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Volltext: Alte und Moderne Kunst V (1960 / Heft 5)

Der 
geiStigQ 
Gehalt 
der Barockzeit 
HUGO HANTSCH 
Im Jahre 1697 beendete der Friede von Rijswijk die große 
europäische Auseinandersetzung, die mit Unterbrechun- 
gen drei Jahrzehnte das Reich und Frankreich in kriege- 
rische Verwicklungen gestürzt hatte. Er bedeutete keinen 
durchschlagenden Erfolg für den Kaiser, aber auch nicht 
für Frankreich. Ludwigs XlV. Kräfte hatten sich als 
nicht mehr groß genug erwiesen, die Eroberungen, die 
ihm der Friede von Nijmwegen (1679) eingebracht hatte, 
auszuweiten. Er mußte sich mit einem Kompromißfrie- 
den begnügen und froh sein, dank der diplomatischen 
Unterstützung durch die Seemächte ohne größere Ein- 
bußen davongekommen zu sein. Zwei Jahre später be- 
schloß der Friede von Karlowitz einen ruhmvollen Tür- 
kenkrieg, der im unmittelbaren Anschluß an die Be- 
freiungsschlacht bei Wien (1683) fast ganz Ungarn von 
der 150 Jahre dauernden Besetzung erlöste. Die glänzen- 
den Siege im Verlauf dieses Feldzuges, die den Feldherm- 
ruhm des Prinzen Eugen begründeten, gaben Osterreich 
ein lange nicht so überwältigend empfundcnes Gefühl 
der Kraft und Sicherheit. Das 17. Jahrhundert, durch- 
toht von unaufhörlichen Kämpfen, hatte unserem Lande 
schwerste Opfer auferlegt, die den Willen zum Wieder- 
aufbau und zur Neugestaltung immer wieder hemmten. 
Nicht daß es überhaupt an kulturellen Leistungen, an 
Plänen und Gedanken gefehlt hätte, aber es kam nur 
vereinzelt Zur Ausführung von Werken dauernder Be- 
deutung. Das meiste trug doch den Stempel einer er- 
zwungenen Genügsamkeit, wie sie die beschränkten Mit- 
tel einer von Gefahren erfüllten Zeit erforderten. Doch 
am Ende des Jahrhunderts begannen neue Lebensströme 
das Land zu durchfluten. Zwei große Krisen waren über- 
wunden, die eine, die von Osten hereinwirkte, und die 
andere, welche die innere Einheit in Frage gestellt 
hatte. Österreich hatte von Ungarn her nichts mehr zu 
befürchten und hatte in der Wiederherstellung der Glau- 
henseinheit die Basis einer gemeinsamen Lebensauffas- 
sung geschaffen. Ein Triumph der universalen abend- 
ländischen Gewalten, des Kaisertums und der Kirche, 
erweckten den Sinn für Größe und geschichtlichen Ruhm, 
entfachte die Glut kulturellen Lebens und künstlerischer 
Gestaltungskräfte zu einer leuchtenden Flamme. 
„Finis sacculi novam rerum faciem apperuit." Man 
könnte diesen Ausspruch von Leibnitz übersetzen „Das 
Ende des Jahrhunderts sah eine neue Welt", politisch in 
der neuen Kräfteverteilung der europäischen Staaten, 
geistig in der Entfaltung neuer Erkenntnisse. Ein neues 
Lebensgefühl und in der Folge ein neuer Lebensstil setz- 
ten sich durch, ein immer stärkeres Bedürfnis, sich ein- 
drucksvoll zu betätigen und nicht nur der Gegenwart, 
sondern auch der Zukunft Bewunderung abzuringen. Es 
war wie ein Überquellen angestauter Energien, die sich 
nun auf allen Lebensgebieten Bahn zu brechen suchten. 
