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Volltext: Alte und Moderne Kunst IV (1959 / Heft 12)

nur etwas Peinliches an sich. Da also ist ganz offenkundig etwas 
nicht in Ordnung. Die lebendige Kunst von heute und die Ver- 
pflichtung auf eine literariseh-darstellerische Motivik passen 
nicht zusammen, woran weder ein Rouault noch etwa ein Her- 
bert Boeckl etwas ändern können. 
Es wäre übrigens töricht, zu übersehen, daß die ausgesprochen 
bildmäßige Erzählung der lleils- und Heiligengeschichte aus der 
Notwendigkeit entstand, sie einer weitgehend des Lesens und 
Schreibens unkundigen Gesellschaft zu vermitteln. Heute fehlt 
diese Notwendigkeit, was keineswegs das verbreitete Bedürfnis 
nach „Andachtsbildcrnf; leugnen, aber eben dieses Bedürfnis auf 
die ihm adäquate alle Kunst verweisen heißt, die allein ihm 
das Unerrcichbare so fast „verwandtsrhaftlich", so vermensch- 
licht nahebringen konnte. 
Die „Moderne" jedenfalls hat seit dem Expressionismus, Fauvis- 
mus und Kubismus der darstellenden Wiedergabe der natür- 
lichen Erscheinungswelt oder auch ihrer Verklärung die Er- 
gründung des Darstellbaren wie auch der hildnerisehen Mittel 
folgen lassen. Da kann also einer Gott noch so sehr lieben, die 
alte Motiv-Darstellung oder [Jarstellungs-Motivik muß ihm 
fremd sein, wenn er erst einmal die Vorverlegung der bildncri- 
sehen Front in das Inncrc, also so nahe wie möglich an das 
Kräftepotential und an die Ursprungsgesetzlichkeit in der bis- 
her als solche hingenommenen Erscheinungswelt wahrgenom- 
men und mitgemacht hat. 
Denn mag der schöpferische Mensch früher durchaus dazu im- 
stande gewesen sein, im Gleichnis der Dinge und ihrer realen 
Form das Geistige zu empfangen und ihm Gestalt zu geben, so 
ist ihm doch heute die äußere Realität nur noch Kulisse, wäh- 
rend er das Geistige gleichsam in der Zone des noch nicht 
Gewordenen aufzuspüren und ihm auch dort schon Gestalt zu 
geben, also sein neues Gleichnis zu bilden sich bemüht. Ist 
das Vermessenheit oder nicht vielmehr gerade der unserer Zeit 
gemäße, weil durch das Prisma der durch den modernen Men- 
schen ergründeten und aktivierten Natur-Potentialität gewon- 
nene Kontakt zu Gott? Mag sein, daß dieser Kontakt sich weni- 
ger auf den Vater- als auf den Schöpfergott bezieht, aber ist 
dieser Aspektwandel etwa unverständlich in einer Zeit, in der 
der Mensch sich tatsächlich nicht mehr als „Kind", sondern als 
„Erwachsenef verhält, der seinen eigenen Weg, und zwar eben 
den in die Schöpfung hinein sucht und bereitet? 
Mache man sich doch einmal ganz nüchtern die Situation klar. 
Der Mensch von heute steht nicht mehr auf einer „naturbelasse- 
nen" und von ihm lediglich bewohnten und gleichfalls natur- 
belassen genutzten Erde Gott sozusagen unmittelbar gegenüber. 
Zwischen beide hat sich vielmehr, vom Blickfeld des Menschen 
aus gesehen, die Welt geschoben; anfänglich nur als ein 
Schatten, dann als wachsende Verlockung einer als autonom 
empfundenen Materie und schließlich als ein noch immer neue 
Seiten und Möglichkeiten offenbarendes Energiefeld. Im Ver- 
lauf dieser Entwicklung hob sich der Mensch zuerst noch Gott 
sozusagen für den Sonntag auf, was übrigens auch jetzt noch 
viele, allerdings mehr die Opfer als die Träger und Gestalter 
des Heute tun. Nach und nach aber verlor sich der Mensch an 
die Welt und an sein Suchen und Schürfen in ihr, und sie 
gab sein eigentliches „(}egenüber" ab. jetzt wird allmählich 
und in zunehmendem Maße dieses Gegenüber transparent und 
gibt so in der Tat den Blick auf den Schöpfer in Gestalt der 
geistigen Ursprungs- und (Ürdnungswirklichkeit der Schöpfung 
frei. 
Ist es da nicht fast selbstverständlich, daß sich auch für die 
christlich-religiöse Kunst ein neuer Motivenkreis ergibt? Der 
Schöpfer eben im Gleichnis der Ursprungs- und Ordnungswirk- 
lichkeit der Schöpfung, also nicht mehr der thronende Welten- 
richter, der liebende Vater oder das die Erlösung schenkende. 
Selbstopfer des Sohnes, sondern die dem Menschen zur gehor- 
sam-tätigen Mitvollstreckung anvertraute Struktur- und Ge- 
staltanlage im Werden und sich Wandeln allen Lebens, -. 
Giuscppc Malleo Campllclli, „Der Gekreuzigle." Graphik. 
Moderne Figurcnsludic irgendeines gckreuziglcn Leibes, in Bewegung 
und I-lell-Dunkel-Konu-nsl nicht Ulnmzll schlecht, abcr als religiöse Aus- 
sage völlig unbedeutend, ja niChlig. 
gut wie aus. Novara macht das auf seine Weise deutlich. Mehr 
als die Hälfte des Ausgestellten liebäugelt mit einer der vier- 
genannten Stilarlen von der Romanik bis zum Barock, wozu. 
noch Anklänge an die Byzantiner kommen. Bei den Italienern 
zumindest scheint die Ansicht vorzuherrschen. daß "Ars sacra" 
erstens christliche Geschichten zu erzählen habe, und daß hier- 
für zweitens nur die historischen Hochformen solcher Erzäh- 
lungsweise in Frage kommen. Gilt das nur für die Italiener? 
Vom Standpunkt des „Geschichten-Erzählens" aus stimmt das 
eben auch. Denn was in Novara an "Modernisierungen" dar- 
stellender Wiedergabe geboten wird, überzeugt nicht. Diese 
„Kubismen" oder „Expressionismen" im Darstellerischen haben
	        
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