Dabei fiel maßgebend ins Gewicht, daß das Land Nieder-
österreich keine eigene Hauptstadt besitzt. Ja, es war
vornehmlich dieser Umstand, der in die neue Richtung
wies und den Leitgedanken der Dezentralisierung
aufkommen ließ. Damit ist gemeint, daß unter der Lei-
tung des Niederösterreichischen Landesmuseums in der
Provinz Museen eingerichtet und Ausstellungen ver-
anstaltet werden, die entweder mit einem bestimmten
Landstrich oder mit einem historischen Bauwerk in be-
sonderem oder ursächlichen Zusammenhang stehen. Das
bedeutendste derartige Vorhaben stellte ohne Zweifel
die Gotikausstellung 1959 in Kremsßtein dar, deren gro-
ßer Erfolg die schönste Bestätigung für die Richtigkeit
dieser Bestrebungen erbrachte. Davon angeregt, entstand
nun der Plan für ein ständiges Museum mittelalterlicher
Kunst, entweder in der Minoritenkirche in Stein, oder
auf der Burg Rana. Ein Plan, der besonders zu begrüßen
wäre. Für die Dokumentation der Kunst zur Zeit Kaiser
Friedrich III. wird die museale Ausstattung der Kirche
St. Peter an der Sperr in Wiener Neustadt erwogen.
In weiterer Folge faßte man den Entschluß, auch Schlös-
ser, die in der Geschichte und Kulturgeschichte des Lan-
des eine wichtige Rolle gespielt und über alle Fähr-
nisse der vergangenen Jahre hinweg ihre Ausstattung
intakt erhalten hatten, dem Landesmuseum zu unter-
stellen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen,
wobei die Schlösser aber weiterhin in privatem Besitz
bleiben. Hier ist vor allem Schloß Greillenstein bei Horn
zu nennen, das mit seinem reichhaltigen Herrschafts-,
Gerichts- und Familienarchiv, mit der Bibliothek, der
Gerichtsstube und der aus der Reformationszeit erhal-
tenen protestantischen Kapelle, sowie mit vielen histo-
rischen und kulturhistorischen Dokumenten dem Be-
sucher in einmaliger Weise die Bedeutung und die Lei-
stungen einer Grundherrschaft vor Augen zu führen
vermag. Ähnliches ist mit dem aus dem Ende des
18.]ahrhundert stammenden Schloß Karlslust geplant,
das seit jener Epoche völlig unberührt geblieben ist.
Sommerliche Konzerte in diesem Rahmen werden be-
stimmt ein erlesenes künstlerisches Erlebnis sein.
Schon 1956 war mit der Eröffnung des Donaumuseums
in Schloß Petronell ein erster Vorstoß in dieser Rich-
tung unternommen worden, ein erster Versuch, der sich
sogleich zu einem vollen Erfolg gestaltete. Sehr bald
sprach es sich herum, daß Schloß Petronell zu besichti-
gen ist, und heute gehört es schon zu den am meisten-
besuchten kulturellen Ausflugszielen Niederösterreichs.
Im jahre 1959 wurde neben dem Donaumuseum auch
eine Haydnausstellung gezeigt, die wegen des starken
Zuspruchs noch um das Jahr 1960 verlängert wird. Da-
nach soll das Donaumuseum um diese Räume erweitert
und wahrscheinlich auch um die im Schloß verwahrten
römischen Sammlungen bereichert werden.
Ein weiteres Projekt, dessen Verwirklichung mit Kon-
sequenz betrieben wird, ist die Renovierung und museale
Ausgestaltung des Schlosses Heiligenkreuz-Guttenbrunn
bei Herzogenburg. Bis zum Sommer 1960 werden die
Wiederherstellungsarbeiten im Osttrakt mit seiner
prächtigen Feststiege soweit abgeschlossen sein, daß in
diesem Teil des Schlosses eine Ausstellung barocker
Entwürfe und Skizzen eingerichtet werden kann, die als
ergänzende Veranstaltung zu der großen Prandtauer-
Schau in Melk gedacht ist. Selbst hier, am Ausstellungs-
sektor, sieht man also die folgerichtige Anwendung des
Prinzips der Dezentralisierung, des Vermeidens allzu
großer Akkumulierung von Exponaten an einem Ort,
die nur zu leicht zur Unübersichtlichkeit und Ermüdung
der Besucher führt. Außerdem wird der Kunstfreund auf
diese Weise mit anderen hervorragenden Baudenkmälern
des Barock bekannt gemacht. Für 1961 ist schließlich die
Instandsetzung des Festsaales und der anschließenden
Räume geplant, in denen eine ständige Fischer von Er-
lach-Ausstellung zu sehen sein wird, die vielleicht einmal
einem Barockmuseum Platz machen soll, wenn Schloß
Niederweiden als Fischer von Erlach-Museum neu er-
standen sein wird.