Freilich, noch war das Zeitalter der großen europäischen 
politischen Auseinandersetzungen nicht zu Ende. Als die 
spanische Linie der Habsburger, die Karl V. begründet 
hatte, im Jahre 1700 ausstarb, führte der Streit um das 
reiche spanische Erbe zwischen den Bourbonen und Habs- 
burgern zu einem dreizehnjährigen Krieg, während dem 
auch eine ungarische Freiheitspartei wieder zu den 
Waffen griff, um die Herrschaft der Habsburger abzu- 
schütteln. Beide Kriege führten zu einer Erhöhung kai- 
serlicher Macht und österreichischen Ansehens. Belgien, 
die Lombardei und das Königreich Neapel, später auch 
Sizilien, kamen unter die Herrschaft des Hauses Öster- 
reich und die Ungarn anerkannten schließlich nach 
fruchtlosen Kämpfen die Pragmatische Sanktion. die im 
Jahre 1713 erlassene Nachfolgeordnung ihres Königs- 
hauses. Als noeh nach einem glänzenden Türkenkrieg 
die letzten Reste der Türkenherrschaft im Bereich der 
Stephanskrone beseitigt, Belgrad erobert, ja sogar ein 
Teil des nördlichen Balkans besetzt werden konnte, war 
das Haus Österreich auf dem Höhepunkt seiner Macht 
und seines europäischen Ansehens angelangt. Die rci- 
chen Ströme einer entwickelten geistigen und künstleri- 
schen Kultur ergossen sich in ein Land, das von einem 
unerhörten Aufbauwillen beseelt war, und wurden von 
hier aus in jene Gebiete des Ostens gelenkt, die eben erst 
von dertTürken befreitwordenwaren und sich als eiruweites 
Kolonisationsgebiet präsentierten. Angeeifert von den 
mächtigen Impulsen, die eine überragende Machtstcllung 
auslöste, traten Handel und Wandel des österreichischen 
Volkes in ein neues Stadium einer fruchtbaren Entwick- 
lung, deren künstlerischer Ausdruck auch heute noch, 
nach mehr als 200 Jahren, im Antlitz Österreichs unver- 
tilgbare Zügc hinterlassen hat. 
Der glänzende Aufschwung dynastischer Macht und 
kaiserlicher Hoheit umstrahlte den kaiserlichen Hof und 
die Hofgesellschaft, die sich um ihn gruppierte und diese 
Macht, die so ausdrucksvoll in Erscheinung trat, war ka- 
tholisch. In der Generation, die am Beginn des 18.]ahr- 
hunderts groß geworden war, waren die Erinnerungen 
an die protestantische Vergangenheit verblaßt. Die ka- 
tholische Kirche hatte ihre beherrschende Stellung im 
Leben des Volkes wieder gewonnen. Auch der Sieg über 
die Türken war ja ein Triumph der Kirche, die Verwirk- 
lichung der universal abendländischen christlichen Idee, 
die schon Karl V. in sich getragen hatte. Weltlichcr 
Glanz und religiöse Inbrunst suchen und finden jenen un- 
nachahmlichen Zusammenhang, den wir als barocke Kul- 
tur bezeichnen. Ihr künstlerischer Ausdruck liegt noch 
offen und sichtbar vor uns, aber es darf nicht vergessen 
werden, daß es sich hier nur um die äußere Form eines 
inneren Erlebnisvorganges handelt, der durchaus nicht 
nur im Künstlerischen zur Darstellung und Gestaltung 
ringt. 
Die neue Lebensform, die das meiste den Anregungen 
verdankt, die der romanische Süden vermittelt, offenbart 
sich im Rahmen der zeitgemäßen sozialen Verhältnisse. 
In der Periode der Ausbildung und Vollendung absoluti- 
stischer Herrschaftsformen repräsentieren der kaiserliche 
Hof, der Adel und die Kirche am deutlichsten den Geist 
der Zeit. In diesen Kreisen sammelt sich das kulturelle 
Streben zu den höchsten und dauerndsten Leistungen. Das 
reiche Besitztum bietet die materielle Grundlage dafür. 
Es wird bisweilen bis zur wirtschaftlichen Erschöpfung 
ausgenützt. Als weltliche und geistliche Hofkultur tritt 
der Barock in Erscheinung, aber er trifft weithin auf ein 
im Volke schlummerndes Bedürfnis nach geistiger und 
künstlerischer Entfaltung und Neugestaltung, das sich 
aus den ärmlichen Lebensverhältnissen des 17. jahrhun- 
derts in reicher Vielfalt nach verschiedenen Richtungen 
auszuleben sucht. Städte und Dörfer übernehmen nach
	        
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