Verschiebung der Proportionen erzielt, durch Aufreißen der
Erde, Erdanatomic, die die Struktur ihres Aufbaus sichtbar
machen soll, durch eine kleine Verfremdung (in nordischen
Landschaften zum Beispiel stehen südliche Bäume). All das
bringt Steigerung gerade des Erlebnisses der Naturkraft hervor,
des All-Einen, ihrer Vielfältigkeit, ihres ewigen Wandels. Dies
Wirkliche kommt auf phantastische Weise nur um so fes-
selnder zum Ausdruck. Der Krieg läßt sich als Panzcrschlacht
darstellen. Bei Lchmden erscheinen die Kampfwagen beinahe
schon wie bewehrte,riesenhafte Kriechtiere. Der dem Kricg inne-
wohnende Sadismus, seine Scheußlichkeit, Aggressivität wird als
Kampf nackter, beißender, stechender, die Mienen schrecklich
verziehender, die Glieder verdrebender „Männer in einer Land-
schaft" mindestens ebenso fühlbar. Krieg ergreift die Natur.
Fabelhafte Tierwesen stehen einander gegenüber. Ur-Liebe, eine
animalisch anmutende Zärtlichkeit. aber auch Würde und Größe
strahlt von fremd anmutenden Menschenphysiognomicn aus.
Lehrnden ist der Maler des verlorenen Paradieses und einer nach
Frieden sich sehnenden, von Umwälzung, von Zerstörung und
Wut bedrohten Welt (siehe auch: „Gestörte Idylle j Die Welt
des Malers Anton Lehmden", Heft U2, Jahrgang 1959 dieser
Zeitschrift).
Der anmutigste, heiterstc der vier „Phantastischen Realisten"
ist Hutter. Die Welt erscheint bei ihm als Garten, von seltsamen
Blumen, Insekten, Schmetterlingen, von Papagenos und Liebes-
paaren, von Magiern mit vielen Taschen bewohnt.
Die Geschichte mit dem Apfel passiert. Eva liegt mit geschlos-
senen Augen im Arm eines dandyhaft romantisch gekleideten
Adam. Das Pantomimische der Szene ist mit Absicht outriert.
Die Liebenden und flatternden Bänder sind eines von Hutters
Lieblingsthemen. An zivilisatorischem Luxus, an dekorativen
Reizen liegt ihm. Er richtet künstliche Paradiese ein. „Drin-
gendere Sehnsüchte schaffen", heißt nach Thornton Wilder die
Aufgabe der Kunst. Neben der Natursebnsucht Lchmdens steht
die Komfortsehnsucht Hutters. Doch weicblich sind auch die
Paradiese dieses Malers nicht. Wind weht durch sie. Des Künst-
lers Gewächse stehen. Die Hügel haben scharfe Grate. Als pein-
lich genauer und empfindsamer Maler erfindet er seine eigene
Insekten- und Pflanzenwelt. Sie beschreibend, ließen sich ge-
lehrte Nachschlagwerke herstellen. Er ist reich an Erfindung.
Wie seine Freunde malt er in einem letzten Grund Sinnbilder,
die etwas Wirkliches bezeichnen.
In Hutters „Puppenheim" leuchtet es des öfteren nicht ungc-
fährlich auf. Seinen Geschöpfen fährt Schreck in die Glieder.
Er liebt die allernäcbste Nachbarschaft von Schmetterlings-
köpfen, Insekten und einem Mensehenkopf. Zuweilen wird des_
Künstlers Aufmerksamkeit durch ungewisse Zustände ange-
zogen. Aus einer Form kann ein Baum oder ein Mensch, ein
Schmetterling oder eine Blume steigen. Das fesselt ihn. Er läßt
es ineinandergleiten. Er umkreist sein All-Eines. Auch er.
Dem Panischen zugewcndet ist Helmut Leherb, der jüngste der
Künstler. Er hat mit einer „Kleinen Traurigkeit" begonnen. Ein
Liebespaar mit feinen Gesten erschien, er schwarz gewandet,
sie grün, vor violettem Hintergrund. In gelbem Schwefeldampf
stürzten Engel. Einen phantastisch-dekorativen „Paradiesgarten"
regierte der Huflattich. „Narkose" gab allerlei Visionen und
und Schreckbilder wieder. Ein groteskes Element fehlte nicht.
Das Wirkliche, von dem Leherb heute träumt, ist der Mensch
in heidnisch-rnythischer Sicht. Aus Zersetzung kommt Leben.
Poren öffnen sich wie Wunden, kleine Krater, und schließen
sich wieder. Kostbare Steine, Diademe blitzen auf, Eva geht aus
den Geweben Adams hervor. Faun und Centaur sind Leitbilder
dieser Welt. Ein Zug zur Monumentalität macht sich bemerk-
bar, auch (und gerade) in den kleineren Formaten. Farbe wird
sinnlicher, wärmer: Leherbs verschiedene Braun, seine Rot.
Mit breiterem Pinsel als früher malt der Künstler „Fremde
Wesen", die über einer Landschaft schweben, welche von einer
matten Sonne erleuchtet wird.
Rudol
f Hausner, Adam nach dem Sündcnfa