nur etwas Peinliches an sich. Da also ist ganz offenkundig etwas
nicht in Ordnung. Die lebendige Kunst von heute und die Ver-
pflichtung auf eine literariseh-darstellerische Motivik passen
nicht zusammen, woran weder ein Rouault noch etwa ein Her-
bert Boeckl etwas ändern können.
Es wäre übrigens töricht, zu übersehen, daß die ausgesprochen
bildmäßige Erzählung der lleils- und Heiligengeschichte aus der
Notwendigkeit entstand, sie einer weitgehend des Lesens und
Schreibens unkundigen Gesellschaft zu vermitteln. Heute fehlt
diese Notwendigkeit, was keineswegs das verbreitete Bedürfnis
nach „Andachtsbildcrnf; leugnen, aber eben dieses Bedürfnis auf
die ihm adäquate alle Kunst verweisen heißt, die allein ihm
das Unerrcichbare so fast „verwandtsrhaftlich", so vermensch-
licht nahebringen konnte.
Die „Moderne" jedenfalls hat seit dem Expressionismus, Fauvis-
mus und Kubismus der darstellenden Wiedergabe der natür-
lichen Erscheinungswelt oder auch ihrer Verklärung die Er-
gründung des Darstellbaren wie auch der hildnerisehen Mittel
folgen lassen. Da kann also einer Gott noch so sehr lieben, die
alte Motiv-Darstellung oder [Jarstellungs-Motivik muß ihm
fremd sein, wenn er erst einmal die Vorverlegung der bildncri-
sehen Front in das Inncrc, also so nahe wie möglich an das
Kräftepotential und an die Ursprungsgesetzlichkeit in der bis-
her als solche hingenommenen Erscheinungswelt wahrgenom-
men und mitgemacht hat.
Denn mag der schöpferische Mensch früher durchaus dazu im-
stande gewesen sein, im Gleichnis der Dinge und ihrer realen
Form das Geistige zu empfangen und ihm Gestalt zu geben, so
ist ihm doch heute die äußere Realität nur noch Kulisse, wäh-
rend er das Geistige gleichsam in der Zone des noch nicht
Gewordenen aufzuspüren und ihm auch dort schon Gestalt zu
geben, also sein neues Gleichnis zu bilden sich bemüht. Ist
das Vermessenheit oder nicht vielmehr gerade der unserer Zeit
gemäße, weil durch das Prisma der durch den modernen Men-
schen ergründeten und aktivierten Natur-Potentialität gewon-
nene Kontakt zu Gott? Mag sein, daß dieser Kontakt sich weni-
ger auf den Vater- als auf den Schöpfergott bezieht, aber ist
dieser Aspektwandel etwa unverständlich in einer Zeit, in der
der Mensch sich tatsächlich nicht mehr als „Kind", sondern als
„Erwachsenef verhält, der seinen eigenen Weg, und zwar eben
den in die Schöpfung hinein sucht und bereitet?
Mache man sich doch einmal ganz nüchtern die Situation klar.
Der Mensch von heute steht nicht mehr auf einer „naturbelasse-
nen" und von ihm lediglich bewohnten und gleichfalls natur-
belassen genutzten Erde Gott sozusagen unmittelbar gegenüber.
Zwischen beide hat sich vielmehr, vom Blickfeld des Menschen
aus gesehen, die Welt geschoben; anfänglich nur als ein
Schatten, dann als wachsende Verlockung einer als autonom
empfundenen Materie und schließlich als ein noch immer neue
Seiten und Möglichkeiten offenbarendes Energiefeld. Im Ver-
lauf dieser Entwicklung hob sich der Mensch zuerst noch Gott
sozusagen für den Sonntag auf, was übrigens auch jetzt noch
viele, allerdings mehr die Opfer als die Träger und Gestalter
des Heute tun. Nach und nach aber verlor sich der Mensch an
die Welt und an sein Suchen und Schürfen in ihr, und sie
gab sein eigentliches „(}egenüber" ab. jetzt wird allmählich
und in zunehmendem Maße dieses Gegenüber transparent und
gibt so in der Tat den Blick auf den Schöpfer in Gestalt der
geistigen Ursprungs- und (Ürdnungswirklichkeit der Schöpfung
frei.
Ist es da nicht fast selbstverständlich, daß sich auch für die
christlich-religiöse Kunst ein neuer Motivenkreis ergibt? Der
Schöpfer eben im Gleichnis der Ursprungs- und Ordnungswirk-
lichkeit der Schöpfung, also nicht mehr der thronende Welten-
richter, der liebende Vater oder das die Erlösung schenkende.
Selbstopfer des Sohnes, sondern die dem Menschen zur gehor-
sam-tätigen Mitvollstreckung anvertraute Struktur- und Ge-
staltanlage im Werden und sich Wandeln allen Lebens, -.
Giuscppc Malleo Campllclli, „Der Gekreuzigle." Graphik.
Moderne Figurcnsludic irgendeines gckreuziglcn Leibes, in Bewegung
und I-lell-Dunkel-Konu-nsl nicht Ulnmzll schlecht, abcr als religiöse Aus-
sage völlig unbedeutend, ja niChlig.
gut wie aus. Novara macht das auf seine Weise deutlich. Mehr
als die Hälfte des Ausgestellten liebäugelt mit einer der vier-
genannten Stilarlen von der Romanik bis zum Barock, wozu.
noch Anklänge an die Byzantiner kommen. Bei den Italienern
zumindest scheint die Ansicht vorzuherrschen. daß "Ars sacra"
erstens christliche Geschichten zu erzählen habe, und daß hier-
für zweitens nur die historischen Hochformen solcher Erzäh-
lungsweise in Frage kommen. Gilt das nur für die Italiener?
Vom Standpunkt des „Geschichten-Erzählens" aus stimmt das
eben auch. Denn was in Novara an "Modernisierungen" dar-
stellender Wiedergabe geboten wird, überzeugt nicht. Diese
„Kubismen" oder „Expressionismen" im Darstellerischen haben