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Volltext: Alte und Moderne Kunst IV (1959 / Heft 1 und 2)

zweckmäßiger zu gestalten. Man muß etwa ein Gießgefäß Ob- 
siegers in der Hand gehabt haben, leer und gefüllt, um zu 
spüren, wie zweckmäßig der Henkel am Gefäß sitzt, um zu 
spüren, daß der Henkel so geformt ist, daß das Krüglein nie- 
mals der haltenden Hand entgleiten wird; daß beim Ausgicßcn 
kein lästiger Tropfen über die Gefiißwand läuft; und daß 
schließlich Obsiegcrs Gefäße weit mehr lilüssigkeit aufzunehmen 
vermögen, als man ihnen zutrauen würde. Daß solche Eigen- 
schaften hervorgehoben werden, klingt vielleicht in den Zeiten 
des „Industrial Design" merkwürdig, da die Zweckmäßigkeit 
im Verein mit der guten Form als oberstes Gesetz gilt; aber wie 
selten werden selbst heutzutage diese Forderungen erfüllt, die 
Obsieger vor Jahrzehnten bereits durch sein Beispiel als klare 
Selbstverständlichkeit aufgezeigt hat. Man denke etwa an die 
Blumengefäße Obsiegers - Blumengefäße gelten im allgemeinen 
nicht gar so streng zweckgebunden -, man denke sogar an die 
kapriziösen und launigen Einfälle Obsiegers aus seinen letzten 
Jahren; wer versucht hat, Blumen oder blühende Zweige in seine 
Gefäße zu ordnen, wird festgestellt haben, wie willig diese Ge- 
fäße die Blumen aufnehmen, daß sie keineswegs verlangen, daß 
alle Pflanzen wie Grcnadiere gewachsen sind; im Gegenteil, 
manche der (Äiefaße zeigen sogar eine Vorliebe für wettergebeug- 
tes und krummgcwachsenes Geäst. Obsiegcrs Lieb: zur Pflan- 
zenwelt hat seine Blumengefiißc mitgeschaffcn; in seinem Ate- 
lier steckten immer in etlichen neuen Formen ein paar Zweige 
oder Blumen, um zu prüfen, wie Form und Inhalt sich vertragen. 
Das gleiche gilt noch in verstärktem Maße für Obsicgers Ka- 
chelöfen; er hat niemals einen Ofen ins Blaue hinein entworfen, 
Erste Voraussetzung war immer der Raum, für den der Ofen 
bestimmt war; die Wärmemcngc, die der Ofen liefern sollte, 
der Platz, den der Ofen einzunehmen hatte, waren die weiteren 
Grundlagen des Konzeptes, ebenso wichtig waren die inneren 
Organe und die Eingriffsmöglichkeiten in diese inneren Or- 
 
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gane; alles das tat aber der künstlerischen Gestaltung des Ofens 
keinen Abbruch. Obsiegers Ofen sind immer alles das gewesen, 
was man von einem Kachelofen verlangt, ein kunstvolles, gut 
funktionierendes Möbel in einem Wohnraum. Bei einer Gele- 
genheit, wo mit dem Platz für den Kachelofen besonders gespart 
werden mußte, hatte Obsieger den gelungenen Einfall, auf das 
Gehäuse des Ofens zu verzichten und bloß das Skelett der Züge 
mit Kacheln zu ummanteln, und trotzdem wurde eine starke 
künstlerische Wirkung erzielt. 
Soviel über die Form, das eine der künstlerischen Ausdrucks- 
mittel, die dem Keramiker zur Verfügung stehen. Die Vielfalt 
der Variationen, die bei jeder Grundform möglich ist, und durch 
verhältnismäßig einfache Mittel, ist Legion. Ein sanftes Ein- 
drücken, ein kräftiges Quetschen, ein Umschlagen oder Auf- 
schlitzen der Gefäßwand, eine Annäherung an tierähnliche Ge- 
bilde, das Belassen der Aufzichrillen oder Glätten des Gefäßes, 
Größe und Stellung des Henkels, Variationen der Ausgußformen 
- um nur einige Elemente zu nennen. 
Das zweite wichtige Ausdrucksmittel, das dem Keramiker in 
vielleicht noch größerer Abwandlungsmöglichkeit zur Verfü- 
gung steht, und dessen sich Obsieger mit der gleichen Virtuosität 
bedient hat wie der liormgcbung, ist die Glasur. Obsiegers 
ganzes Leben war erfüllt von dem Bemühen, alterprobtcn und 
neuen Glasurrezcpten immer neue Wirkungen abzuringen. 
Neben den schimmernden, an Edelsteine erinnernden glänzen- 
den Glasurcn liebte Obsieger die gedämpft wirkenden matten 
Glasuren, die die Schönheit der Form noch klarer hervortreten 
lassen. Und alle seine Glasuren werden niemals zum leblosen 
farbigen Überzug, alle besitzen sie jenc eigenartige Lebendigkeit, 
wie sie die chinesischen Keramiker in ihren besten Zeiten auf- 
weisen, womit nicht gesagt sein soll, daß Obsieger es je darauf 
abgesehen hatte, seine Zunftgenossen aus dem Fernen Osten 
zu kopieren. 
Wenn in den letzten Jahrzehnten auf internationalen Ausstel- 
lungen Keramiken mit aufgekochten Glasuren wie eitrige Schwä- 
ren oder krätzige Haut erschienen, wenn outrierte Formen vor- 
geführt wurden, die ihre Herkunft dem Zeichenstift, nicht aber 
der Töpferscheibe und der schaffenden Hand verdanken, und 
diese Produkte hochgepriesen wurden, ließ sich Obsieger niemals 
davon beirren. Es mag ihm jedoch eine gewisse innere Befrie- 
digung bereitet haben, wenn in den beiden letzten Triennalen 
in Mailand von einigen Ländern Keramiken als etwas Neues 
vorgeführt wurden, Keramiken in schlichten Formen und kunst- 
vollen Glasuren, wie er sie stets durch die Tat propagierte. 
Es wäre völlig falsch, sich etwa vorzustellen, daß Obsiegers 
Lebenswerk ohne jeden Wandel in steter Gleichmäßigkeit ver- 
laufen sei. Wie bei jedem echten und großen Künstler gibt 
es auch bei Obsieger Zeiträume, die der Historiker mit Klassi- 
zismus, Barock und Rokoko bezeichnen möchte. Klassizismus - 
eine vorwiegend kühle, klare Form; Barock - schwere, wuch- 
tige Formen, vorwiegend dickwandigere Gefäße, Glasuren von 
einer gewissen inneren Unruhe: Rokoko - das Spielerische in 
der Form, das Capriccio von Gefäßmetamorphosen mit meist 
strahlenden Glasuren. Über all diese Wandlungen hinaus geht 
ein Alterswerk Obsiegers, das Fliesenrclief aus dem Jahre 1956, 
in dem er der „CREANS MANUS", der schaffenden Hand, ein 
Denkmal setzte. 
Mit Robert Obsieger hat Österreich in dem letzten halben 
Jahrtausend zum driltenmal in der Keramik einen Gipfelpunkt 
erreicht, der dieses Mal - wie sollte es in unserer individuell 
veranlagten Zeit anders sein - einer einzigen überragenden 
Künstlerpersönlichkeit zu verdanken ist. 
Abb. 4: Robert Obsieger, großes Gartengefäli in Form eines Widders 
(G5 cm lang, 65 cm hoch). 
Usterrelehlsches Museum In! angewandte Kunst
	        
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