Callot-
zwerge gehalten und stellen Allegorien auf die einzelnen Mo-
nate dar. Sie tragen alle das entsprechende Tierkreiszeichen
an einer sichtbaren Stelle ihrer Kleidung. Das Tierkrcisbild selbst
aber ist in einer originellen Art nicht bloß als Attribut hinzu-
gefügt, sondern zumeist mit der Figur in einer humoristisch-dra-
matischen Aktion verbunden. So erscheint z. B. beim Juli die
den Monat repräsentierende Gestalt auf dem Tierkreisbild des
Löwen sitzend, als ob sie ihn bezwingen wolle. Dies erinnert
an die in der Barockzeit so beliebte Darstellung, wie Herkules
den nemäischen Löwen besiegt. Gleichzeitig aber kitzelt der
Sitzende das weit aufgerissene Maul des Löwen mit dessen
Schwanz und macht so die für die Mildnerzeit so bezeichnende
travestierte Umbildung des barocken Pathos deutlich.
Diese Darstellungen sind mit Gouachfarben gemalt und mit einem
rotgoldenen Vergißmeinnichtkranz umgeben, in dem auch der
Monatsname in Großbuchstaben aufscheint. Der obere Rand
des Glases ist mit einem Mundreifen von rotgoldenen Vergiß-
meinnicht versehen und der Fußrand zeigt eng gestellten Fa-
cettenschliff. Der Boden ist mit einem Facettenstern geschmückt.
Innen am Mundrand ist die Signatur und das Datum in Kursiv-
schrift angeführt: „Mildner fecit a Gutenbrunn 1795". Auf der
silbernen Rückseite der Medaillons befinden sich Gedichte in
deutscher Kurrentschrift, so z. B. für den Monat März: „Der
faule Schäfersknecht legt sich recht auf den Wieder, in dessen
Zeichen man die Sonn im Mertz erblickt, Er hat den Strohhut
auf, und streckt der Füsse Glieder, die unt und oben sind mit
Bändern wohl geschmückt".
Die Flaschen mit einer Höhe von 25,5 cm gehören in die Gruppe
der großen Flaschen, deren Höhe zwischen 20 und 27 cm liegt.
Sie sind walzenförmig und verjüngen sich nur wenig nach unten.
Sie haben auf Hals, Schulter und Fuß je einen kleinen Fries aus
Olivenfacetten; außerdem sind Hals und Schulter noch mit
Stecknadelblümchen versehen. In die Flaschenwandung sind die
Medaillone der vier Jahreszeiten eingelassen, ihre silbernen
Rückseiten haben aber keine Sprüche. Der Mundrand ist mit
einem breiten rotgoldenen Vergißmeinnichtstreifen verziert. Der
Boden zeigt einen geschliffenen Facettenstern. Alle Flaschen ha-
ben geschliffene Stöpsel, die eine rotgoldene Blättchcnkuppe
tragen.
Alle Gläser und Flaschen müssen einmal im äußersten Goldrand
der Einsatzmedaillone oben und unten den Markierungsstrich
für die Mittelachse und daneben eine Zahl geführt haben, die
aber heute durch die Altersschäden nicht mehr in allen Fällen
festzustellen sind. Aber die vorhandenen Nummern lassen er-
kennen, daß die Bezifferung von 1 bis 12 entsprechend dem
jeweiligen Monat gereicht haben muß. Bei den Flaschen sind
es die Ziffern 1 bis 4, analog dem Jahreszeitenkreislauf.
Dieser vollständig erhaltene Bestand an Flaschen und Gläsern
mag einstmals einen prächtigen Tafelschmuck abgegeben haben.
Er zeigt, daß in thematischer Hinsicht noch zu Mildners Zeiten
die barocke Tradition der Tafelaufsätze mit ihren Monatsdarstel-
lungen und Jahreszeiten lebendig gewesen ist. Mildner muß im
Jahre 1795 diese Thematik besonders interessiert haben, sind
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Flasche mit buntem Einsalzmedaillon und Facettenschliff aus einem
Tafelservice von Johann Joseph Mildner, Gutenbrunn 1795.
doch die wenigen bisher bekannt gewordenen Darstellungen der
Jahreszeiten auch im gleichen Jahre entstanden. Mildner war
damals 31 Jahre alt und wie unser Service zeigt, im vollen Be-
sitz aller technischen und künstlerischen Möglichkeiten .der
Glasveredelung. In keiner anderen Schöpfung aber hat die ba-
rocke Tradition der allegorischen Jahreskreislaufthematik in der
Malerei und die strenge, edle, josephinische Klassizität der Glas-
formen eine so innige und künstlerisch bewältigte Verbindung
eingegangen wie in unserem Service. Trotz Altersschäden ver-
schiedener Grade vermittelt das Ensemble den bcsten Eindruck
von diesen „allerdelikatesten Schöpfungen der Glasveredlungs-
kunst" und von dem Können ihres vornehmsten Vertreters Jo-
hann Joseph Mildner.
[Wie wir dem Katalog zur 542. Auktion des Wiener Dorotheums
entnehmen. kamen die jubreszeiten Sommer mit ]uni, ]uli, August
und Herbst mit September, Oktober und [Vavember am 3. Dezember
1958 zur Versteigerung. Der übrige Bestand mit Winter, Dezember,
Jänner, Februar und Frzibling mit März, April, Mai wird in der 543.
Auktion am 13. März 1959 versteigert werden.