Die Erzählungen und Abhandlungen sind meist in einer ge-
fälligen, manchmal graziös-oberflächlichen Art geschrieben, ha-
ben Ende des 18. Jhs. noch einen Hauch des verklingendefnt
Rokoko an sich, der besonders den eingestreuten Gedichten
und Briefen anhaftet. In dieser Zeit steht die Modesatire in Blüte,
die erzieherisch und geschmacksbildend auf die Damcnwelt ein-
wirken wollte, aber auch dem männlichen Stutzertum zu Leibe
rückte. Ein Beispiel dafür sind die Gedichte von Josef Richter
in „Der neuesten Moden Almanach" aus dem Jahre 1798. Der
Autor spricht hier zwar nicht in dem rustikalen, derben Ton
seiner Eipeldauerbricfe, geht aber auch nicht allzu zart mit den
Wiener Schönen um. Nicht nur die Zeit-Mode an sich unterliegt
seiner Kritik, wie „Die hohen Federn", „Die Kothurne", „Die
Kokarden", sondern auch das modische Getue, das etwas vor-
täuschen will, was nicht existiert, rügt er in boshafter Weise.
Die Illustrationen zu diesen Gedichten stammen von Johann
Sebastian Mansfeld. Von ihm gibt es in demselben Bändchen
auch eine eigene Art von modischer Bild-Satire.
Die ausgesprmhenenDamenalmanache des ausklingenden18.Jhs.
weisen wenig literarische Beiträge von hoher Qualität auf. Wir
finden in ihnen zahlreiche kleine Plaudereien über „Schoß-
hunde", „liamilienglück", „Über die Putzfreudigkeit der Frauen-
zimmer" und andere, nur für die Weiblichkeit interessante Tlte-
men. Erst mit dem Beginn des 19. JhS. wird der Ton diesqr
Taschenbücher ernster und würdevoller. Die Belehrung tritt nun
in den Vordergrund und kommt dem Bedürfnis der Frauen nach
Bildung entgegen. Abrisse aus Geographie, Geschichte und den
Naturwissenschaften sind fast in jedem Jahrgang anzutreffen.
Die geographischen Schilderungen sind meist in phantastischem
exotischen Gewande. Historische Biographien bedeutender Per-
sönlichkeiten scheinen ßas größte Interesse gefunden zu haben,
ebenso kulturgeschichtliche Abhandlungen. Umfangreiche ge-
nealogische Verzeichnisse der regierenden Häuser Europas zäh-
len zum inhaltlichen Grundbestand. l)er „Wiener Damenkalen-
der" bringt auch in seinem Anhang fast immer ein Kapitel, das
mit „Etwas aus der Naturgeschichte" betitelt ist. Das „Wiener
Taschenbuch zum Nutzen und Vergnügen" hat eine ständige
Sparte über „Neue Erfindungen, physikalische und andere Merk-
würdigkeiten". Lehrhaft in rein moralischer Beziehung geben
sich die Abhandlungen in den ersten Jahrgängen des nßlma-
nach für das schöne Geschlecht", deren Titel allein schon sehr
tugendhaft klingen. „Über die Verhüllung des Busens", „Ver-
haltungsmaßregeln für junge Ehemänner" und Ähnliches. Fa-
beln, Sprichwörter, Epigramme, Rätsel, Notenbeilagen und die
Beschreibung der neuesten Tänze runden den Inhalt ab.
Der modische Teil nimmt in den einzelnen Bändchen einen ver-
schieden großen Raum ein. Allerdings erschien bei Löschenkohl
im Jahre 1786 das „Cabinet des Modes" und 1799 im gleichen
Verlag „Die neuesten Moden", Folgen von Modeblättern, die
aber nicht den Typus des Almanachs vertreten, sondern viel-
mehr den Anfang einer Wiener Modezeitung darstellen.
Wenn auch, wie uns die zeitgenössischen Satiren beweisen, die
ausländischen Vorbilder oft mißverstandcn und übertrieben wur-
den, so war die Mode der damaligen Zeit doch konstanter in
ihren Erscheinungsformen. Die Modebilder galten als Anregung
für Putzmacherinnen, Näherinnen und Kammerzofen und nicht
zuletzt für die große Zahl bürgerlicher Hausfrauen, die kaum
über das Gebiet ihres Wohnortes hinauskamen und denen weder
Konfektionserzeugnisse noch sogenannte Modeschauen zu Ge-
botc standen. Den Wiener Modekupfern wird oft der Vorwurf
gemacht, sklavische Nachbildungen der französischen und eng-
lischen Vorbilder zu sein. Das trifft nicht ganz zu. Allerdings
zeigt sich der französische Einfluß in den beiden letzten Jahr-
zehnten des 18. Jhs. noch sehr stark und auch die damals auf
dem Gebiete der Mode einsetzende Anglomanie kommt zum
Ausdruck, wird aber vielfach dem hescheideneren österreichi-
schen Geschmack angepaßt.
