IN UNSERERFORTLAUFENDEN ARTIKELSERIE ZUR ÖSTERREICHISCHEN KUNST DES 18. UND
19. JAHRHIINDEI-UFS VERÖFFENTLICHEN VWIR DEN 6. AUFS ATZ
JOHANN CHRISTIAN BRAND (1722-1795)
UND DIE ENTDECKUNG DER WIENER LANDSCHAFT
HANS AURENHAMMER
Die Wertschätzung, die Johann Christian Brand durch"
seine Zeitgenossen erfuhr, wurde häufig mit seinem
„sanften, wohlwollenden Charakter" und Seiner Wir-
kung als akademischer Lehrer begründet, der noch Gene-
rationen verpflichtendes Vorbild war. Man sagte ihm
nach, daß „ . . .die Natur, die er unaufhörlich beobach-
tete, deren Schönheiten er bis gegen seinc letzten Lebens-
jahre mit gleichem Eifer aufsuchte und nachahmte, seine
vorzüglichste Leiterin war, wie er denn auch nie Reisen
in fremde Länder unternahm. um durch die Werke An-
derer zu lernen...". In dieser Kennzeichnung seines
Werdens und Wirkens liegt ein scheinbarer Widerspruch:
Die Kenntnis der Bildungskunst und die Bewährung an
ihrer Lehrstätte wird seiner Kunst aus der Natur ent-
gegengesetzt, die er - nicht ohne zeittypischc Motivie-
rung-gleichsam aus sich selbst heraus und ohne fremde
Vorbilder hervorgebracht haben soll.
Diese Gegensatzlichkeit traditioneller Bildungskunst
einerseits und gleichzeitig geübter Wiedergabe der
Naturwirklichkeit anderseits ist seit eh und je d as Pro-
blem jeder Landschaftsmalerei; sie scheint hier jedoch
besonders interessant, weil durch die allgemeine künst-
lerische Situation die Gattungsproblematik zur Stilpro-
blematik wird. Der rhetorische Gegensatz zwischen
Kunst und Natur, wie ihn die kunsttheoretischcn Schrif-
ten des 18. Jahrhunderts so oft behandeln z, meint meist
das Verhältnis zwischen der lehr- und lernbaren Bild-
tradition und dem philosophischen Begriff der „Natur".
Er bezieht sich jedoch noch nicht auf die Wirklichkeit,
deren Wiedergabe in den Studien vor der Natur quasi als
dienendes Element der Landschaftsmalerei, oder als ge-
ringere Bildgattung, als Vedute, noch unproblematisch
schien. War schon die Auswahl. die der Künstler aus der
Erscheinung der Wirklichkeit bei deren Wiedergabe traf,
durch die Kenntnis der Formen und Farben der traditio-
nellen Landschaftskunst bestimmt, umso mehr die Kom-
position des Landschaftsbildes selbst. Gegenstand der Ma-
lerei war die „schöne und ausgebesserte Natur" 1', ein
handwerkliches Ziel, das durch die „beydseitige Übung
nach der Natur und dem Besten in der Kunst" den Künst-
ler befähigte, „in der Natur das zu bemerken, was mah-
lerisch schön ist"4. Die geistige Absicht jener Kunst-
lehrc ging dahin, die Landschaft als Erwecker und Trä-
ger eines großen Gefühls zu sehen und wiederzugeben.
