TRAUM, POESIE UND VEREISUNG DER WELT
Zum Werk des Malers Edgar lenä
JOHANN MUSCHIK
Edgar jene wurde 1904 in Saarbrücken als Sohn einer Familie von lothringi-
scher Herkunft geboren. 1922 trat er in die Münchener Akademie der bilden-
den Künste ein. Zwei jahre später kam er nach Paris, inskribierte an der Ecolc
des Beaux Arts, um sich sehr bald wieder zu verabschieden von ihr. 1928 stellto
der Künstler zum erstenmal (und erfolgreich) im Salon des Independants
aus. Beteiligung an zahlreichen Ausstellungen in Frankreich und anderen Län-
dern folgte. Personalausstellungen, unter andern in Saarbrücken, Mannheim,
Berlin, Rom und Düsseldorf kamen hinzu. Fünfzehn jahre lang lebte jene
in Wien (ab 1935). Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges wurde er neben
Gütcrsloh gewissermaßen der Stifter der Schule des „Phantastischen Realis-
mus", jener Wiener surrealistischen Abart, welche in mancher Hinsicht eine
Umkehrung des Surrealismus bedeutet.
1950 verzog der Künstler wieder nach Paris, um sich hier endgültig nieder-
zulassen. Ein französischer Maler ist er im Grunde immer gewesen. In jenem
Lande hat er das ihm gemäße Klima gefunden, in der französischen Kunst
die Meister, zu denen es ihn vor allem zog, und deren Wesen verwandt er
seine eigene Begabung wußte.
Paul Westheim, der jene für die Deutschen entdeckte, schrieb früh über
den Künstler: „Braque, Lurgat, Odilon Rcdon hat er gesehen, nicht um sie
abzuschreiben. Er begreift sie, er schafft wie sie . . ." Und so ist es wohl
auch nicht zufällig geschehen, daß jene die Wiener Hausner. Fuchs, janschka
und andere zwar mit der Ideologie des orthodoxen Surrealismus vertraut
gemacht hat - mit der „Femme lOÜ Tetes", mit Bretons Manifesten vor
allem -, sie aber als Maler kaum beeinflussen konnte. Ihrem eigenen inneren
Wuchs gemäß, knüpften die jungen mehr bei den Gotikern, bei de Chirico,
bei Dali, bei Klee und Gütersloh an.
Seit 1954 ist jene einer der wichtigsten Künstler der Galerie Fürstenberg;
4, Rue Fürstenberg, Paris 6c - Metro Saint-Germain-des-Pres, „Peintre de
la Galerie", Maler unter Vertrag. Das Unternehmen hat sich den Handel mit
phantastischer und lyrischer Malerei und auch etwas primitiver Kunst zur
Aufgabe gemacht. „Surrealistische Malerei aller Zeiten" wird in den Werbe-
texten angekündigt. Der Satz verspricht nicht zu viel. Mit einer Ausstellung
„Zusammengesetzte Köpfe Arcimboldos", von der Paris heute noch redet,
wurde die Galerie im jahre von jenes Eintritt eröffnet. Präsentationen des
Werks von Man Ray und Andre Masson folgten unter anderen. Für die
Gemälde, die die Galerie anzubieten hat, zeichnen Namen wie Max Ernst
Tanguy, Matta, Vieira da Silva, Toyen, Raoul Michau und von den jüngeren
Rozsda, Lepri, Dimier, Zcv, Copley, Manina, Metcalf. Im Besitz des Hauses
ist die größte Sammlung von Picabia-Bildern, die sich in Europa findet. Ma-
dame Simone Collinet, Inhaberin der Galerie, war die erste Frau Andre Bre-
tons und seit Beginn der modernen surrealistischen Bewegung mit dabei. Das
mag einiges zur Erklärung der Eigenart des Unternehmens beitragen.
Edgar jenes erste surrealistische Bilder sind in den dreißiger jahren ent-
standen. In „Schwarze Mauer" (1935) fliegen phantastische Wesen, halb
Algen, halb Vögel, dahin. Zwei überdimensionierte Blätter wachsen über den
Palisadenzaun, vor dem eine Frau als Wächter steht; den höchsten Berges-
gipfel im Hintergrund ziert ein kolossaler Schmetterling. Hier und in manch
anderen Bildern sind Einflüsse Max Ernsts, Tanguys, der japaner zu spüren.
Eigenschaften, der Zartheit und Spitzbüberei Paul Klees verwandt, bezau-
bern immer wiedcr. Dabei kann von „Beeinflussung kaum mehr die Rede
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