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Volltext: Alte und Moderne Kunst IV (1959 / Heft 7 und 8)

EIN ANTIKER GEMMENRING 
WIENER PRIVATBESITZ 
IN 
Von JOHANNA 
IABERL 
Es gibt wenige Objekte antiker Kleinkunst, deren Herkunft man 
heute zumindest 400 jahre lang zurückverfolgen kann. Herkunft 
ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, was ich vielmehr 
meine, ist der Typus unserer Gemme, von der es, ihrer Art ent- 
sprechend, mehrere Stücke gegeben haben muß. Wir begegnen 
ihm zum erstenmal in der Sammlung Lorenzo de Meclicis, von 
Gori 1731 in seinem Werk verzeichnet 1. 
Die Geschichte der hier erstmalig publizierten Gemme reicht bis 
in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück, als Freiherr von 
Prokesch-Osten kaiserlich-königlicher Gesandter in Athen und 
Konstantinopel war. Während seines Aufenthaltes in Griechen- 
Stadt Athen jährlich als Tribut dem stierköpfigen König von 
Kreta erstellen mußte, auszog) schmählich am Strande der Insel 
Naxos verlassen, während sie, übermüdet von den Anstrengungen 
der Flucht, eingeschlafen war. Sie hatte Theseus mit llilfe eines 
Fadens aus den Irrgängen des Labyrinthes herausgeführt, sodaß 
er das stierköpfige Ungeheuer töten und die athenischen Jung- 
frauen und Knaben befreien konnte. Die von ihrem Geliebten 
verlassene Königstochter wurde von Dionysos und seinem Ge- 
folge, die trunken die Insel Naxos durchschweiften, gefunden 
und der Gott des Weines, von ihrer Schönheit ergriffen, erwählte 
sie zu seiner Gemahlin. 
 
 
Antiker Ring mit massiver Silberfassung und einem aus violetter Glas- 
paste geschnittenen Stein, mit einer fünffigurigen Szene. Anfang 3._ll1. 
n. Chr. Durchmesser der Gemrnc 35 X 27 mm. 
Derselbe Ring en profil. Mnn kann die Umrißlinien der negativ einw 
geschnittenen Szene und die durch die Lagerung in der Erde aufge- 
tretene Oxydation des Silbers deutlich erkennen. 
land und in der Türkei entstand eine, wenigstens in Österreich 
noch bekannte Sammlung von Antiken aller Art (darunter eine 
sehr bedeutende Münzensammlung) und auch das hier bespro- 
chene Stück wurde, mündlicher Überlieferung nach, zu dieser 
Zeit in Kleinasien erworben. Die Sammlung Prokesch-Osten 
wurde nach dem ersten Weltkrieg in Wien versteigert und die 
Gemme gelangte zusammen mit anderen Objekten in die Hände 
des nunmehrigen Besitzers. 
Das Stück ist ein Unikat, besonders interessant, weil es noch in 
der originalen Fassung auf uns gekommen ist und diese, sowie 
die Gcmmc selbst vollständig erhalten sind. Die Gemme, ein 
etwas unrcgelmäßiges Oval von 35 x 27 mm, ist aus amethyst- 
farbenem Glasiuß und in eine massive Silberfassung eingebettet, 
die allerdings stark oxydiert ist. Der Ring wiegt 47 gr. 
Die fünffigurige Szene der Gemme lfißt sich ohne weiteres als 
eine Darstellung aus der griechischen Mythologie, nämlich der 
Auffindung der schlafenden Ariadne durch Dinoysos (Bacchus) 
deuten. Ariadne, eine Tochter des Königs Minotauros von Kreta, 
wurde von ihrem Liebhaber Theseus (dem attischen National- 
helden, der zur Errettung der jungfrauen und Knaben, die die 
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Genau dieser Augenblick ist auf unserer Gemme illustriert. Nur 
hat der tragische und ernste Ton der Sage einer heiteren, fast 
scherzhaften Komödie Platz gemacht. Von dem ungetreuen Lieb- 
haber, der sich heimlich auf seinem Schiff davonmachte, blieb 
nur mehr der Helm - und der eines anscheinend attischen Stut- 
zers - zu Füßen der sich kokett räckelnden Ariadne. Diese ist 
hier, nicht wie in der Sage und auf den meisten der erhaltenen 
Bildwerke, auf einem Felsen gelagert, sondern auf einem thron- 
artigen Stuhl sitzend, wiedergegeben. Der trunkene Gott, von 
seinem Diener nur mit Mühe gestützt, schaut unternehmungs- 
lustig auf die Schlafende, die soeben vom boeksfüßigcn Pan und 
Ampelos (einem Lieblingsknaben des Dionysos, den er nach sei- 
nem Tode in eine Weinrebe verwandelte und der so unsterblich 
wurde - Ampelos:griechisch die Weinrebe) entdeckt wird. 
Die ganze Szene läßt eher an die Wiedergabe eines Thea- 
terstückes denken, als eines Gemäldes, wie uns eines aus dem 
Tempel des Dionysos in Athen durch Philostrat und Pausanias 
literarisch überliefert ist, das vielen derartigen Kompositionen 
zum Vorbild gedient haben soll. Es ist bekannt. daß man zu 
Ehren des Weingottes (den Dionysien) Satyrspiele aufführte,
	        
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