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Volltext: Alte und Moderne Kunst V (1960 / Heft 6 und 7)

FRANZ VON ZÜLOW 
und die österreichische 
Volkskunst 
ERNST KÖLLER 
In der Zeit um 1907[08, in der sich die große, ent- 
scheidende Wende vom Impressionismus als der letz- 
ten rein figurativen Richtung in der Malerei zu all jenen 
Stilen vollzog, die im Westen Europas unter dem Zei- 
chen einer absolut und autonom gewordenen Form ste- 
hen, in Mitteleuropa das Ringen nach neuen Ausdrucks- 
werten veranschaulichen, bildet sich in Wien so etwas 
wie eine ganz spezifische „Österreichische Schule", die 
sich sehr deutlich und in klar faßbaren Manifestationen 
von den Bemühungen der Deutschen und Franzosen ab- 
hebt: In Österreich wird das liigurale an sich nicht in 
Frage gestellt, weder im Sinne einer analytisch-kubisti- 
sehen Auflösung noch in Hinblick auf eine Zerdehnung 
und Verquälung bis an den Rand des Möglichen, wie 
dies die Künstler der Dresdner „Brücke" taten, um zu 
neuen Tiefen und Untiefen der menschlichen Seele vor- 
zustoßen; ferne bleibt man in Österreich auch der gänz- 
lich abstrakten, in völliger Kreaturfeindlichkeit enden- 
den Esoterik, die in München von den Künstlern des 
„Blauen Reiter" geübt wurde; die sinnlich-unmittelbare 
Erscheinung des Menschenbildes bleibt in Wien erhalten, 
die Intensivierung des Ausdrucks erfolgt vor allem durch 
eine Dynamisierung der Pinselführung und des Strichs 
des Zeiehenstiftes. In diesem Sinn erfährt etwa die Pa- 
lette eines Kokoschka eine unerhörte Bereicherung, stößt 
Kolig zu einer neuen, barocken Unterströmungen ver- 
pflichteten, geradezu tänzerischen Steigerung der Ge- 
stenhaftigkeit des Gesamtkörpers vor, erobert Schiele 
seine Kunst einer hektisch-gehetzten, der Fläche ver- 
sehworenen Striehführttng, läßt Faistauer Farben und 
Formen leuchten und blühen, baut Wiegele mit Liebe 
und Innigkeit seine figuralen Kompositionen. 
Franz von Zülow, 1883 in Wien geboren, zwischen 1901 
und 1907 Besucher der Graphischen Lehr- und Versuchs- 
anstalt und der Kunstgcwerbcschule, nimmt im Kreise 
der Genannten, dem er als Generationsgenosse und Mit- 
streiter unter dem Banner Klimts angehört, eine Sonder- 
stellung ein. Das Praktisch-Angewandte gibt seinem 
Schaffen den entscheidenden Grundton; die frühen Illu- 
strationen aus der Zeitschrift „Der liebe Augustin" sind 
so stilisiert und so ornamentalisiert, wie dies etwa bei 
Kokosehka in den Bildern und Postkartenentwürfen der 
gleichen Zeit (Programmheft zum Kabarett „Die Fleder- 
maus", „Die träumenden Knaben") der Fall war. Doch 
erfolgt bei Kokoschka schon seit 1908 eine radikale und 
endgültige Abwendung von jener, den Gedanken der 
„Secession" so verpflichteten Formelwelt, blieb Zülow 
dem Wesen des Dekorativen auch weiterhin verpflich- 
tet; seine Lehrtätigkeit an der Keramischen Lehrwerk- 
Stätte Schleiss in Gmunden (1920[21), die Entwürfe für 
die Wiener Porzellanmanufaktur Augartcn (19l4f25) und 
für Gebrauchsgraphiken der Österreichischen Tabak- 
regie sind äußere Zeichen dieser starken inneren Bin- 
dungen an das Kunstgcwerbe; noch nach dem Zweiten 
Weltkrieg ist der Künstler ganz kurz als Lehrer an der 
Linzcr Kunstgewerbeschulc tätig. 
