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Full text: Alte und Moderne Kunst V (1960 / Heft 8)

Persönlichkeit hatte einst allen Göt- 
tern, mit Ausnahme Shivas, ein 
Opfer dargebracht. Aus Entrüstung 
über diese Vernachlässigung hieb 
Shiva ihm den Kopf ab; als er sich 
entschloß, dem Frevler das Leben 
wiederzugeben, fand sich das abge- 
haucne Haupt nicht mehr, weshalb 
Shiva zu einem Ziegenkopf greifen 
mußte. In Westindien wird Shiva als 
Kandeh Rao verehrt und auf einem 
Pferde reitend dargestellt. Eine Ver- 
schmelzungsform von Shiva und 
Vishnu heißt llari-llareshwar. Das 
populärste, auf Fruchtbarkeitsvor- 
Stellungen hinweiscnde Symbol Shi- 
vas ist der Phallus, Linga, der zu- 
meist mit dem weiblichen Korrelat, 
Yoni, in Verbindung gebracht ist. 
Shivas Wohnsitz ist der Berg Kai- 
lasa, der im S. jh. n. Chr. zu einem 
riesigen, aus dem gewachsenen Fels 
herausgemeiflelten Heiligtum von 
30m Höhe umgestaltet wurde. Die 
wichtigste Darstellung unter den 
zahllosen Felsreliefs dieses Monu- 
mentes ist die Erzählung von der 
Erschütterung des Kailasa-Berges 
durch den zehnköpfigen, zwanzig- 
armigen Ravana, den König von 
Lanka. Dieser Herrscher versuchte, 
den Berg zu spalten, um sich da,- 
durch die Mithilfe Shivas im Kampf 
gegen seinen Todfeind Rama zu er- 
zwingen. Parvati, Shivas Shakti, 
machte den Gott auf diesen Vor- 
gang aufmerksam; dieser drückte 
die Felsmassen mit einem Fuß sanft 
nieder und machte damit Ravana 
gleichzeitig für 10.000 Jahre zu sei- 
nem Gefangenen. 
Die für das europäische Empfinden 
schönsten Darstellungen des Gottes 
sind südindische hochmittelalterli- 
ehe Bronzefiguren, die Shiva als Na- 
taraja, als „Herren des Tanzes" wie- 
dergeben. Im Tanze Shivas verkör- 
pern sich alle kosmischen Energien, 
Religion, Wissenschaft, Kunst eben- 
so, wie Schöpfung und Weltunter- 
gang. Der Gott führt diesen Tanz 
in der letzten Lebensnaeht der Welt 
aus; seine rechte obere Hand hält 
die Trommel, in deren Vibration 
sich die Idee der Schöpfung verkör- 
pert, mit der linken gebietet er dem 
Feuer, das zerstört und reinigt. Die 
untere Linke weist zu seinen Füßen 
als dem Schutz- und Zufluchtsort, 
mit der unteren Rechten vollführt 
er das Mudra der Beruhigung und 
Furchtabwehr. Der Tanz vollzieht 
sich auf einer zwergenhaften Figur, 
Maya, die die totale Illusion des an 
sich nicht realen Seins verkörpert. 
In der Aureole, die den göttlichen 
Tänzer umgibt, manifestiert sich 
seine kosmische Energie. 
Parvati, Shivas Shakti, ist „Die vom 
Gebirge". In diesem Aspekt verehrt 
sie das Linga oder bietet dem Gatten 
das Lebenselixier Amrita dar. Sie 
ist gewöhnlich rot gekleidet, sitzt 
auf einem Tiger und hält in ihren 
vier blutbefleckten Händen das 
Schwert Sri-Garbha, den Schild, den 
Dreizack und die Reiskugel Pinda. 
Sie gebietet über ein Gefolge von 
64- Hexen, den „Y0ginis". Als Ver- 
nichterin des minotaurusartigen Dä- 
mons Mahishasura sitzt sie auf 
einem Löwen und schwingt den 
Dreizack mit einer Hand; als Kali 
(Die Schwarze) manifestiert sie sich 
als Gottheit der Zerstörung, ist 
schwarzhäutig, vierarmig, halt eine 
Sichel und ein abgeschlagenes Rie- 
senhaupt und vollführt die Gebärde 
der Furchtabwehr und der Segnung. 
In ihrem Aspekt als Durga (Die Un- 
zugängliche. Gnadenlose) trägt sie 
Ohrringe aus Leichen, eine Hals- 
kette aus Schädeln, einen Gürtel aus 
menschlichen Skeletten. Ihr Haar 
fällt bis zum Boden hinab. die 
Zunge bis zum Kinn, die Brüste bis 
zum Gürtel, Finger und Zehen sind 
als Klauen gebildet, ihre Glotzaugen 
sind blutrot und zu ihren Füßen 
liegt Shiva... Ihre zwölf Waffen 
sind: Schwert, Dreizack, Diskus, 
Pfeil, Spieß, Keule, Bogen, Schlinge, 
Stachelstock, Schild, Glocke und 
Streitaxt. 
Ein theologisch besonders interes- 
santer Aspekt ist Ardha-Nari, die 
„Halbfrau", in der Shiva und Parvati 
als ein Wesen - rechts der Gott, 
links die Shakti - dargestellt wer- 
den. Das Doppelgeschöpf ist von den 
Vehikeln beider Elemente, dem Stier 
und dem Tiger, begleitet. 
Shiva hat zwei Söhne, einen davon 
von Parvati. Es handelt sich um den 
Gott der Weisheit, der Literatur, 
den Beseitiger von Schwierigkeiten 
und Schutzherrn der Straßen, Ga- 
nesha : Sehutzherr der Ghanas 
(mindere Gottheiten). Ganesha, eine 
der beliebtesten Hindugötter, ist 
doppelbäuchig. sein Attribut-Tier ist 
eine Ratte, vor allem aber ist er 
durch ein Elefantenhaupt mit nur 
einem Stoßzahn charakterisiert. In 
seinen vier Händen hält er die mil- 
deren Attribute Shivas. 
Der andere Sohn, Karttikeya, ist 
eine Kriegsgottheit und Regent des 
Planeten Mars. Er hat keine Mutter 
und wurde daher von sieben Ant'- 
men, den Krittikas, aufgezogen, von 
denen er seinen Namen hat. Diese 
Ammen entsprechen unserem Stern; 
bild der Plejaden. Er ist gelb"- oder 
rothäutig, reitet auf einem Pfau und 
trägt Pfeil und Bogen.
	        
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