rialien gebe, daß der Künstler imstande sei, sein Gefühl
unter Umständen durch ein Stück Pappe auszudrücken,
das er cinklebt, oder auch durch ein Hemd, das er auf
ein Brett nagelt. Das epater le bourgeois habe bei den
Kubisten fröhliche Urständ gefeiert. Man wolle den Bür-
ger verblüffen, der so sehr an der Vorstellung von der
Kunst als etwas Vornehm-Eeierlichem und Objektivem
hängt.
Nach etwas Objektivem freilich strebten die Kubisten
auch. Die Erforschung gegenständlieher Realität und
kompositionelle Verfestigung sind ja seit eh und je ihr
Anliegen gewesen. Als sich ihnen aber, gleich den Im-
pressionisten, deren Antipoden sie waren, im Zug der
eigenen Entwicklung beides gleichfalls zu verflüchtigcn
drohte, setzten sie den Gegenstand als Rohzustand kur-
zerhand selber ins Bild. Erstens um Wirklichkeit zu
gewinnen und zweitens um an den so eingemeindeten
Fremdkörpern den Bildaufbau wieder zu härten. Wenn
um 1910 die Malerei auf den verschiedensten Wegen hin
zur abstrakten Kunst tendierte: Braque und Picasso woll-
ten keine abstrakten Maler werden.
Für die Dadaisten (ab 1916) und Surrealisten (ab 1924)
vor allem ist die Collage ein Mittel der Ironie gewesen.
Und eines, die Wirklichkeit zu ver-rücken. Die Isolie-
rung der Dinge interessierte und ihre alogische Koppe-
lung, die magische Wirkung, die von einer auf solche
Weise desorganisierten Welt ausging, das Unwirkliche,
Traumhafte der Dinge. Max Ernsts „Zusammentreffen
zweier einander wesensfremder Elemente auf einem
ihnen wescnsfremden Plan" - wie besser als durch die
Technik der Collage konnte es bewerkstelligt werden?
Die harte Realität der Illustrationsstiche in den alten Illu-
strierten und wissenschaftlichen Werken faszinierte. Das
schon Vorhandene gewann eine eigentümliche Magie,
regte an, diese realistischen Bilder durcheinander zu
bringen. Oft zitierte Beispiele: Ein optisches Gerät hängt
in einem Baum. Das Abbild eines durchschnittenen Kä-
fers wird zum Bug eines Schiffes und über ihm schwebt
auf rauehigem Himmel ein Fischgerippc. Aus einem Fen-
ster stürzt ein brennender Baum oder eine Giraffe. Ein
iichzendcr Ochsenkarren knarrt durch einen Louis-Scize-
Salon.
Von all dem ist in den Collagen Arnulf Neuwirths nichts
zu finden. Das Klehebild aber hat bei ihm auch nicht
die Funktion, die es bei den Kubisten hatte. Was er her-
stellt, sind Schaubilder mit möglichst vielen Meditations-
objekten, kombinatorischen Möglichkeiten für die Phan-
tasie. Es finden sich zuweilen geometrische Elemente
(gleichsam als Komposilionsschemata), öfter tachistische
Einsprengsel. Der Künstler kritzelt, er zeichnet und malt
zwischen den eingeklebten Dingen. In ihm steckt Roman-
tik. Er hat viel zu erzählen. Eine Verliebtheit in die
Welt spricht aus ihm, ein naiver Glaube an ihre Schön-
heit, deren Konterfei er sich aus Abfällen zusammen-
setzt. ljin Stück, das er irgendwo findet, fügt er nicht
mit Verfremdungsabsicht ein, sondern damit es neu auf-
blühe. Das Unedelste kann einen Zauber entfalten. Der
Künstler ist von der Idee der noblen Armut, einem
Zenga-Prinzip, beeindruckt. Mit Vorliebe rühmt er, daß
er seine Schätze vom Lumpenhändler bezieht.
Neuwirth wurde 1912 in Gablitz, Niederösterreich, ge-
boren. Seine Kindheit verbrachte er in dem Dorf Rad-
schin im oberen Waldviertel. Malerei hat er an der Wie-
ner Kunstakademie (Paris-Preis 1937) und in Paris stu-
diert. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges reiste er in
Portugal, Spanien. Marokko, in der Wüste Sahara und
auf den Kanarischen Inseln. Magisch-realistische Afrika-
landsehnften entstanden. In Las Palmas wurde Neuwirth
1941 zur Deutschen Wehrmacht geholt. Als Soldat hat er
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die Vernichtung von Dresden erlebt. Nach 1945 war er
sowohl als Maler wie auch als Kunstkritiker tätig. Seit
1950 ist er Präsident der Künstlergruppe „Der Kreis",
seit 1956 Professor.
