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Volltext: Alte und Moderne Kunst V (1960 / Heft 10)

während der Bahnfahrt, durch den Türspalt eines Ab- 
teils gesehen, der Fleischhauer, der auf den Rutarhof 
kommt. Das sind die Themen, alle einfach angepackt, 
ohne Schnörkel dargestellt. Unmittelbar werden wir mit 
allem konfrontiert, da bleibt kein Platz zum Ausweichen. 
Eine Kunst der Psyehologierung ist hier erreicht, wie sie 
einzig dasteht in der modernen Malerei. Und welche 
Nuancierung der sparsam verwendeten Farben, wieviele 
Abstufungen des Violetts, des Halbdunkels, bis hin zum 
Erlöschen! 
Ich habe oft darüber nachgedacht, warum diese eigen- 
artige Kunst nicht einhelligere Anerkennung gefunden 
hat. Denn neben der vorbehaltlosen Zustimmung fin- 
den sieh immer wieder Stimmen, die vor dieser Malerei 
ratlos sind und mit ihr nichts anzufangen wissen. Neben 
dem Urteil eines jörg Mauthe, der sagte, man müsse 
diese Bilder nur aus der richtigen Perspektive, aus dem 
richtigen Blickwinkel sehcn, sie etwa neben die Bilder 
der Maler der „Brücke" halten, eines Peehstein, Kirch- 
ner, Heekel. aber auch eines Nolde, um ihre überragende 
Qualitäten klar zu erkennen - neben einem solchen 
Urteil steht das eines andern Kritikers, der diesen 
„naiven Expressionismus" nur belächeln kann. 
Was ist davon zu halten? 
Ich glaube, daß jede Zeit nur das Organ zur Wahrneh- 
mung bestimmter malerischer Werte hat, und daß da- 
neben das Erkennen anderer malerischer Werte verküm- 
mert oder gar nicht entwickelt ist. So ist unsere Zeit 
blind für alle Qualitäten der Malerei, die mit einer 
psychologisch exakten Wiedergabe des menschlichen 
Antlitzes, mit einer zu mythischer Dichte gesteigerten 
Wiedergabe der Wirklichkeit zusammenhängen. Das 
sieht man nicht, das will man nicht sehen - das scheint 
mit „Literatur" zusammenzuhängen, scheint „literari- 
sche Malerei" zu sein und ist darum verdächtig. Die 
Haupttendenzen gehen zur „reinen Malerei", die nichts 
als Form ist, zum Konstruktiven und neuerdings zum 
Psychogramm, zur spontanen Niederschrift von Pinsel- 
bewegungen. Innerhalb dieses Kreises ist die Kritik ge- 
schult, feinste Nuancen wahrzunehmen, darüber vermag 
sie viel zu sagen. Maler, die bei diesen Tendenzen nicht 
mithalten, sind da für einen großen Teil der professio- 
nellen Kritik "erratische Blöcke", man weiß nicht viel 
mit ihnen anzufangen, man umgeht sie am liebsten ohne 
zu ihnen Stellung zu nehmen . . . 
Einhellig ist dagegen die Anerkennung, die Werner Berg 
als Künstler des Holzschnitts gefunden hat; sein inter- 
nationaler Rang, den er nur noch mit einem Frans Ma- 
sereel teilt, ist unbestritten: die Sparsamkeit seiner Mit- 
tel, seine Formaskese, sein Arbeiten mit den Strukturen 
des Holzes sind so offensichtlich, daß auch der, der kein 
intuitives Verhältnis zur Kunst hat, sondern in ihr zu- 
erst Prinzipien verwirklicht sehen will, zugeben muß, 
daß hier reine und große Kunstwerke vorliegen. 
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