Gefungtnnähmc Chrmi. Aus den "Concordumiue Carmnis" des Ulrich von Lilien-
feld (Lilienfeld, cod. 151. fol. 80'), um 1355.
pflichteten Gesinnung zu weichen. Man gelangte über ver-
zelte Ansätze nicht hinaus, deren revolutionäre Züge bei
Nachahmcrn doch wieder zur bloßen Formel erstarrten.
hl wurde das Tor zur ästhetischen und sinnlichen Würdi-
g der Lebenswirklichkeit geöffnet und damit einer „irdi-
en", auf Beobachtung und Einfühlung beruhenden Ausdrucks-
ist der Weg gewiesen - die Ergebnisse aber bleiben (trotz
er künstlerischen Großartigkeit) im Vorspielhaften befan-
. Noch herrscht auf weiten Strecken eine zwar nicht aus-
ließlich idealisierendc, stets aber typisierende Kunst, die im-
' noch der Schlaglichter des alltäglich und konkret Beobach-
n ermangelt, das der menschlichen Erfahrung entspräche und
er zwischen Werk und Betrachter jene Nähe unmittelbaren
:dererkennens und Nachempfindens stiften könnte, die den
usamen Sujets der Spätgotik ihre peinigende Drastik geben
d.
hl aber fallen solche Schlaglichter schon auf einzelne XVerke
dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts, und von ihnen
hier die Rede sein. In den betont schönformigen, nicht selten
leerer Eleganz gesteigerten Stil dieser Epoche dringen ab
5 die Vorboten jenes Realismus ein, der das Ende des jahr-
derts völlig beherrschen und, nach dem „idealistischen" Zwi-
anspiel des Weichen Stils zu Beginn des 15. Jahrhunderts, das
icht der Spätgotik vollends prägen wird. Daß unsere Bei-
rle sämtlich der Buchmalerei entnommen sind, ist kein Zu-
: In dieser gleichsam intimeren Gattung waren Experimente
glich, die man an den monumentalen Malereien der gleichen
t noch vermied. Auch bot die Bilder- und Themenfülle illu-
tierter Handschriften viel eher einen Anlaß zum Erproben
er Fähigkeiten als die beschränktere und konservativere
nographie der Tafel-, GlaS und Wandgemälde.
' Zeichner jener Armenbibel etwa, die vermutlich um 1331 in
sterneuburg entstand, hatte - wie wir wissen - eine um
20 Jahre ältere Vorlage vor sich, aus der er seine Szenen fast
Strich für Strich kopierte 1. Dennoch haucht er ihnen fallweise
ein ganz neues Leben ein: anstatt sich mit der tänzerischen Zap-
peligkeit der Figuren zu begnügen, die einer alten Formel für
den Zustand seelischer Erregtheit entspricht, strebt er nach einer
psychologischen Durchdringung, die uns den Vorgang auch dann
deuten ließe, wenn er nicht durch die Pcrsoncnnamen bezeich-
nel wäre. Ähnlich verschiebt der Illustrator des Schaffhausener
Evangelienkommentares den Akzent vom Zeichcnhaften auf das
Konkrete. Die Wunder, die geschahen, während Christus am
Kreuze starb, werden mit der Unmittelbarkeit eines Augen-
zeugenberichtes gesehen; die kleine menschliche Figur - ganz
verkörperte Angst und von ferne an Edvard Munchs packende
Formulierung des „Schreiens" gemahnend - erscheint in sol-
chen Zusammenhängen eigenartig „modern", obwohl sie letzten
Endes doch nur ein Bruchstück aus einer älteren ikonographi-
sehen Tradition ist: ein „Verdammter" nämlich, wie ihn schon
die Weltgerichtsdarstcllungen des 13. Jahrhunderts kannten.
Hier schließen sich zwei etwas jüngere und aus dem gleichen
niederösterrcichischen Gebiet stammende Handschriften mit
ähnlichen Experimenten an. Der Illuminator, der die Bibel des
Kustos Dietrich mit einem oft reproduzierten Titelbild 1 und mit
zahlreichen, bisher noch völlig unbekannten Initialen schmückte,
stand offenbar unter italienischem Einfluß. So verdankt er etwa
die Anregung, seine Zierbuchstaben mit den verschiedenartig-
sten „Charakterköpfcn" auszufüllen, dem Vorbild bolognesischer
Dekretalcn-Sammlungen, wie sie damals auch in Österreich ge-
kauft und benützt wurden. Worin er sie übertrifft, ist die Beob-
achtung, daß ein menschliches Gesicht, von unten angcleuehtet,
einen dämonischen Ausdruck gewinnt. Ein solcher Kunstgriff
muß besonders in einer Epoche überraschen, deren Malerei sonst
bestenfalls eine diskrete Schattenmodelierung, wie sie diffuser
Beleuchtung entspräche, kennt, nicht aber den Lichteinfall aus
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