Gcflechlkompositiun, Kontraste der Richtungen. Vorsemcsler, Volk-
wang-Werkkunsischule Essen. Prof. Max Burchzmz.
eine "Selbstentäußerung" im Sinne eines neuen und unvergleich-
lichen Gehorsams dem objektiven Leben gegenüber gefordert,
was freilich nicht als seine Selbstaufgabe, als sein Selbstverlust
mißverstanden werden darf. Es geht vielmehr im Gegenteil um
einen sehr viel tieferen Persönlichkeitsbereich des Individuums
als zur Zeit von dessen angeblicher Autokratie, weil ja erst
jener tiefere Bereich der Wcscnswirkliehkeit gemäß und so für
sie erreichbar ist. Nur ihm teilt sich überhaupt das „Objektive"
mit.
Wenden wir uns nun von hier aus wieder der Frage der Nach-
wuehsschulung zu, so zeigt es sich, daß bereits Klee. Kan-
dinsky, Hölzel, van Doesburg und andere, der Entwicklung zum
Teil weit vorauseilend, den veränderten und sich weiterhin ver-
ändernden bildnerisehen Sehaffensumständen auf ihre Weise
Rechnung trugen. Die zu Beginn der zwanziger Jahre ent-
wickelte „Grundlehre" am Weimarer Bauhaus war ein ent-
sprechender Versuch und Niederschlag. Da aber vor bald vierzig
Jahren die sachliche Basis und Voraussetzung für die Teilnahme
am „bildnerischen Selbstvollzug" noch nicht gegeben, sondern
erst die „Lirgründungf in vollem Gange war, kam es selbst-
verständlich auch zu mancherlei Spekulation, ganz abgesehen
davon, daß sich fast alle traditionellen Kunstschulen den Bau-
zu untersuchen gälte, ob Faulheit, Nihilismus und Fluchtsprung
nicht vielleicht sogar auf einen über den Kreis der Kunstjünger
hinaus verbreiteten Hoffnungs- und Glaubensmangel gegenüber
der Zukunft zurückzuführen sind, und wer an diesem Glaubens-
mangel eigentlich die Schuld trägt; oh also nicht vielleicht die
Erwachsenen und die das Zeitgesicht bestimmende Menschen-
garnitur aus allen Berufssparten mit ihrcm durch eine schauer-
liche Kulturphrascologie kaschierten llaltungsmangel für jenen
Glaubensmangel verantwortlich zu machen wären. Ganz abge-
sehen hiervon aber hat wohl jene passive Resistenz ganzer
Kunstschülerkreise im wesentlichen andere Ursachen, und diese
aufzudecken, will ungleich wichtiger erscheinen.
Machen wir uns einmal die Lage der freien Kunst und ihre Ent-
wicklung klar, so ergibt sich deutlich, daß, selbst wenn wir nur
von unserem Jahrhundert sprechen, seit 1900 etwa ein höchst
gewichtiger Umbruch im Gange ist. Man trat damals unbestreit-
bar aus dem Stadium der verklärenden Darstellung der
natürlichen Erscheinungswelt in das ihrer ausgesprochen deu-
tenden Ergründung über. Diesen Übertritt im einzelnen zu
schildern oder auch nur summarisch zu belegen, erübrigt sich,
da bereits seit mehr als 50 jahren ständig solche Schilderungen
und Belege vorgewiesen werden und infolgedessen auf die, die
den besagten Übertritt noch immer nicht begreifen oder auch
nur wahrhaben wollen, kaum mehr wirklich Bedacht und Rück-
sicht genommen werden kann.
Dieser Übertritt jedoch war nur die erste Phase des gesamten
Umbruchs. Ab 1945 nämlich setzt eine neue Phase ein. Sie hat
die Teilnahme des Malers oder Graphikers (und nur von ihnen
soll die Rede sein) gewissermaßen am bildnerischen Selbstvoll-
zug der zuvor ergründeten Wesenswirklichkeit und ihrer gleich-
sam unmittelbaren, also nicht mehr erst durch die Erscheinungs-
wirklichkeit gefilterten und „getrübten" Gestaltimpulse zum
Thema und zum Ziel.
Diese neuerliche Positionsveränderung geht daher vielleicht
sogar noch weiter als die vor 1900. Denn Darstellung und Ex-
gründung beziehen sich nicht nur immer noch auf die gleiche
Erscheinungswirklichkcit, sondern sie gehen auch immer noch
vom gleichen Subjekt, nämlich eben dem Maler und Graphiker
als solchem aus, weil schließlich seine Auffassung von dem ent-
sprechenden Motiv entscheidend ist. Die korrespondierende
Teilnahme am bildncrischen Selbstvollzug der Wesenswirklich-
keit und ihrer Gestallimpulsc hingegen erhebt diese fast zum
Hauptsubjekt. Vom bildenden Individuum also wird geradezu
Komposition mit positiven und negativen Flächen. Vorsemestcr, Volk-
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