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Volltext: Alte und Moderne Kunst V (1960 / Heft 3)

NEUE RÄUME IN 
DER MALEREI? 
CLAUS 
PACK 
lmmer wieder taucht, sowohl im Kunstjournalismus wie in der Literatur, die sieh mit 
der Malerei des 20. Jahrhunderts beschäftigt, die Behauptung auf, daß in der gegenstands- 
losen Malerei „neue Räume in Erscheinung treten". Die Hartnäckigkeit, mit der sie ver- 
treten wird, fordert dazu heraus, ihre Berechtigung näher zu untersuchen, dem Begriff 
des Raumes auf den Grund zu gehen und festzustellen zu versuchen, oh und wann tat- 
sächlich in der Malerei der Gegenwart von einer neuen Raumvorstellung zu sprechen ist. 
Der R aum, wie er sich dem Menschen darstellt, ist ein haptiscbes, optisches, akustisches 
und übergeordnet, ein geistiges Erlebnis, das in der Erfahrung begründet ist. Das 
ursprüngliche Raumbild des Menschen ist, wie es Experimente mit Kleinkindern und 
Blindgcborenen zeigen, die nach einer Operation sehen lernen, flächig und plastisch 
undifferenziert. Die Erkenntnis der Fülle des dreidimensionalen Raumes vollzieht sich 
durch die Erfahrung, die zuerst durch baptischc, dann optische Erlebnisse gesammelt 
wird. Der Geist gliedert und ordnet diese Erlebnisse, um zur Anschauung der Welt der 
plastischen Formen zu kommen, die den dreidimensionalen Raum ausmachen. Sie ist 
unsere Erlebniswelt, durch Tasten, Bewegung und Augenschein lernen wir sie in ihren 
Ausdehnungen, Texturen, Eigenarten und in ihrem Wesen erkennen, benennen und be- 
greifen. Wir sehen, daß die Formen, die Gegenstände, voneinander verschieden sind und 
durch Distanzen getrennt. Unsere psychischen Affekte und Erlebnisse vollziehen sich vor- 
wiegend an ihnen. So kann man sagen, daß die Ausdehnung der Formen und die Distanzen 
zwischen ihnen, den dreidimensionalen Raum gliedern, sie werden zu objektiven Kate- 
gorien, die uns befähigen, über ihn etwas auszusagen. Entleeren wir den Raum von Formen, 
so kann er nicht erfaßt werden, seine Relation zum Beobachter nicht festgestellt und nicht 
differenziert werden, weil die Anhaltspunkte fehlen. Raum und Form sind daher vonein- 
ander im Erlebnis nicht zu lösende Bedingungen. Wollen wir über die Form etwas aus- 
sagen, so muß der Raum, den sie bildet, muß sie raumbildend in Erscheinung treten. 
Wollen wir den Raum sichtbar machen, muß er durch Formen abgesteckt werden. Durch 
die Erfahrung, durch das Erlebnis an den Formen tritt eine neue Dimension hinzu: die der 
Zeit. Sic ist das Leben der Form, das Wachstum, das Vergehen. Über sie soll vorläufig 
nicht gesprochen werden. 
Soll also Malerei als Kunst Objektivierung eines Erlebnisses sein, eines Erlebnisses, das 
sich an irgend einem Ding der sichtbaren Welt begeben hat und das, um sich verständ- 
lich zu machen und objektiviert zu werden, Dinge der sichtbaren Welt wählt, um an ihnen 
sichtbar zu werden, so wird in irgend einer Modalität Form und Raum zur Darstellung 
kommen müssen. Es soll hier behauptet werden, daß konkrete Mitteilung einer Erkenntnis 
oder eines Erlebnisses nur durch die Darstellung von Dingen der sichtbaren Welt erfolgen 
kann, weil sie das einzige Mittel bilden, an denen Aussage geschehen kann. ln der bil- 
denden Kunst sind sie der Spiegel, in dem sich die Persönlichkeit des Malers abbildet, sie 
sind gewissermaßen die Worte, deren Relation zueinander, deren Auswahl und Formung 
den Stil darstellten, in dem sich ein Bewußtsein mitteilt. Da sie die einzigen Korrelate 
sind, über die einigermaßen Einigkeit herrscht, stellen sie das mölgliche Vokabular 
zur Verständigung dar. Je mehr die Bindungen zur sichtbaren Formenwelt gelockert 
werden und je subjektiver die Beziehung zu ihr wird, bis zur vollkommenen Lösung von 
ihr, um so mehr geht die Möglichkeit zurück, zu einer Verständigung zu kommen. An 
die Stelle des Dialogischen tritt der Monolog einer allein im Künstler sich vollendenden 
Malerei, die autistiscb ist und zu keiner geistigen Kommunikation mehr fähig, da sie 
nur mehr subjektive Gefühlszustände und Erregungen zu spiegeln imstande ist. 
Es hieß oben, daß der Raum in irgend einer Modalität zur Darstellung gelangen müsse. 
Damit war gemeint, daß er den Gesetzen der Malfläche entsprechend gegliedert und 
gestaltet, das heißt als Ordnung, als Kunstwerk, auftreten muß. Das sind Bedingungen, 
die sowohl das Illusionäre wie den Naturalismus ausschließen, die beide nur ungeordnet 
in Erscheinung treten können. Das heißt weiter, daß er verschiedenartig sichtbar gemacht 
werden kann, ob es nun im zweidimensionalen Raum der frühen Kunst, dem unendlichen 
Tiefenraum Rembrandts oder dem reduzierten, aperspektivisehen Raum Cezannes ge- 
schiebt. Das alles sind Möglichkeiten seiner Formulierung, die jede für sich ihre Gültig- 
keit besitzen. In der Geschichte der Kunst gibt es deren noch mehrere, da sie im 
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