EIN ANTIKER GEMMENRING
WIENER PRIVATBESITZ
IN
Von JOHANNA
IABERL
Es gibt wenige Objekte antiker Kleinkunst, deren Herkunft man
heute zumindest 400 jahre lang zurückverfolgen kann. Herkunft
ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, was ich vielmehr
meine, ist der Typus unserer Gemme, von der es, ihrer Art ent-
sprechend, mehrere Stücke gegeben haben muß. Wir begegnen
ihm zum erstenmal in der Sammlung Lorenzo de Meclicis, von
Gori 1731 in seinem Werk verzeichnet 1.
Die Geschichte der hier erstmalig publizierten Gemme reicht bis
in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurück, als Freiherr von
Prokesch-Osten kaiserlich-königlicher Gesandter in Athen und
Konstantinopel war. Während seines Aufenthaltes in Griechen-
Stadt Athen jährlich als Tribut dem stierköpfigen König von
Kreta erstellen mußte, auszog) schmählich am Strande der Insel
Naxos verlassen, während sie, übermüdet von den Anstrengungen
der Flucht, eingeschlafen war. Sie hatte Theseus mit llilfe eines
Fadens aus den Irrgängen des Labyrinthes herausgeführt, sodaß
er das stierköpfige Ungeheuer töten und die athenischen Jung-
frauen und Knaben befreien konnte. Die von ihrem Geliebten
verlassene Königstochter wurde von Dionysos und seinem Ge-
folge, die trunken die Insel Naxos durchschweiften, gefunden
und der Gott des Weines, von ihrer Schönheit ergriffen, erwählte
sie zu seiner Gemahlin.
Antiker Ring mit massiver Silberfassung und einem aus violetter Glas-
paste geschnittenen Stein, mit einer fünffigurigen Szene. Anfang 3._ll1.
n. Chr. Durchmesser der Gemrnc 35 X 27 mm.
Derselbe Ring en profil. Mnn kann die Umrißlinien der negativ einw
geschnittenen Szene und die durch die Lagerung in der Erde aufge-
tretene Oxydation des Silbers deutlich erkennen.
land und in der Türkei entstand eine, wenigstens in Österreich
noch bekannte Sammlung von Antiken aller Art (darunter eine
sehr bedeutende Münzensammlung) und auch das hier bespro-
chene Stück wurde, mündlicher Überlieferung nach, zu dieser
Zeit in Kleinasien erworben. Die Sammlung Prokesch-Osten
wurde nach dem ersten Weltkrieg in Wien versteigert und die
Gemme gelangte zusammen mit anderen Objekten in die Hände
des nunmehrigen Besitzers.
Das Stück ist ein Unikat, besonders interessant, weil es noch in
der originalen Fassung auf uns gekommen ist und diese, sowie
die Gcmmc selbst vollständig erhalten sind. Die Gemme, ein
etwas unrcgelmäßiges Oval von 35 x 27 mm, ist aus amethyst-
farbenem Glasiuß und in eine massive Silberfassung eingebettet,
die allerdings stark oxydiert ist. Der Ring wiegt 47 gr.
Die fünffigurige Szene der Gemme lfißt sich ohne weiteres als
eine Darstellung aus der griechischen Mythologie, nämlich der
Auffindung der schlafenden Ariadne durch Dinoysos (Bacchus)
deuten. Ariadne, eine Tochter des Königs Minotauros von Kreta,
wurde von ihrem Liebhaber Theseus (dem attischen National-
helden, der zur Errettung der jungfrauen und Knaben, die die
12
Genau dieser Augenblick ist auf unserer Gemme illustriert. Nur
hat der tragische und ernste Ton der Sage einer heiteren, fast
scherzhaften Komödie Platz gemacht. Von dem ungetreuen Lieb-
haber, der sich heimlich auf seinem Schiff davonmachte, blieb
nur mehr der Helm - und der eines anscheinend attischen Stut-
zers - zu Füßen der sich kokett räckelnden Ariadne. Diese ist
hier, nicht wie in der Sage und auf den meisten der erhaltenen
Bildwerke, auf einem Felsen gelagert, sondern auf einem thron-
artigen Stuhl sitzend, wiedergegeben. Der trunkene Gott, von
seinem Diener nur mit Mühe gestützt, schaut unternehmungs-
lustig auf die Schlafende, die soeben vom boeksfüßigcn Pan und
Ampelos (einem Lieblingsknaben des Dionysos, den er nach sei-
nem Tode in eine Weinrebe verwandelte und der so unsterblich
wurde - Ampelos:griechisch die Weinrebe) entdeckt wird.
Die ganze Szene läßt eher an die Wiedergabe eines Thea-
terstückes denken, als eines Gemäldes, wie uns eines aus dem
Tempel des Dionysos in Athen durch Philostrat und Pausanias
literarisch überliefert ist, das vielen derartigen Kompositionen
zum Vorbild gedient haben soll. Es ist bekannt. daß man zu
Ehren des Weingottes (den Dionysien) Satyrspiele aufführte,