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Objekt: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 165)

Die Zeit des Vormärz (1815-48) brachte, bedingt 
durch die politische Unfreiheit sowie durch die ge- 
waltsamen Eingriffe der staatlichen Zensurbehör- 
den in alle Bereiche des täglichen Lebens eine 
beinahe völlige Abkehr des Bürgertums vom öf- 
fentlichen Leben. Die Konsequente Folge daraus 
war die Flucht in ein beschauliches und geborge 
nes häusliches Leben innerhalb der Familie, in 
dem genügend Raum und Zeit für die Pflege per- 
sönlicher Interessen gegeben war. Zu den wesent- 
lichen Merkmalen dieser hochentwickelten Fami- 
lienkultur gehörten die Veranstaltung von Haus- 
musikabenden, die Ausübung künstlerischer 
Hausarbeiten und häuslicher Kunstpflege. Diese 
Entwicklung war aber nicht allein auf die Schicht 
des Bürgertums beschränkt, sondern hatte auch 
 
weite Kreise der aristokratischen Gesellschaft er- 
faßt. Es war dies zwar eine nur langsam in Er- 
scheinung tretende Tendenz, aber immer mehr 
hatten sich auch hier neue Bewertungsmaßstäbe 
in den Vordergrund geschoben, die einen Lebens- 
stil zur Folge hatten, der nicht mehr ausschließ- 
lich auf ein Reüssieren im Hofleben hin orientiert 
war, sondern auch Erfolge auf wirtschaftlichen 
und künstlerischen Gebieten gelten ließ. Befand 
sich doch der österreichische Adel während des 
Vormärz bereits in der Endphase einer Entwick- 
lung, in der er vorn Herrschaftsstand zu einem 
bloß privilegierten Staatsstand im allgemeinen 
Untertanenverband wurde und sich somit seine In- 
teressen mehr auf den privaten Gesellschaftsbe- 
reich verlagerten. 
 
Auch der Kaiserhof frönte den Idealen des bi 
meierlichen Familienlebens. Hier konnte 
aber bereits auf eine Tradition aus den Tagei 
ria Theresias zurückgreifen, in der die Repräs 
tionspflichten des Herrscherpaares nach 
nach eingeschränkt worden waren. Diese Ent 
lung führte während des Vormärz so weit 
Franz l. sein Erscheinen bei offiziellen Anlz 
auf ein Minimum verringerte und anstatt wir 
her üblich in Uniform fast ausschließlich in 
kleidung aufzutreten bevorzugte. 
Als authentischer Vertreter jener Zeit bezeit 
Adalbert Stifter in seinem iiNachsommer-r 
"reine Familienlebenii als "das größere Glücl 
Glück, das unerschöpflich scheint-i. Durch d 
allen Gesellschaftsschichten gleichermaßen 
wohnende Ideal wird verständlich, daß sic 
der Ausgestaltung des Wohnraumes die so: 
Unterschiede verwischten und zu einer für K. 
haus wie auch Bürgertum einheitlichen Wol 
tur führte. Es kam nicht mehr zur Ausbilduni 
Raum- oder Möbeltypen, die als spezifisch hü 
angesehen werden konnten. Natürlich gab e 
facher und kostbarer ausgeführte lnnendeko 
nen, sie waren aberje nach Wunsch und fina 
len Möglichkeiten in den Wohnungen aller: 
len Schichten zu finden. Ein Vergleich eines 
mes aus der Wiener Hofburg (Abb. 5) mit e 
bürgerlichen lnterieur (Abb. 4) von ungefäh 
selben Zeit zeigt, daß kaum ein Unterschie 
steht in den Qualität der Ausstattung ode 
verwendeten Möbeltypen. Der Wiener Hof 
vielmehr aufgehört, die Rolle eines Förderer 
Künste zu spielen. Die künstlerischen Impuls 
men aus den Reihen des Bürgertums und b 
digten in erster Linie die Bedürfnisse und Le 
gewohnheiten dieser Schicht. 
Im Gegensatz zur vorangegangenen Epochl 
Empire, die sich im österreichischen Kultur 
nie richtig durchsetzen konnte, verzichtete 
nun bei der innenarchitektonischen Ausgi 
tung der biedermeierlichen Wohnräume wi 
hend auf die Regeln der Symmetrie. Anstatt 
ster Linie der Repräsentation zu dienen, wurr 
allem der Bewohnbarkeit eines Raumes absr 
Vorrang eingeräumt. Eine Folgeerscheinun 
von bildete der Verzicht auf Stilreinheit und 
monie bei der Möblierung eines Raumes. N 
stücke, die an liebgewonnene Menschen eri 
ten, sei es aus freundschaftlichen oder famil 
Banden, wurden geschätzt und erhielten 
Platz im Wohnraum. Der Eindruck. der dabe 
stand, war der eines natürlich gewachsen: 
konstanter Entwicklung sich befindenden V 
raumes, der die individuelle Persönlichkeit s 
Bewohners widerspiegelte. 
Wenn man nun von der innenraumgestaltun 
Biedermeierzeit selbst zu sprechen beginr 
muß Biedermeier hier als kulturhistorische 
griff und nicht als stilistische Bezeichnung 
standen werden. Veränderte sich doch wäl 
der dreißigjährigen Periode des Vormärz di 
benseinstellung des Menschen kaum, das 
sche bzw. stilistische Erscheinungsbild s 
Umgebung aber war einem steten Wandel I 
worfen, wie dies auch heutzutage der Fall i: 
Zu Beginn der Biedermeierperiode, bei Absi 
des Wiener Kongresses, stand im österreichi: 
Raum das sogenannte "Empireu noch in 
Blüte. Ein Empire, das man als solches kau 
zeichnen kann, da es nur mehr wenig mit se 
französischen Ursprung gemein hatte. Für 
ren Zweck ist es daher notwendig, zwische 
Innenarchitektur des Raumes selbst und der 
in aufgestellten Objekten beziehungsweisr 
zur Raumgestaltung verwendeten Möbelsti 
zu unterscheiden. Als Charakteristikum 
Empire-lnnenraumes muß man eine einhei 
Farbenwirkung und eine symmetrische A
	            		
