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Volltext: Alte und Moderne Kunst IV (1959 / Heft 7 und 8)

 
R. E. Karsch: „Der Blinde". 
Bild rechts oben: 
R. E. Karsch: „Kreuzigung". 
diesem Blatt wird in der rechten Ecke unten, während Vulkan- 
ausbrüche und Erdrisse Feuer und Rauch ausstoßend den Augen- 
blick der Menschheitsgeschichte begleiten, eine Gestalt schwach 
sichtbar, die, eine Faunsflöte blasend, unberührt von dem Ge- 
schehen bleibt. Das Barbarische aber, das in unserer Zeit wieder 
aufgebrochen ist und überall in Karsch' Bildern gepackt wird, 
erscheint einmal gleichsam in Person dargestellt: in der Gestalt 
eines Standbildes auf einem der Troja-Blätter. Da steht eine Me- 
tallfigur, die jahrtausende in der Erde gelegen hat, von der Zeit 
zernagt ist, aber doch durchaus mächtig, neben ihr der Schild, 
ebenso verätzt. 
Bevor Karseh zu der Art gefunden hat, in der er heute schafft 
und Symbole zeigt, die man mit der alten Worterklärung der 
„Zusammenwerfungen" ansprechen könnte, hat er eine natur- 
und, vor allem, menschengestaltnahe Darstellung bevorzugt, die 
wir hier auch mit einem Beispiel vorführen möchten: „Blind". 
Die Herkunft aus sozialkritischen Auseinandersetzungen ist 
ebenso evident wie die Aussage des Sinnlosen, hier in dem Vor- 
gang, daß der vom Hund geleitete Blinde zusammengeschossen 
wird. Dem Gegenständlichen ist Karsch bei allen einschneiden- 
den Wendungen treu geblieben. Er selbst würde diese Feststel- 
lung für gar nicht so vordringlich halten. S0 sagte er einmal: 
„Ich denke, daß die Gegenüberstellung von Gegenständlichcm 
und Nicht-Gegenständlichem weniger wichtig ist, als man an- 
nimmt. Entscheidender ist lwohl der Gegensatz Räumlich-Flächig! 
Der gegenständlich arbeitende Maler stellt genau so wie sein 
scheinbarer Widerpart Farbflecke, Flächen, Linien und so weiter 
abstrakt, optisch gegeneinander, er fügt Teile zu einem harmo- 
nischen Ganzen. konfrontiert Kontraste, so daß ein abstraktes 
Grundgerüst entsteht. Im Augenblick, wo diese Anordnungen 
in der Fläche nun räumlich gestaltet werden, bilden sich schon 
Gegenstände; man kann sie greifen, wenn auch vielleicht noch 
nicht immer begreifen, weil sie gerade nicht bekannte Dinge wie 
Bäume, Steine, Bauten darstellen, nicht dcutbar sind". 
Das vorangegangene Stadium des Schaffens, dem wir das Bei- 
spiel „Blind" entnommen haben, nur als eine Vorbereitung oder 
als einen Übergang zum heutigen mit der stärkeren Affinität zur 
(nachtseitigenl) Romantik anzusehen, wäre ungerecht. Es hat wie 
ein Kristall seine geschlossene und bleibende Form, und nicht 
nur einen Wert in einer „Entwicklung". Eine solche Wendung 
ist wie fast alles Wichtige im Leben nicht durch eine Ursache 
bestimmt worden, doch ließe sich vorstellen, daß einer der 
Gründe für die Wendung in dem Gefühl lag, sich von neuen 
Kräften in der Auseinandersetzung mit dem Leben und der 
Wirklichkeit ergreifen und tragen lassen zu müssen. Das ist 
künstlerpsychologisch durchaus real. 
Die Meisterschaft ist in beiden Arten überzeugend: Wie der 
Blinde „richtig" gezeichnet ist, wie er tatsächlich hart geht, ist 
treffend in der Gestalt, wie tiefstes Schwarz und hellstes Weiß 
einander begegnen, ist treffend in der Form - beides bildet im 
Gesamtwerk sicher einen Höhepunkt. Vielleicht lag nun in die- 
sem „Erreicht-haben" eben ein Anlaß, zu neuen Ufern vorzu- 
stoßen. Es gibt bei Künstlern ein auftretendes Gefühl des „Ge- 
nug", das sich für Veränderungen im Schaffen stärker auswirkt 
als die sogenannte Entwicklung. Schon die Motorik der Strich- 
führung des von der Radierung herkommenden Künstlers 
Karsch arbeitet nun anders und führt zu jenen meisterhaften 
Darstellungen, von denen wir mehrere wiedergegeben haben. 
Die Blätter sprechen, in dieser und in jener früheren Form, vom 
Argen in der Welt, vom Un-sinnigen. Die Erlebnisse, die diesen 
Bildern im wahrsten Sinne zugrunde liegen? Es ist ein unerhör- 
tes Betroffen-sein vom Bösen in der Welt, um so stärker als 
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