Bemerkungen zu Holbeins Bildnis eines jungen Mannes von 1541
in der Gemäldegalerie des Wiener Kunsthistorischen Museums.
{ANS WERNER GROHN
Wiederholungen bedeutsamer Gemälde, Übernahme mei-
sterlich geprägter Formulierungen durch Zeitgenossen
und Nachfahren ihrer Schöpfer sind in der Kunstge-
schichte keine Seltenheit. So haben auch zahlreiche
Werke Hans llolbeins des jüngeren zum Kopieren an-
geregt. Diese Kopien sind nicht durchweg bloße Re-
produktionen, wie sie - bis in unsere Tage - fleißig
und sorgsam ausgeführt werden, als Ersatz für das un-
erlangbare Original. Einem kleinen Teil dieser Wie-
derholungen haftet der böse Stempel des bewußten
künstlerischen Diebstahls an, einige wenige entstanden
gar aus der Absicht gröblicher Fälschung. Doch gibt es
auch andere Motive für nachschaffende Tätigkeit, etwa
bewundernde Betätigung und Anerkennung des Vorbil-
des durch ebenbürtige Meister, so, wenn Maler wie
Rubens, Zeichner wie Menzel Holbein studierend nach-
gehen. Vielfach auch zeigen freiere Wiederholungen
das Unvermögen des weniger Produktiven, sich von den
einmal gesehenen gültigen Formen treffender Aussage
lreizurnachen, beispielsweise wenn nach Holbein kaum
jemand noch einer Erasmus-Darstellung fähig ist, ohne
an dessen Bildnisse zu denken. In jedem Falle sind diese
Kopien Ausdruck der Wirkungskraft einer großen
schöpferischen Leistung.
Von den Werken Holbeins, die zum Kopieren angeregt
haben, stehen seine Bildnisse an erster Stelle. Die Gründe
hierfür liegen nahe, insbesondere bei Porträts bekannter
Persönlichkeiten und würdiger Repräsentanten. Es würde
weit führen, wollte man einen Katalog von Wiederho-
lungen nach Arbeiten dieses Meisters aufstellen, er
reichte durch die ganze Kunstgeschichte. bis hin zu Men-
zel, ja van Gogh, und würde bei einzelnen Werken be-
achtlichen Umfang annehmen, denn groß ist die Zahl
der Kopien etwa nach dem Bild der Familie des Thomas
Morus aus dem Winter 1528,39, den Basler Erasmus-
Bildnissen oder den Porträts vom englischen Hofe. Man
miißte dabei überdies zwangsläufig auf eine der scharf-
sten kunsthistorischen Fehden des letzten jahrhunderts
stoßen: die Frage nach dem echten Altarbild des Bür-
germeisters Meyer und damit auf ein fesselndes Ka-
pitel Geschichte der Kunstgcschichte. Nichts von alle-
dem sei hier angestrebt. Nur ein Werk Ilolbeins sei
herausgegriffen, freilich eines der schönsten und gut
geeignet für ein Exempel, um die Vielfalt von Mög-
lichkeiten nachschöpferischer Tlitigkeit an einem Bei-
spiel zu erläutern.
Das „Bildnis eines jungen Mannes" in der Wiener Ga-
lerie trägt das Datum 1541, fällt also mit seiner Ent-
stehung in die letzte Schaffenszeit unseres Meisters. Es
kam in das Wiener Museum mit der Sammlung des Erz-
herzogs Leopold Wilhelm und ist in deren Inventar
von 1659 unter der Nummer 441 aufgeführt. Folglich
befindet sich das Bild mindestens seit der Mitte des
17. Jahrhunderts in Österreich; rund hundert Jahre sei-
ner Geschichte liegen jedoch im Dunkeln, denn Vorbe-
sitzer kennen wir nicht. Vermutlich waren es Ange-
hörige und Nachfahren des Dargestellten. Doch auch
dieser ist unbekannt und wir wissen von ihm nieht mehr,
als eine nachgezogene, aber echte Inschrift auf dem
grauen Bildhintergrund angibt: er ist achtundzwanzig
Jahre alt. Allem Anschein nach war der Porträtierte
von bürgerlichem Stande. Ganzl vermutet, daß es sich
um einen der Kaufleute des Stalhofes handelt, die llolbein
in dieserArt darzustellen pflegte, aber die Bildnisse von
Handelsherren werden nach der Mitte der dreißiger Jahre
immer seltener, und sowohl die klugen und ausdrucksvol-
len Züge als auch das sparsame Beiwerk, Schreibzeug
und ein Buch, lassen doch vielleicht eher an einen ju-
gendlichen Gelehrten als an einen Kaufmann denken.
Übrigens war uns die Ähnlichkeit des hier Dargestell-
ten mit einem gleichfalls bekannten Jüngling auf dem
1537 datierten Bild der Sammlung Schaefer, Paris, so-
gleich aufgefallen. Dieser Eindruck fand sich wenig spä-
ter durch Ganz bestätigt, der gleichfalls darauf ver-
weist." Leider ist diese Bemerkung mit llilfe von Tat-
sachen nicht zu erhärten, denn das Bild der Sammlung
Schaefer wurde beschnitten, wobei rechts nur ein
ETATlS . SU . . . übrig blieb. Interessant ist freilich,
daß das Pariser Bild, wie Ganz mitteilt, 1926 aus öster-
reichischem Adelsbesitz kam. Sollte der Unbekannte
vielleicht ein in London lebender Fremder sein, dessen
Heimat im österreichischen Raum zu suchen ist?
Auf dem Wiener Bild sitzt der junge Mann in halber
Figur vor einer zur lliilfte getäfelten Wand und hat
sich durch eine leichte Drehung des Körpers einem von
rechts mit der Ecke in die untere Bildzone hineinragen-
den Tisch zugekehrt, während er Antlitz und Blick dem
Besehauer entgegenwendet. Der rechte Arm liegt parallel
zur Bildfläche, Hand und Gelenk sind auf die Platte
des Tisches gestützt, der andere kommt stark verkürzt
aus der Bildtiefe, verläuft also gleich mit der flüchten-
den Kante des Möbels. Die Linke, um ein Paar Hand-
schuhe gcschlossen, ist an Zeige- und Kleinfinger mit
einem Ring geschmückt und berührt das Handgelenk
der Rechten. Diese, am kleinen Finger mit zwei Ringen
besteekt, greift mit dem Zeigefinger in den Schnitt eines
Büchlcins, um das Versehlagen der wohl eben noch ge-
lesenen Seite zu verhindern. Wahrlich, ein kunstvolles
und, wie man zugestehen wird, kein alltägliches Motiv,
in dem die Hände hier einander zugeordnet sind und
bewegt werden.
Dies Werk nun und die von ihm angeregten Nach-
schöpfungen sollen uns zu unserem Vorhaben dienen.
Drei Formen nachschaffender Tätigkeit möchten wir
hier voneinander trennen und im einzelnen mit Beispie-
len belegen: Die Kopie, die Motiv-Entlehnung und den
Pasticcio, die Übernahme verschiedener vorgeprägter
Formen und ihrer Verbindung zu einem neuen Bild.
Die Kopie, das bedarf kaum der Erklärung, hält sich
getreu an das gegebene Objekt und ist eine genaue
Nachbildung der entsprechenden Vorlage. Eine alte