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Volltext: Alte und Moderne Kunst IV (1959 / Heft 7 und 8)

DER GRAPHIKER 
R. E. KARSCH 
UND MALER 
V0 
1 NORBERT WILTSCH 
Auf dem Blatt „Troja schläft", im Original mit einem stumpfen 
nächtlichen Rot getönt, ist im Mittclgrund von Mauerwerk halb 
verdeckt das Trojanische Pferd zu sehen. Noch haben es die 
Krieger nicht verlassen. ln den Winkeln der weitläufigen Archi- 
tektur sind Menschen zum Schlafen hingelagert. Die im Bild fest- 
gehaltene Stunde ist scheinbar voll Ruhe. Aber die Gestalten der 
Bauelemente haben schon mehr als die nächsten Stunden des 
Kampfes vorweggenommen, sie zeigen bereits vielfach den Zu- 
stand des Zerstört-seins an. Die eminente Spannung liegt nun 
nicht sosehr in der Andeutung der Kriegslist durch den Pferde- 
kopf, nicht in diesem und jenem, was dargestellt ist, sondern in 
den Bogen und Waagrechten, die als Gegensätze die Szenerie der 
Festung erfüllen. 
in diesen formalen Elementen des einen Blattes ist XVesentliches 
enthalten, das bei R. E. Karsch immer wiederkehrt. Die beiden 
Türme, die wir abbilden, sprechen die gleiche Sprache noch 
deutlicher: der eine Turm brennt noch, der andere ist nur mehr 
Ruine; aber was für eine Ruine! Das Mauerwerk ist zum Teil 
abgefallen, die Reste sehen zerfressen aus. Die Zerstörung hat 
nicht nur Innenräume aufgerissen, sondern auch Rohre und 
Röhren freigelegt, das Gebäude war schon auf Hohlem errichtet 
- so könnte man es wenigstens deuten - und übriggebliebcncs 
Sparrenzeug erscheint gerippehaft fast als ein aufgebrochener 
Brustkorb. Relikte künstlicher Formen wie Voluten und barocke 
Gebilde lassen als geprägt Gewesenes den vorangegangenen Zu- 
stand der Kultur (im Sinne des Gepflegten) noch ahnen. 
Alles „steht" oder, genauer gesagt, es befindet sich irgendwo, 
und wenn es auch eine Säule ist, die in der Luft schwebt, so ist 
damit nicht eine Bewegung gemeint. Karsch hat Blätter gemacht, 
auf denen der Zusammenbruch, z. B. wiederum eines Turmes, in 
der Art sichtbar wird, daß der Bau nach zwei Seiten auseinander- 
stürzt, der Keil von Leere in der Mitte aber nun optisch als der 
Schlag einer Axt wirkt, der getroffen, gespalten hat; die umher- 
fliegenden Trümmer aber „stehen" in der Luft, und es sieht aus, 
als ob die Filmaufnahme eines einstürzenden Gebäudes gestoppt, 
aufgehalten worden wäre. (Zum Spaß sieht man solche Bilder 
gelegentlich in Wochenschauen und dazu dann, durch Rück- 
wärtsdrehen des Films, den komischen „WiederaufbauÜ. Wenn 
dem Betrachter sich solche Assoziationen aufdrängen, soll des- 
wegen noch nicht auf einen Einfluß vom Film her geschlossen 
werden, es handelt sich wohl um die Gleichzeitigkeit von Dar- 
stcllungsaufgaben und -inhalten in den verschiedensten Gebieten 
optischer Wiedergabe und auch optischer Aussage von heute. 
Die Gegensätzlichkeit, die Karsch' Bilder immer wieder mit Dy- 
namik erfüllt - wie schon anfangs betont -, liegt aber nicht so 
sehr im Kontrast eines Ganzen und der Stücke oder des Zer- 
stückten (obwohl gerade von dieser Spannungsmöglichkeit etwa 
das „Gerippe" und die „llaut" eines schirmartig entfalteten 
Tuches Zeugnis ablegen), sondern wird mit hintergründigeren 
Mitteln forciert: Eine Fahne z. B. bauscht sich, ohne daß eine Ur- 
sache für die Bewegung erkennbar wäre, an einer Stange derart, 
daß man von einem unsichtbaren Wind sprechen möchte, von 

	        
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