Im Jahre 1905 reiste der belgische Großindustrielle
Adolphe Stoclet durch West- und Mitteleuropa, um
für sein vor den Toren Brüssels zu erbauendes neues
Haus einen geeigneten Architekten zu finden. In Wien
wurde er durch den befreundeten Maler Carl Moll auf
die Hohe Warte geführt, wo er Prof. Josef Hoffmanns
wenige Jahre vorher errichtete Villenkolonie in der
Geweygasse und Steinfeldgasse kennenlernte und von
ihrer ganzen Anlage sowie einzelnen Häusern so stark
beeindruckt wurde, daß er alsbald auch die Verbindung
mit ihrem Erbauer und der von ihm geleiteten „Wiener
Werkstätte" aufzunehmen beschloß. Und Hoffmann
dankte es Mr. Stoclet noch nach 50 Jahren in seiner
Festrede anläßlich des fünfzigjährigen Bestandes des
Stoclet-Palais, „dnß er den Mut gehabt hatte, der jun-
gen, kaum zum Bewußtsein ihrer Sendung gekommenen
Kün tlersehar der „Wiener Werkstätte" den Bau seines
Hauses anzuvertrauen und sie mit aller Kraft und Liebe
zuläfördern".
Mr. Stoclet war aber auch ein idealer Bauherr. Denn
abgesehen davon, daß es ihm seine Mittel gestatteten, in
jeder Beziehung aus dem Vollen zu schöpfen, war er
sich auch mit seinem Architekten in dem Wunsche
einig, mit dem neuen Hause ein Gesamtkunstwerk zu
schaffen, bei dem nur die besten und kostbarsten Ma-
terialien zur Verwendung gelangen, nur die geschick-
testen Handwerker und erfindungsreichsten Künstler
herangezogen werden sollten. Und so wird jeder, der das
Palais Stoelet in der Avenue de Tervueren 281 (Brüssel,
Woluwe St. Pierre) selber gesehen hat, in das stolze
Lob seines ersten Besitzers einstimmen, der nicht ohne
Recht behauptet hat, sein Haus sei „la plus belle maison
du monde". Sind doch auch noch die Enkel Mr. Stoc-
lets so sehr in ihr Haus verliebt, daß die jüngste Toch-
ter Mr. Jacques Stoclets mir gegenüber den Ausspruch
getan hat: „C'est une m'ison pour les angesl"
Werkstätte" hatte auch die Elite ihres Künstlerstabes auf-
geboten, um dem Namen Wiens im fernen Ausland alle
Ehre zu machen. Unter der Gesamtleitung Josef Hoff-
manns schmückte Gustav Klimt den Speisesaal mit
einem Mosaikfries, der, seiner Zeit weit vorauseilend,
bereits eine teilweise abstrakte Ornamentik aufwies.
Ludwig Heinrich jungnic kel bemalte die Wände
des Kinderzimmers mit einem lustigen Tierfries, Ber-
told Löffler und Michael Powolny zierten einen
weiteren Raum mit farbigen Majoliken und bunten Ka-
cheln. Auch Richard Luksch und Elena Luksch-
Manko w sk a betätigten sich als Keramiker; Kolo
Moser, Carl Otto Czeschka und Leopold Forst-
ner stellten ihre starke dekorative Begabung eben-
falls in den Dienst der Flächenkunst. Nicht minder
sorgte der Sammeleifer Mr. Stoclcts mit erlesenen an-
tiken und ostasiatischen Plastiken, afrikanischen Schnit-
zereien und köstlichen Arbeiten seiner Landsleute Fer-
nand Khnopff und James Ensor für die künst-
lerische Ausschmückung der Räume.
Der Umstand, daß die Außenwände des Hauses mit
norwcgischem Turili-Marmar, die Innenwände großen-
teils mit gelbbraunem italienischen Paonazzo-Marmoi"
verkleidet sind, hat mitsamt der sorgfältigen Pflege, die
der gegenwärtige Eigentümer Mr. jacques Stoclet dem
3 In Kupfer gchämmerle und vergoldete Einfassungen der
Wände.
4 Große Halle.