machte sich eine deutliche Empfindlichkeit für das Wachstums-
halte und für die gleichsam sanften Übergänge und Nuancice
rungen des sich Bildens und Vcrwandelns bemerkbar.
Erst recht braucht man sich nur die letzten Figuren in Stein
und Bronze anzuschauen, um zu erkennen, mit welcher Suh-
tilität Wotruba heute der ganzen Skala der Möglichkeiten in
der Formbildung und in der Flächenbelebung gegenübersteht
und sich dieser Möglichkeiten zu bedienen weiß. Das aber nicht
etwa bloß um irgendwelcher äußerer ästhetischer Reize und
Effekte willen, sondern einzig und allein, um das, was seine
Figuren an Menschenbild und Sehieksalhaftigkeit zu sagen ha-
ben, zu größtmögliehem Reichtum zu entwickeln. Da ist kein
Trotz mehr, auch keine Gewaltsamkeit, aber auch nichts, was
nur im Arteliziellen, in der künstlerischen Machart begründet
läge, sondern wenn je und irgendwo, so geht es hier um leben-
dige Gestalt als Gleichnis, eben als Menschenbild und damit
als ein Zeichen, das Haltung im Sinne von schicksalswilliger
Bereitschaft zum Leben strahlt und anträgt.
Daß viele diese Zeichen nicht verstehen, weil sie die gespiegelte
und ins Ideale erhobene fertige Natur vermissen, ist unvermeid-
lich. Zeichen aber sind nun einmal nicht mehr gespiegelte oder
idealisierte äußere Erscheinung, sondern verhüllte Boten aus
dem Geheimnis des Wirklichen, wie auch das Menschenbild
erst dann wieder bedeutend und gleichsam leitbiltlfähig _wird
und werden kann, wenn es aus einer neuen, weil nicht mehr
mythischen oder mythologischen, sondern im Gestaltwerden
schlechthin wurzelnden „Archaik" wächst, wie das bei Wotru-
ba der Fall ist.
VON DER SCHWERE DES
ZU VIER BILDERN RUDOLF HAUSNERS
DASEINS
V0
JOHANN Musc
[K
In den Jahren 1945 bis 1948 hat der 1914 in Wien geborene
Maler Rudolf Hausner den Stil entwickelt, welcher sein Schnlfen
noch heute kennzeichnet. Eine Tendenz zu „enzyklopädischt-r"
Malweise begann, ein phantastischer Realismus. Altmeisterlichc
Lasurentechnik verband sich mit impressionistischer Polychro-
mie, expressionistischer Formverzerrung, kubistischer Raum-
vorstellung und assoziativen Prinzipien der Surrealisten in
eigentümlicher Weise; die Präzision der Geometrisch-Abstrak-
ten in der Komposition kam hinzu.
Seltsame, emplindungsschwere. grüblerische Bilder entstanden.
Aus der Wüstenlandschalt von „Ich hin Es", 1948, blickt ein
Wesen, das seinen Schwerpunkt in kindhalten Dingen (welche
durch Spielzeug symbolisiert sind, das I-lausner hinzumalte)
und animalisch-körperlichen Umständen hat, durch ein aulgea
rissenes Firmament lorschend hinaus in eine unbekannte dunkle
Welt. Das Wesen liegt schwerlällig da. Es dehnt sich mit äußer-
ster Gewalt und mühsam. Es will sich erheben. Ich bin „Es".
Zuviel Animalisches, Lastendes, Dunkles ist in mir. „Aus Es
(dem Triebbcstimmten), soll Ich (Vernunftbeherrschtes) wer-
den", sagt Freud. Nicht zufällig klingt der Titel des Bildes
an diese Formulierung an.
Von Erkennlnisdrang ist das Wesen besessen. Schulbildung wird
skeptisch zitiert. In einer imaginären Raumlorm, die wie bei
den Kubisten umschlägt, finden sich Fürwörter- und Zahlen-
reihen. Der Wecker ruft zur Einhaltung des Stundenplans. Der
Schüler bläst intellektuelle Seifenblasen. Die eigentliche Er!
kenntnis ist erst noch zu gewinnen: der Blick hinter die Ku-
lissen der Welt auf das Bewegende, das alles treibt, den Gang
der Weltenkörper am Firmament, den Gang des Lebens auf
der Erde.
Etwas Solides, Präzises kennzeichnet Hausners Vortragswcise,
und Gedankliehes wird unmittelbar malerische Form. Das Ocker-
Violett der Grundstimmung hat Ernst, die Akkuratesse der l'or-
malen Durchführung Gewissen. Das Kompositionclle spielt mit.
Nicht allein die Figur will sich erheben. Die Vertikalen, im
Rudolf Hausner: Adam nach dem Sündenfall, 1958. Öl und 'l'entpcra
auf Holz (84 m X 52 cm).
Bundesmlnlxterlum für linterrlcht
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