WOHIN
GEHT
DIE
RELIGIÖSE
KUNST?
GEDANKEN ZUR
lV.
IN?
ZRNAZIONAL]
D'AR'I
SACRA"
IN NOVARA
V0
)RG LAMPE
Die „Ars sacra"-Ausstellung des Vorjahres in Löwen löste Ge-
danken aus; die Salzburger Biennale christlicher Kunst 1958
rief schwerwiegende Bedenken wach, und die „lV. Internazio-
nale d'Arte Saera" in Novara führt zu einem ähnlichen Ergeb-
nis. Nur treten dort die Probleme und bis zu einem gewissen
Grade auch schon die Entscheidungen offener zutage, weil die
Auswahl lockerer und die Vorstellung von dem, worauf es an-
kommt, unpräziser ist. Novara giht daher mit seinem Kuntera
bunt das ganze Panorama frei, und man wird gezwungen, sich
selbst den Weg zu suchen. Ob der nachstehend entwickelte der
rechte ist, bleibe dahingestellt. Viele nicht unwesentliche Zei-
chen jedoch deuten darauf hin, daß er zumindest kein atls-
gesprochener Irrweg ist.
Novara lehrt zunächst einmal, daß bei gut 9Stwiger italienischer
Beteiligung und einer Verteilung der restlichen Prozente der
rund 400 Arbeiten auf Frankreich, Deutschland (nur Architek-
turphotos) und Österreich (Architekt Prof. Robert Kramreiter
und Malerin Marianne Figlhuber-Gutscher) die Internationalität
der Schau vielleicht doch ein wenig zu kurz kam. Doch hat
wenigstens Frankreich Wichtiges beigetragen, wenn auch die
wesentlichsten Arbeiten aus Italien stammen. Das nur vorweg
und nebenbei.
Die Hauptlehre Novaras ist die, daß man sowohl auf den Unter?
schied zwischen christlicher Thematik und Motivik als auch
auf den Zusammenhang zwischen Motivik und Stil- oder Form-
gebarungsweise zu achten hat. Wie es nämlich in Novara und
im Vorjahr auch in Salzburg durchcinandergeht, hat weniger
mit Mannigfaltigkeit und Reichtum als mit Ahnungslosigkeit
zu tun. Die feinen Unterschiede zwischen religiöser, christlicher,
sakraler und kirchlicher Kunst mögen hier unbeachtet bleiben.
Es genügt, daß nach dem allgemeinen Denkgebrauch christlich-
religiöse Kunst eine solche ist, in der die christliche Religion
an sich das Thema und das Motiv stellt. Daß dieser Denk-
gebrauch nicht ausreicht, weil man auch die Behandlung pro-
faner Themen und Motive durch einen zutiefst christlich-reli-
giösen Menschen als christlich-religiöse Kunst bezeichnen
könnte, sei nur erwähnt, ahcr außer acht gelassen, weil an
Verwirrung ohnedies bereits kein Mangel ist.
Im allgemeinen nun werden christlich-religiöse Thematik und
Motivik als fixe geistige Sachverhalte angenommen und fast
einander gleichgesetzt. Nach dieser Annahme also erschöpft sich
schon fast seit der Romanik die christliche Kunstthematik in
den Motiven aus der Heils- und Heiligengeschichte oder aus der
einschlägigen Symbolik. Dieser Motivkreis aber ist, wenn man
die Symbolik ausschließt, vorwiegend literarischer Natur. Er
setzt sich aus Legenden, die es zu erzählen, und aus „Ideen",
die es zu belegen gilt, zusammen. Zu solcher Motivik gehört
daher eine in erster Linie darstellende, also auf die Wiedergabe
von optisch Erfahrenem oder Vorgestelltem abgestimmte For-
mungsweisc, wie sie von der Gotik bis in die zweite Hälfte des
19. Jahrhunderts reicht. In Gotik, Renaissance und Barock wie-
der als den im Religiösen ergiebigsten Stilepochen gedeiht die
entsprechend reichste Form, während die des 19. jahrhunderts
nur noch ein bloßer Abglanz davon ist und die des 20. über-
haupt so gut wie außer Diskussion steht.
Seit dem Impressionismus nämlich und crst recht nach ihm
ist es mit der darstellenden oder auch verklärcnden Wiedergabe
von Erscheinungswelt als künstlerischer Aufgabenstellung so
Francesco Somaini, „Kreuz". Bronze.
Hier kann man sich zumindest vorstellen, daß Matcrialfragmente
oder -trümmer (Schrapnelb, Granalspilter) von sich aus ein Kreuz
gebildet hätten. Man sich! sich also einem Ergebnis gegenüber,
das einem bildncrischen Vorgang entsprungen wirkt. bei dem die
Materie sozusagen von sich aus das Wort ergriff.