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Volltext: Alte und Moderne Kunst IV (1959 / Heft 3)

PICASSO IN DEN JAHREN 
DIE SANIMLLING DR. VINCENC KRAMAR IN PRAG 
1907-1913 
Von MIROSLAV 
.AMAC 
„Um ein modernes Kunstwerk verslchcn und seinen künst- 
lerischen Wert ermessen zu können, dazu ist nicht nur 
eine hisiorische Bildung notwendig, dazu muß auch die 
Umwälzung der künstlerischen Maßstäbe, die wir erlebt 
haben, in ihrem ganzen Ausmaß erkannt worden sein." 
Diese Worte schrieb der Kunsthistoriker Dr. Vineene Kramaf im 
Jahre 1922 in seiner Studie „Neue Kunst und Kritik". Als das 
Neue erschien ihm damals die avantgardistische Bewegung und 
ihre Entwicklung zu Beginn des Jahrhunderts. Sie ist heute 
bereits abgeschlossen und wird kunstgcschichtlich erforscht. 
Ohne ihre Kenntnis wäre aber ein Verstehen der bildenden Kunst 
der Gegenwart unmöglich. Das Verständnis für das in der bilden- 
den Kunst neu Erkämpfte half Kramar die Kunst der Vergan- 
genheit neu zu entdecken. Er schuf eine bedeutende Kunstsamm- 
lung, mit der sieh dieser Artikel befassen soll. 
Den Haupthestandteil der Sammlung Kramai bilden mehr als 
zwanzig Picassos, sowie Arbeiten von Braque und Derain aus den 
Jahren 1907-1913. Diese Bilder wurden kurz nach ihrem Ent- 
stehen erworben, die Sammlung bestand bereits vor dem Ersten 
Weltkrieg in ihrem heutigen Umfang und wurde später nicht 
erweitert. Ihre Auswahl ermöglicht es, die Entwicklung einer 
der großen erneuernden Bewegungen der Kunst im zwanzigsten 
Jahrhundert, während eines kurzen Zeitabsehnitts, mit seltener 
Genauigkeit zu verfolgen. Die Sammlung Kramai- umfaßt neben 
den genannten Werken auch Bilder tschechischer Maler vom 
Beginn des Jahrhunderts bis zur Gegenwart, ohne daß einer 
bestimmten Richtung oder einem bestimmten Zeitabschnitt der 
Vorzug gegeben wurde. 
Die frühesten Werke Picassos aus der Sammlung Kramai ent- 
standen im Jahre 1907. Eine besonders bemerkenswerte Arbeit 
aus dieser Zeit ist ein Selbstporträt. Scheinbar fauvistisch in 
seinem Bildaufbau, hat es in Spannung und Ausdruck mit dem 
liauvismus nichts gemein. 1m Gegensatz zu ihm steht die Far- 
bigkeit - die Palette beschränkt sich hauptsächlich auf die 
Töne grau, braun und ocker - und vor allem aber die Zeich- 
nung. In ihr verbirgt sich Leidenschaft und Tragik der spani- 
schen Malerei, mit der das Werk Picassos in tiefgreifendem 
Zusammenhang steht. In diesem Bild wird bereits der Bruch 
mit der überlieferten Form angedeutet und der erste Schritt 
zum Kubismus vollzogen. 
Im Jahre 1908 wurde Picasso durch das Werk Cözannes entschei- 
dend beeinflußt, was in den Bildern der Sammlung deutlich 
erkennbar ist. Aus der Auseinandersetzung mit der Cezannes' 
schen Bildauffassung entstand auch das Stilleben „Kästchen, 
Tasse, Äpfel und Trinkglas" aus dem Jahre 1909. Die ganze 
Aufmerksamkeit des Künstlers gilt hier dem Raum-Form-Pro- 
blem. Der Raum ist ein aufgeklappter Kubus, in welchem sich 
die von oben gesehenen Objekte stellenweise mit den Flächen 
verbinden. Im Grunde geht Picasso hier von der klassischen 
französischen Tradition aus, die in Cezannes gipfelt und die er 
gleichzeitig mit jener inneren Dramatik verbindet, die für die 
spanische Kunst charakteristisch ist. 
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In den Jahren 1910-1912 entsteht der analytische Kubismus. 
Der „Hafen von Cadaqucs" (1910) steht am Anfang dieser Pe- 
riode. Die äußere Realität wird in einem Rhythmus von Linien 
und Flächen aufgelöst. Es gibt wenige Bilder, die so deutlich 
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