llardzimmer im Palais Auersperg in Wien; Gouache lphael Riegl. Entwurf für einen Toiletteraum (aus: lliener Zeitschrift-r 1818i lerieur; sign.: "F. Maleck, 1836"; Aquarell. Histori- hes Museum der Stadt Wien (lnv. Nr. 58774) rnennung des Prinzen F.J. Carl zum Herzog von iichstadt-r, Gouache; sign.: "Hoechle, 1818:. Histori- hes Museum der Stadt Wien (lnv. Nr. 81087) erkungen 1-6 (s. Text S. 4v5 u. 6) ener Kunst- und Gewerbsfreund. oder der neueste Wiener Ge- lmack. ien 7825. nesics, . nenräume und Hausratder Empire- und Biedermei- eit in Österreich-Ungarn: Wien 1903, Talel 51 uner. F, Der Wohnraum des Wiener Biedermeier, Dies. Wien H. s Mstrupollten Museum in New York besitzt die Darstellung ei- sganz ausdrapierten Emplengsraumes derWianer Hofburg aus 'Zeit um 132m (511542) lspiele dafür sind unter den Zeichnungen der Danhauserschen belfabrik im Österr Museum lur angewandte Kunst zu finden. i Anm 5 iung des Raumes voraussetzen; dasselbe gilt für die darin befindlichen Objekte, die eine Einheit mit der architektonischen Raumhülle bilden sollen. Es wurden zwar in Wien Vorlageblätter für die Gestal- tung von Innenräumen im Stile eines Percier 8. Fontaine veröffentlicht (Abb. 3), in dieser Einheit- lichkeit aber niemals im österreichischen Flaum verwirklicht. Betrachtet man nun Innenräume aus dieser ersten Zeit nach dem Wiener Kongreß, so wird ein Phänomen klar ersichtlich: es sind immer nur Stilzitate oder eben nur die Ornamentik des Zeitstils, die angewendet wurden, ohne aber die dekorative Einheit des Empireraumes in allen ih- ren Details zu erfüllen. Als Beispiel möge hier das 4 Biliardzimmer aus dem Palais Auersperg in Wien dienen (Abb. 2). Der Platond und die in einzelne einfarbige Felder eingeteilte Wand, der Teppich sowie die Fensterwand mit dem Trumeauspiegel und den über die ganze Wand gerafften Vorhän- gen gehören dem Repertoire des Empire an, wäh- rend aber die Anordnung des Mobiliars im Raum, das mit der Wand keine dekorative Einheit ein- geht, im Empire undenkbar gewesen wäre. Auch die Verwendung von Möbelstücken verschiedenen Dekors und Stils (wie das aus dem 18. Jh. stam- mende Lackkabinett in der rückwärtigen Raum- ecke) widerspricht dem Gedanken des Einheitsde- kors. Hier wird nun deutlich sichtbar, inwieweit
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