Glashaus über die Ausstellungs-
hallen des 19. Jahrhunders bis zu
seinem Ursprung. dem verglasten
Treibhaus, verfolgt. Es hat sich er-
geben, daß es im Anfang künstlich
gezüchtete oder am Leben erhaltene
Pflanzen waren. für die ein Glas-
haus gebaut werden mußte. Es
verdient festgehalten zu werden,
daß auch bei den modernen Bauten,
die um des Lichteinfalls willen
weitgehend aus Glaswänden beste-
hen, das Moment des Künstlichen
keineswegs ausgeschaltet ist, ja im
Gegenteil durch die Klimaanlagen,
die gerade eine völlige Unabhängig-
keit von der Außentemperatur zur
Folge haben, noch gesteigertwird.
Die Aufgeschlossenheit gegenüber
der Natur geht also mit einer Ver-
gewaltigung derselben Hand; in
Hand. Daß der Innenraum der Be-
strahlung durch das Tiageslicht aus-
gesetzt und damit besser beleuchtet
wird, ist der zweite und für Aus-
stellungsbauten entscheidende Grund
für die durchgehende Anwendung
von Glas.
Schließlich ist zu betonen, daß die-
jenigen Glasbauten, die dem Be-
schauer von außen völlig freien Ein-
blick in das Innere des Hauses ge-
währen, typischen Ausstellungscha-
rakter tragen. Während diese Über-
schaubarkeit bei einer Ausstellung
mit ihrem Appell an die Öffent-
ichkeit selbstverständlich ist, muß
sie bei einem Büro- oder Fabrikge-
bäude und erst recht bei einem
Wohnhaus Befremden erregen, da
'IiCI' ja normalerweise kein Schau-
oedürfnis der Öffentlichkeit vor-
iegt. Es ergibt sich daraus die
iolgerung, daß bei Glasarchitektur
eine Kontrollmöglichkeit deröffent-
ichkeit besteht. Ein solches Ent-
gegenkommen gegen alle anderen
Bürger ist nur in einem demokrati-
schen Staat möglich.
is ist demzufolge kein Zufall, daß
alle gezeigten Glasbauten des 20.
Jahrhunderts - bei denen es sich
"a in keinem Falle um Ausstellungs-
architektur handelte - in demo-
cratischen Ländern errichtet wor-
den sind. Die modernen Diktaturen
- sowohl der Bolschewismus wie
der Nationalsozialismus - haben
das Glashaus ignoriert. Es sei hier
ein interessantes Beispiel aufge-
führt, das zunächst den Schein des
Gegenbeweises für sich hat. In den
ersten Jahren des Bolschewismus
hat nämlich der russische Architekt
Tatlin ein Denkmal der Dritten In-
ternationale für Leningrad entwor-
fen." Drei riesige Glaskörper soll-
ten nicht nur übereinander aufge-
hängt, sondern auch spiralförmig
gegeneinander in ständiger Bewe-
gung gehalten werden. Der untere,
würfelförmige Raum war für Sit-
zungen der Internationale bestimmt.
Der nächsthöhere Raum in Form
einer Pyramide sollte die Verwal-
tung aufnehmen, und der oberste
Teil - in Gestalt eines Zylinders
-war einem Informationsbüro vor-
behalten. Die Glasbauweise zielte
hier auf völlige Überschauharkeit
des Staatsgetriebes ab. Es nimmt
nicht Wunder, daß das Projekt nie-
mals realisiert wurde. Es beweist
aber, daß wir auf dem richtigen
Wege waren, als wir die Tendenz
des Glashauses nicht nur in Rich-
tung auf größere Naturnähe und auf
bessere Beleuchtung, sondern vor
allem auf ihren Ausstellungscha-
rakter hin kennzeichneten.
12 Glashaus in Wien, Unteres Belve-
dcre, 1715 (Stich von Salomon Kleiner).
12
' Handbuch moderner Architektur, Safari-Verlag Berlin 1957, 378-379. - 2 Handbuch, a. a. O., Abb. S. 175 (Entwurf). -
. joedicke: Geschichte der modernen Architektur, Stuttgart 1958, Abb. 139 (Ausgeführte Bauten). - 3 Perspektiven, Heft 8, 1954,
Abb. 1a. _ 4 j. _IOCd1Cl(C, a. (i. 0., Abb. 223. _ 5 j. joedicke, a. a. 0., Abb. 224. - ß j. JOCCÜCkC, a.. 0., Abb. 118. _ 1 j. JOC-
dicke, a. a. O., Abb. 221. - 3 j. Jocdicke, a. a. 0., Abb. 113. - 1' K. W. Luckhurst: The Story of Exhibitions, London 1951, Abb.
S. 128. N. Pcvsner: Wegbereiter moderner Formgebung, Hamburg 1957, 81, Abb. 43. - l" gloedicke, a. 21.0.. Abb. 28. -
1' K. W. Luckhurst, a. a. O., Abb. S. 89. - n Perspektiven, Heft 8, 1954, Abb. 1. Vgl. auch H.-R. Hitchcock: Architecture, Nine-
tcenth and Twcntieth Centuries, Harmondsworth 1958, 124-126. - 13 G. Lehnert: Illustrierte Geschichte des Kunstgewerbes, 2,
Berlin o. j., Abb. S. 411. - 14 Der GlaSpalast der Industrie-Ausstellung aller Nationen von j. Paxton, Leipzig 1851, 8-9. -
15 Glaspalast, a. a. 0., 44. - 1" M. L. Gothein: Geschichte der Gartcnkunst, Il, Jena 1914, 42.5, Abb. 614. N. Pevsncr: Derby-
shire, London 1953, 93. - 17 K. W. Luckhurst, a. 21.0., Abb. S. 88. - "l A. Tschira: Orangerien und Gewächshäuser, Berlin 1939,
30. - 19 A. Tschira, a. a. 0., 71, Abb. 51. - 2" Schon im Mittelalter hat man sich das Glashaus erträumt. Chaucer erblickt einen
Vcnustcmpel aus Glas (im „House of Fzune"), John Lydgatc hat dasselbe Thema in seinem Temple cf Glas aufgenommen. Vgl.
W. F. Schirmer: John Lydgatc, Tübingen 1952, 32-33. - 2' R. Fülöp-Millcr: Geist und Gesicht des Bolschcwismus, Zürich-Leip-
zig-Wien 1926. 140-141, Taf. 66 und 67.
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