Seit jahren wird immer wieder auf die Marchfeld-
schlösser Niederweiden. Schloßhof, Marchcgg und
Eckartsau hingewiesen, von denen die drei erstgenann-
ten ihrem zunehmenden Verfall preisgegeben schienen,
während Eckartsau baulich zwar in verhältnismäßig
gutem Zustand, seiner Innenausstattung aber zum Groß-
teil beraubt worden war und leer stand. Zunächst wandte
sich für Niederweiden das Schicksal zum Guten, als man
sich entschloß, dieses unter den österreichischen Barock-
schlössern einzig dastehende Werk Fischers von Erlach
zu retten. Die Restaurierung schreitet unter der sach-
kundigen Leitung des Bundesdenkmalamtes planmäßig
voran. _ Dann kam auch für Marchegg die Rettung,
allerdings in letzter Stunde und nur dank der vorbild-
lichen Haltung und Tatkraft des Bürgermeisters und der
Gemeinde. Mit Unterstützung der Niederösterreichischen
Landesregierung wurde der vordere Trakt des durch
Krieg und Nachkriegszeit verwüsteten Schlosses reno-
viert und darin im vergangenen September das zweite
österreichische jagdmuseum eröffnet. Innerhalb von drei
Wochen wurden 12.000 Besucher gezählt, eine Ziffer, die
bei Ausstellungen in der Stadt nur in den seltensten
Fällen innerhalb der gleichen Frist erreicht wird. Eine
Tatsache, womit die Richtigkeit des Grundsatzes der
Dezentralisierung bestätigt wird und die auch denen
recht gibt, die den Standpunkt vertreten, daß heute wie
eh und je in weiten Kreisen der Bevölkerung eine große
Vorliebe für die Besichtigung von Schlössern besteht;
ein Umstand, der für die Instandhaltung der als Kultur-
denkmäler bedeutsamen Schloßbauten noch viel stärker
in Betracht zu ziehen und auszuwerten ist.
Der Erfolg von Marchegg gab die Anregung, die nam-
haften Bestände des Niederösterreichischen Landes-
museums an Gemälden des 18. und 19. Jahrhunderts,
die bisher aus Raummangel nicht gezeigt werden konn-
ten, in den schönen Räumen des Schlosses Eckartsau zu
einer Landesgalerie zu vereinen und zugänglich zu
machen. Ein Zweijahresplan wurde ausgearbeitet und ist
bereits angelaufen. Demnach sollen einige doch not-
wendige Restaurierungen bis einschließlich 1960 soweit
abgeschlossen sein, daß dann für 1961 die Aufstellung
und Eröffnung der Galerie ins Auge gefaßt werden
kann. - Die Generaldirektion der Bundesforstc, unter
deren Verwaltung Eckartsau steht, die Niederösterrei-
ehische Landesregierung, das Bundcsdenkmalamt und
der Fremdenverkehr haben sich für die Durchführung
dieses Projektes in vorbildlicher Weise zur Zusammen-
arbeit verbunden. Angesichts dieser für österreichische
Verhältnisse beispielgebenden Großzügigkeit, womit
Kompetcnzschwierigkeiten und Bürokratismen der Sache
zuliebe überwunden werden konnten, stellt sich die
Frage, ob nicht auch auf musealer Ebene Ähnliches zu
erreichen wäre, um das vielversprechende Vorhaben
Eckartsau noch weiter auszubauen. Die Prunkräume des
Schlosses - gleich zu Anfang das schöne Stiegenhaus,
dessen Proportionen und Anlage grandseigneurale
Würde und gastliche Einladung miteinander verbinden
und den Eintretenden sogleich in eine festlich gehobene
Stimmung versetzen, der große Saal mit Daniel Grans
farbschönem Deekenfresko „Die Aufnahme Dianas in
den Olymp" und mit den virtuosen Statuengruppen Lo-
renzo Mattiellis, die übrigen Gemächer bis hin zum
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