Kunst in den Oratorien des Domes
geschah. Zunächst: Ein „lebender"
Dom ist vom Geistigen wie vom
Technischen her kein Ausstellungs-
lokal. Es muß verhindert werden,
daß Kirchen, in denen heute die
Kunst ihre letzte echte, gewachsene
Heimstatt hat, zu Museen und Aus-
stellungspalästen „umgesehen" wer-
den. Davon ganz abgesehen, ist die
Architektur der Oratorien so stark
und dominierend, so sehr auf die
zeitstilistisch bedingte, schneeweiße
Reinheit von Struktur und Dekor
abgestimmt, daß alles, was in die-
sem Rahmen zur temporären Auf-
stellung kommt, einfach hinweggc-
wischt, in extremen Fällen sogar zu
Gerümpel degradiert wird. Ferner
ist zu berücksichtigen, daß sich die
nun schon eindreiviertel jahrhun-
dertc andauernde Krise der christ-
lichen Kunst in der Weise auf-
zulösen scheint, daß in strenger
Konsequenz der Prozcß der Wand-
lung der Gläubigkeit vom 16. jahr-
hundert bis zur Gegenwart von
einer objektiv-existenten Bildwelt
zu einer subjektiv-spirituell-mysti-
sehen, keiner Bilder mehr bedürfen-
den Ändachts-Syrnbolik führt. Es
erhebt sich die Frage, 0b die Kirche
heute der bildenden Kunst im Sinne
einer gegenständlich faßbaren Dar-
stellung der göttlichen Personen
und der Heiligenwelt überhaupt
noch bedarf und ob die elementare
Anrufung des Empfindens durch
reine Farben und Fnrmrn nicht das
Biennale an liturgischem Gerät ge-
zeigt wird, also dem gegenständ-
lichen Gebrauch des Kultes dient,
sehr wohl gelungen. Ferner ist es
nur logisch, daß die qualitativ wert-
vollsten Beiträge aus dem Calvini-
stischen Holland kommen, das -
in seiner protestantisch-orthodoxen
Komponente - ,.bildender" Kir-
chenkunst ja längst nicht mehr be-
darf. Als Inbegriff aller jener Strö-
mungen, die des Bildes entraten
können und ganz zum Zeichen stre-
ben, sei die Custodie von jose Luis
Coornonte genannt, die von dieser
Warte her gesehen, einer weiteren
Interpretation nicht mehr bedarf.
Aber mit der Feststellung, daß
gegenständliche Kirchenkunst heute
nicht mehr möglich ist, da es ein
seelisch nahes G0ttes-„Bild" imwört-
liehen Sinn nicht mehr gibt, ist es
nicht getan: Wie sollen die Bedürf-
nisse desKirchenvolkes in einer Zeit,
in der geistige Wahrnehmungen
weitgehend vom Lesen zum Schauen
(Kino, Television!) verlegt wurden,
in angemessener Weise befriedigt
werden? Das letzte, schaurigste De-
rivat der mittelalterlichen „Biblia
pauperum" mit ihren großangeleg-
ten Bildzyklen sind unzweifelhaft
die amerikanischen Cartoons - glei-
ches Mittel zu gänzlich anderem,
verweriliehem Zweck. Aber ergibt
sich hier nicht die Möglichkeit eines
Ansetzens? Sollte gerade im Raume
der Kirche ein rein narrativer,
künstlerisch imnz ansnruchsloser
Wiener Glasfenstern für Hiroshima?
Ist es nicht der „Personenkult" un-
serer Künstler, der den Durchbruch
zu einer auch im tiefsten Sinne
christlichen Schlichtheit verstellt?
Hoffen wir. daß die Salzburger
Dom-Biennale zu Diskussionen an-
regt und zu einer tieferen Schau
der Probleme iührt!
Problematisch ist letztlich, so er-
staunlich das klingen mag, auch die
Kunst von Giacomo Manzü, der
Friedrich Welz im „Zwerglgarten"
einen prachtvollen temporären Rah-
men gegeben hat. Manzü ist nach
all dem Übermaß an „unsinnlicher",
hephaistiseher Plastik (Hoflehnerl)
eine wahrc Labsal - aber er ist,
wie gerade die Salzburger Ausstel-
lung beweist, letztlich kein Bildner
von Volumina, ja gerade das Gegen-
teil dessen, was die Total-Plastiker
von heute (Wotruba, Moore) sind.
Manzü malt in Bronze, ganz, wie
man dies im Frankreich der achtzi-
ger jahre tat, die platonische Idee
des Standbildes (um die etwa Wo-
truba so hart ringt) interessiert ihn
überhaupt nicht, ja, er schafft Bild-
werke, bei denen das Labile, Hohle,
nicht nur Un-, sondern sogar Anti-
Statische mit voller Absicht betont
wird. Damit ist Manzü Manierist,
genau wie seine beiden grdßen
Landsleute Marini und Greco:
Klemmt der eine seine Bildungen in
dingfremde abstrakte Konfiguratio-
nen ein, zwingt der andere seinen Fi-
miren Zäsurcn und Rhvthmen auf.