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Volltext: Alte und Moderne Kunst IV (1959 / Heft 7 und 8)

DIALOG MIT DER ZEIT 
[I'M WERK DES BILDHAUIiRS WANDLR BLRTONI 
Von jOHANN MUSCHIK 
Der Oeuvrekatalog des noch nicht Hjährigen Bildhauers Wunder 
Bertoni hält nunmehr bei Nummer 129. Die ersten plastischen 
Versuche hat der Austro-Italiener im Jahre 1945 gemacht. Ber- 
toni wurde als Kind kleiner Leute in Codisotto in der Provinz 
Emilia geboren. 1943 deportierten die Nazi ihn als IMI (auslän- 
dischen Arbeiters) nach Wien. Hier fand er Anschluß an den 
Kreis um den Bildhauer Heinz Leinlellncr. Menschen wurden auf 
solche Weise seine Freunde, welche dcr Kunst des Dritten Rei- 
ches (und nicht nur dessen Kunst) ablehnend gegenüberstandcn. 
Bertoni wurde zusammen mit anderen Fremdarbeitern von Be- 
wachungsmannschalten damals zwischen der Fabrik und dem 
Lager hin- und hereskortiert. Nur einmal in der Woche konnte 
er sich irei in der Stadt bewegen. Ein junger italienischer Kunst- 
student, den er im Gasthaus kcnnenlernte, stellte die Verbindung 
zu dem Atelier im Prater her, das Leinlellner gehörte. Das un- 
gewohnte Milieu erweckte Bertonis Interesse, und bald versuchte 
er sich selber in der Bildhauerkunst. Nach Kriegsende wurde er 
Schüler Wotrubas, blieb es bis 1949. 
Opus 1, die „Wasserträgerin" (1945), gemahnt an balkanische 
und südländische Volkskunst. Eine gewisse Großzügigkeit der 
Form und schwungvolle Vereinfachung lassen den künftigen 
Bertoni erahnen. Freundlich berührt die Frische der Figur; ihre 
Wander Berloni. "COHCCFIO". 
Holz, 1950. 
Mensehlichkcit, ihr Charme bezaubern. In der „Kämmenden" 
von 1946 ist die weit ausholendc Armbewegung um den Kopf der 
Frau das Thema, und es erstaunt immer wieder, mit welchem 
sicheren Gefühl dieser Anfänger jene starke Gebärde mit dem 
Volumen und der Kontur des Körpers sonst zu einer ruhigen, in 
sich federnden Harmonie zusammenschließt. 
Bertoni ist in seiner Welt daheim. Er fürchtet nicht, durch Hin- 
neigung zum Thema und zur physischen Schönheit, „Verrat an 
der Form", an der „künstlerischen Materie" zu begehen. Form 
wird nie „autonom" bei ihm. Immer haust Seele in ihr, und das 
Thematische wird gereinigt durch eine sehr starke Empfindung 
für Form. Das „FamilienWThema zum Beispiel, das Thema der 
„Licbenden" und das Thema von „Mutter und Kind" hat Ber- 
toni in einer Reihe von Werken auf einer Skala durchgespielt 
(1948fi959), die von rührender, leiser, beinahe linkischer und da- 
bei dennoch sehr „1eordneter" Anmut bis zu allergrößter For- 
menstrengc reicht. Humanitas und der Hauch einer patriarchali- 
schen Welt fehlen nie. Durch ihre Kreatürlichkeit besticht die 
feine „Liegendc" von 1947. 
In jedes künstlerische Abenteuer ließ Bertoni sich ein. Das war 
ja die Situation der jungen Wiener Künstler überhaupt _ daß 
sie, was moderne Kunst auf ihren großen Fahrten seit Beginn 
des Jahrhunderts entdeckt und entwickelt hatte, nun erst, nach 
so vielen Jahren Krieg und Faschismus in sich aufnehmen, es 
verarbeiten konnte. jeder fühlte: ohne dieses „Nachholen" war 
ein Fortschreiten in die Zukunft als eigenständiger, zeitgenössi- 
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