Auch die Tätigkeit im Dienst monumentaler Aufträge 
(Fresken im Bräuhotel Lofer 1929, Entwurf für einen 
Wandteppich mit einem Panorama von Ankara für Ke- 
mal Atatürk 1932, Wandmalereien in der Kaiserbar in 
Wien 1934, Eiserner Vorhang im Wiener Akademiethea- 
ter 1939, Fresken im Rathaus von Schärding 19-18, im 
Wiener Parlament 1951 und schließlich die Türbemalun- 
gen in den Linzer Kammerspielen 1957) ist im wesent- 
lichen an den Prinzipien der angewandten Kunst orien- 
tiert, also vor allem dekorative, stilisierende Flächen- 
gestaltung unter stärkster Berücksichtigung der tech- 
nisch-strukturelleit Gegebenheiten; bei Zülow spielen 
wie kaum bei einem anderen seiner Zeitgenossen die 
Reizfaktoren des Materials, wie etwa die Struktur eines 
Pinselstrichs mit Klcisterfarbcn, oder die Betonung der 
ornamentalcn Elemente eine überragende Rolle. In die- 
sem Sinn sind Mensch und Tier bei Zülow durchaus 
nicht im Mittelpunkt des Bemühens; die Vöglein auf 
ihren Bäumen, die Reiter, Reigentänzer, Hirsche, Pferde, 
aber auch die Biiume, Blumen und Architekturen, mit 
denen er seine Bauernmöbel bedeckt, sind ornamcntale 
Gebilde und nicht mehr. In seinen Landschaftsbildern 
kommen Menschen und Tiere nur an untergeordneter 
Stelle vor (jetzelsdorl, 1938, Dorfgasse, 1946) oder gehen 
im dekorativen Ensemble der Gesamtkomposition auch 
bei größerem Maßstab völlig auf (Reiter, 1954). Dali er 
eine Tuschezeichnung „Versammlung der Vogel- 
scheuchen", 1946, schaffen konnte, bedeutet keinerlei 
Annäherung an Dämonisch-Skurriles wie bei Kubin, 
ebenso wie das Menschengewimmel in „Die Evakuier- 
ten", 1947, in tieferer Hinsicht nur wenig mit der Inter- 
pretation des Menschen als eines amcisenhaften Wesens 
im Sinne Oskar Laskcs etwas zu tun hat: Form- und 
Farberscheinungen, in freier, gelöster, erheiterndcr und 
betont vordergründiger Weise vorgetragen -, das ist die 
Welt Zülows, einer der letzten Wahrer echter, von 
keinerlei Skepsis oder Ironie angekränkelten, gelassener 
und entspannter Heiterkeit. 
Zülow und die bäuerliche Volkskunst: Kann und darf 
man Zülow als Wiedererwecker und Wahrer des Erbes 
bäuerlicher Altvorderer betrachten, ist er, um es krasser 
zu formulieren, ein malender, stockkonservativ-stcriler 
Trachtenvereinsmeier, ein Volkstänzer des Pinsels? Nun, 
es gehörte mit zu den Bestrebungen breitester Künstler- 
kreise in der Jugendzeit Zülows, neuc Bereiche künst- 
lerischen Schaffens zu entdecken, um neue Anregungen 
aufnehmen und verwerten zu können: Gauguin entdeckte 
die Kunst der Südsec, gleiche Wege ging Pechstein. Pi- 
casso eroberte die Welt der afrikanischen Negerkunst, 
der frühe Kandinsky setzt sich mit altrussischer Folk- 
lore auseinander. All diese Künstler suchten in diesen 
neuerschlossencn Bereichen nur neue Ausdrucksmittel, 
sie sahen ihre Primitivwelten weder als Volkskundler 
noch als romantisierende Archäologen, sie benützten den 
neuen Formenschatz als Stimulans für das durchaus 
Eigene, das sie zu sagen hatten. Und so findet das 
suchende Auge Zülows in der bäuerlichen Welt der Hei- 
mat seincr Mutter genau das, was es suchte - nämlich 
Freude an ungebrochenen, leuchtenden Farben, an stren- 
ger, stilisiercnder, symmteriegebunderier Ordnung, am 
naiven Schnörkel ebenso wie an gänzlicher Unterordnung 
unter die tektonischen und materialgegebenen Voraus- 
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