Im selben Jahr begann er mit jener Art von Collage, die,
nach einem Wort Michel Seuphors „im bewußt abstrakt
komponierten Bild stellenweise extrem naturalistische
Deutungen zuläßt" (1957). Das fabulierende, erzählerische
Element wurde seither reicher. Eine ganze phantastische
Geographie klebte sich der Künstler zusammen, Länder,
die er bereist hat_er ist nach 1945 auch in N0rd- und
Südamerika gewesen - und solche, die er nur mit dem
geistigen Auge sah. Das „Thayatal", Collage auf Per-
gament, Schwarz-Weiß (auf Gelb) und grüne Landschaft,
ist ein Gruß an die Heimat. Besonders schön sind die
„Böhmischen Wälder", überreich, farbenfroh, heiter, aus
den verschiedensten Materialien zusammengesetzt. Auch
Partien von k. und k. Ansichtskarten spielen hinein.
Eine sanfte, kühle Harmonie geht von diesem Bild aus.
Sie dient als Folie von farbigen jubeltönen. Am Regen-
wald von „Panama" wirken neben malerischen Details
nicht nur Plüschzeitxylographen, sondern auch Burri-,
Rainer, Prachensky-Kataloge und exotische Banknoten
mit. In der „Magellan-Straße" bildet eine Strickmuster-
vorlage den Himmel, Norwegerstich auf Rasterpapier.
Viel läßt sich mit Kuvertfutter machen, Schiffahrts- und
Auktionskatalogen, Fahrschcinen, Stoff- und Leder-
abfällen, Papageienfedern, Schlangenhaut. Am „Suez-
kanal" stehen Matrosen, aus der Verpackung von Navy-
cut-Zigaretten geschnitten. Schön gedruckte Stempel
finden sich neben Siriuszünder-Palmen. Was in dem
„Traum des Cortez" wie Glut, wie Höllenfeuer, aussieht,
ist das Papier, in das man sonst Orangen hüllt. Auch
schwarz oder rot bekleckstes Löschpapier mit Tinten-
spuren von Magistratsschreibtischen wird verwendetfDer
pompöse Cortez aus einem alten Buch erscheint in halb-
antiker Gewandung. Sein Traum zeigt ihm prophetisch
das Heim des Menschenfreundes Manccra, welcher ein
Gegenspieler des Kaisers Max von Mexiko war. Es ist ein
Wohnpalast vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Druck-
schrift in spanischer Sprache erzählt, um welches Haus
es sich handelt.
„Stanley in Afrika" ist ein zerlegtes Knabenhuch, von
Kugelschreiberzeichnung in verschiedenen Farben und
von Papier unterstützt, auf dem Aquarellfarben auspro-
biert wurden. Das Schiff „M0nit0r" im Golf von Hon-
duras ist aus einer Gartenlaubezeitschrift, der „Illustrier-
ten Welt" vielleicht, geschnitten. Aus einem jugendbuch
des Verlags Spaun und dem Pergament eines alten Mis-
sale wurde „Eldorado, hommage ä Voltaire" geklebt.
„Osterinsc-l" gibt eine Druckreproduktion von Oster-
inselschrift wieder. Auch Bast und Birkenrinde können
sich als brauchbare Mittel der Collage erweisen. Viel
ist aus der Struktur des Pcrgaments herauszuholen. In
dem eindrucksvollen „Teotihuacan" ist mehr Zeichnung
(auf Pergament) als Collage, in „Merry old England"
fast keine Spur von Zeichnung. Immer geht es darum,
einer Wirklichkeit habhaft zu werden; was der Zweck
der Collage von allem Anfang an war.
Die Abart, die Neuwirth aufbrachte, ist dem phantasie-
vollen Normalbild näher als jede andere Form der
Collage vor ihm.
Das heißt nicht, daß sie dem gemalten Bild gleich ist.
In der Beschäftigung, in der Zauberei mit Dingen, welche
vom Lumpensarnmler kommen, in der poetischen Ver-
wandlung, die gerade darin besteht, daß Isoliertes, Ab-
gelebtes wieder einen Zusammenhang bildet, der glän-
zende Augen, rote Backen hat, liegt ein spezifischer Reiz.