Hieronymus Löschenkohl gibt in seiner „ModenachrichW im
„Kalender derLiebe undZärtlichkeit"(l798) den ausländischen
Einfluß auf die Wiener Modekupfer in aller Biederkeit mit fol-
genden Worten zu: „...Sie (die Modekupfer) sind den besten
ausländischen Journalen, aus eigener Correspondenz und aus
dem Schöpfungsgenie unserer deutschen Schönen aufgesam-
melt . . ." Die meisten Modekupfer in den von Löschenkohl her-
ausgegebenen Almanachen tragen weder Titel noch Beschrei-
bung. Bei ihm erschien1807 auch ein „Kalender für junge fleißige
Frauenzimmer, welche sich mit Stricken und Ausnähen beschäf-
tigen". Bei den Motiven dieser Vorlagen handelt es sich um
geometrische Bordüren, naturalistische Ticr- und Blumendar-
stellungen und besanders um Freundschaftssymbole, unter denen
der Tempel, der Opferstein, die Urne und die Trauerweide an
erster Stelle stehen, aber auch um kunstvoll verschnörkelte und
blumenverziertc Buchstaben des Alphabets. Nirgends aber findet
man, so wie heutzutage, Anweisungen, die vorschreiben, für
welchen Zweck und welchen Gegenstand die Muster zu verwen-
den sind. Auch die Arbeitstechnik und das Material bleibejn
unbesprochen.
Die Modefigurinen des „Wiener Taschenkalender" sind etwas
steif in der Haltung und lassen weniger den französischen Ein-
fluß als das bei Löschenkohl zitierte „Schöpfungsgenie unserer
deutschen Schönen" ahnen. Erst ab 1799 zeichnet Joh. Berka
für diesen Almanach, der seine Figuren in sehr gelösten und
bewegten Stellungen bringt. Rückschlüsse auf den Schnitt dieser
Kleider lassen sich daher bei jener freien, künstlerischen Ge-
staltung kaum ziehen.
Der „Wiener Damenkalendcr zum Nutzen und Vergnügen" steht
allerdings Ende des 18. Jhs. noch sehr unter französischem Ein-
fluß. Im Jahrgang 1788 finden wir eine der seltenen Abbildun-
gen von Kindermoden. Sie entstand in der Epoche, in welcher
die Kleidung „a la paysan" nach Rousseausehem Vorbild in
Mode kam. Andere Darstellungen dieses Almanachs machen mit
den zeitgenössischen, überdimensionalen Kopfhedeckungen der
französischen Mode und deren phantasievollen Bezeichnungen,
wie „Foul a l'Inge'nue" oder „Pouf a la diadcm" bekannt.
Die Modekupfer der Almanache bis 1830 zeigen sich bereits
wesentlich freier vom französischen Einflull. Sie sind strenger,
klassischer und tragen häufig die Signaturen berühmter Stecher.
Gegen die Mitte des 19. Jhs. taucht immer häufiger der Name
Franz Xaver Stöbers als Stecher auf. Wir kennen den Künstler
bereits als Illustrator der „Wiener Modenzeitung". Vinzenz
Kininger signiert bereits 1799 seine Modekupfer im „Wiener
Damcnkalcnder zum Nutzen und Vergnügen" und im Jahrgang
1803 desselben Almanachs finden wir zehn unkolorierte Mode-
kupfer, die zwar nicht signiert sind, aber deutlich Kiningers
Hand verraten. Die Gewänder der Damen sind im Stil der Antike
gehalten, desgleichen die Frisuren, doch tritt auch hier schon
die Strohschutc als Kopfbedeckung auf, in ähnlicher Art, wie
sie Kininger in seinem 1826 bei Tranquillo Mollo erschienenen
Trachtenwerk „Costumes de la Monarchie Autrichienne" auf
dem Blatt Nr. 55 „Milchmädchen der Gegenden Wiens" ge-
zeichnet hat.
Verfolgen wir die modischen Illustrationen der Wiener Damen-
almanache nun weiter bis zum vierten Jahrzehnt des 19. Jhs.,
so müssen wir feststellen, daß sie in immer geringerer Anzahl
auftreten und vor allem an Originalität einbüßen, da ja die seit
dem Jahre 1816 mit den Almanachen parallel laufende „Wiener
Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode" sowie die
seit dem Jahre 1831 mit Modebeilagen versehene Bäucrlefsche
Thcaterzeitung und andere Zeitschriften und Serien die Mode-
darstellung vicl eingehender pflegen. Um die Mitte des 19. Jhs.
haben die Damen- und Modealmanache schließlich das Schicksal
aller „Modeartikel" erlitten: sie „waren aus der Mode gekom-
men" und mußten ihren Platz einerseits den literarischen Ta-
schenbüchcrn, andererseits den reinen Mode-Zeitschriften ab-
treten.
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