Dieses hingebungsvolle, „sentimentale" Gefühl für die
Natur war nicht mehr die mythologische und daher auf
den Menschen bezogene Interpretation der natürlichen
Erscheinung, wie sie die romanische und flämische Land-
sehaftskunst des 17. Jahrhunderts zeigte, aber auch nicht
die Menschen-Dichtung mit Dingen der Natur, wie sie
Goethe in Ruisdaels Werken erkannte. Immer noch
wurde jedoch die Natur in einem freundlichen, liebe-
vollen Verhalten zum Menschen gesehen. In den Land-
schaften dieser Epochc ist die - durch Sentimentalität
und das Studium vor der Natur erworbene - Distanz
zur Schöpfung noch nicht zur Fremdheit vor der Wirk-
lichkeit, oder aus ihrer Überwindung durch eine neue
Religiosität zur romantischen All- oder Dingliebe ge-
1O
worden. - Die liebevolle Distanziertheit zur Natur
scheint der Grundcharakter der holländischen Land-
schaftsmalerei zu scin. Gerade diese war - wohl auch'
wegen der Menschenschilderungen als Staffage - im
sentimentalen späten 18. Jahrhundert beliebtester Gegen-
stand adeligen und bürgerlichen Sammelns und wurde
auch, besonders wenn sie im Bildgedanken und im gro-
ßen Gefühl an die in Italien, vor allem in Rom, tätigen
Holländer, Deutschen und Franzosen (die „Romanisten")
erinnerte, vorbildhaft für die Landschaftsmalerei der
Zeit. In diesem Zusammenhang sind neben Christian
Ludwig von Hagedorn die kunsttheorctischen Schriften
Salomon Geßners wichtig, der in seinem „Brief über die
Landschaftsmahlercy" die Vorbilder für den Gehalt und
die Gestalt seiner eigenen und wohl auch der Land-
schaftskunst eines Teiles seiner Zeitgenossen anführt:
Für die „Bäume" die Gemälde von Waterloo, Swanevelt
und Berchem, für die „Masse der Felsen" und die „Fels-
gründe" Salvator Rosa und Berchem, für deren „Zeich-
nung" Hackert, für die Naturwahrheit Merian, für die
„Größe der Natur" Poussin und Claude Lorrain. Da die
Landschaften aus Brands GemäldesammlungE nicht mehr
im einzelnen nachzuweisen sind, kann diese Vorbilder-
reihe aus Geßners Schrift besonders im Hinblick auf ihre
programmatische Absicht und Wirkung als analoges Bei-
spiel angeführt werden, zumal Brand 1787 Illustrationen
zu Geßners Idyllen malte.
Abgesehen von dieser durch Geßner propagierten stück-
haften Verwendung der Vorbilder hat Brand auch ganze
Werke und Werkrcihen „im Geschmack" fremder Künst-
ler geschaffen, darunter solche nach den in Italien wir-
kenden Holländern Berchem und Pynacker, nach dem
französischen Vedutenmaler Claude-Joseph Vernet und
dem Schlachtenmaler Bourguignon. Der traditionelle
Vorbilderkreis des Barock ist vielleicht am reinsten in
den unzähligen, für den Sammler geschaffenen „Kabi-
nettstücken" Brands zu fassen, kleinformatigen Land-
schaftsszenen, mitunter Pendants, zuweilen mit allge-
meinen Zustands- oder Ortsschilderungen als Titel. Für
die Ausbildung seiner Landschaftskunst sind als weitere
Stilelemente auch die Kenntnis zeitgenössischer franzö-
sischer Farb- und Fonnprobleme und nicht zuletzt die
nüchterne Geßnersche Idyllik maßgebend. Den Schritt
zur nächsten europäischen Stilstufe, zur heroischen Land-
schaft des Klassizismus, bat Brand nicht mehr getan.
Sein Weg zur Naturwirklichkeit war jedoch zukunfts-
weisend und konsequenter als alles, was Zeitmode und
literarisches Urteil in den folgenden Jahrzehnten pries.
Pragmatiseh auf die Leistungen der Landschaftsmalerei
des 19. Jahrhunderts hin gerichtet, interessiert uns die
malerische Erfassung der Wirklichkeit, und zwar
besonders, wie zur Bewältigung dieser neuen Aufgabe
neue malerische Möglichkeiten gesucht, oder traditio-
nelle Stilelemente überraschend eingesetzt werden. Den
Anstoß zur Wiedergabe der Wirklichkeit gab bei Brand,
allem Anschein nach der „Dienst", d. h. jene Veduten, die
er für Auftraggeber schaffen mußte, und später seine