als Geschäftsmann gekommen war, erkannte die Bedeu-
tung des Bauwerks und war von der architektonischen
Schönheit des Schlosses tief beeindruckt. Als sich über-
dies ein österreichischer Industrieller bereit fand, sich
am Ankauf des Schlosses zu beteiligen, war damit eine
ideale Partnerschaft geschaffen, die nun die Aufgabe
übernahm, das Schloß instand zu setzen und eine prak-
tische Verwendung fiir die Zukunft zu finden. Bereits
am Eröffnungstag des Reaktors konnte in den Räumen
des Schlosses ein Empfang gegeben werden, den Bundes-
präsident Dr. Schärf durch seine Anwesenheit aus-
zeichnete.
Sivridsdorf wird erstmals 1260 erwähnt und mußte dem
Landesherrn seinen Teil an Naturalabgaben leisten. Es
erscheint später als Seyfricdsdorf, Seifritstorf, Seibers-
dorf und Seyberstorff, wie es aus der noch nicht ver-
öffentlichten Niederösterreichischen Ortsnamcnkartei
von Dr. Heinrich Weigl ersichtlich wird.
Das Schloß, das in der Topographie von Georg Matthäus
Viseher, 1672, unter Nr. 97 als Besitz des Grafen Nikola
Palffy erscheint, wurde wie viele der benachbarten
Schlösser wohl als Wasscrburg entlang der Leitha-Ver-
teidigungslinie gegen Magyaren und Türken erbaut. [m
Standardwerk von Franz Schweickhardt Ritter von
Sickingen (1830) heißt es, „das herrschaftliche Schloß
ist ein schönes im Italienischen Style aufgefürtes Ge-
bäude". Außerdem wird der große Park, „ausgezeichnet
durch die Größe seines Umfanges, als eine durch Natur
und Kunst ins Leben gerufene herrliche Anlage" beson-
ders erwähnt. Der Autor spricht von „kolossalen Bäu-
men" und „langen schattenreichen Alleen". Nach wie
vor werden die „Regalien der Fischerei sowie der Jagd-
barkeit" von den Besitzern geschätzt.
Von dem mittelalterlichen Zustand ist heute nichts mehr
erkennbar, da um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein
großangelegter Neubau erfolgte, der die Grund-
lage des heutigen Schlosses darstellt. Nachdem die mit-
telalterliche Burg infolge nachbarlicher Fehden im Jahre
1412 zerstört worden war, kam es ungefähr 150 Jahre
später zur Errichtung eines völlig neuen Renaissance-
baus. Wie aus der um weitere hundert Jahre späteren
Darstellung von Vischer hervorgeht, ist das große vier-
kantige Hauptgebäude an der Südseite von einem mäch-
tigen vorgesetzten Torturm überragt. Aus den Gewölbe-
formen der Räume im Erdgeschoß kann man erschlies-
sen, daß der Neubau in der Zeit um 1560 erfolgte.
Dieser Vierkant war von vier Bastionen, einer Ring-
mauer und einem Wassergraben umgeben. Die vier Ba-
stionen sind erhalten geblieben, während der äußere
Torturm mit der anschließenden l-lolzbrücke in der
Barockzeit erneuert wurde. Anscheinend dürften Schlaß
und Pfarrkirche auch im Jahre 1683 schweren Schaden
erlitten haben. Jedoch der Wiederaufbau und die Er-
neuerung ließen auf sich warten. Erst nachdem Leopold
Graf von Cavriani di Castello, ein Sproß der aus Mantua
(1360) stammenden Reichsgrafen, die in ihrem Wappen
den Doppeladler (1560) führten, das Schloß im Jahre
1715 erworben hatte, wurde es einem zeitgemäßen Ba-
rockumbau unterzogen. Die Vorbesitzer waren die Er-
ben nach dem Grafen Julius Friedrich Ducellini ge-
wesen, der nicht nur Schloß und Kirche des Marktes
Seibersdorf, sondern auch die zugehörige und benach-
barte Kirche von Reisenberg (zirka 1699) nach der
Türkengefahr wieder hergestellt hatte.
Der schöne Barockbau des Grafen Cavriani ist im
wesentlichen bis heute erhalten geblieben. Der Graf ließ
den prunkvollen Stiegenaufgang einbauen und errich-
tete einen heute leider zerstörten Festsaal. Auch die
noch bestehenden Stuckplafonds in den östlich gelegenen
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Zimmern des ersten Stockes stammen aus dieser Zeit.
Die Fassade und der Turm wurden zusammen mit dem
Neubau des Saales im besten Stil des späten Barock der
Zeit Karls V1. umgestaltet. Auch der Hof des Renais-
sanceschlosses wurde durch den Einbau eines Arkaden-
ganges verändert, der einerseits zur Prunktreppe führt,
andererseits im ersten Stock den großen Barocksaal er-
weiterte. Ebenso wurden zwei Rundtreppen in den Ecken
des Hofes eingebaut und zwischen diesen im Erdgesehoß
eine oetogonale Sala terrcna eingerichtet. Gleichzeitig
erfolgte die Abtragung des alten Renaissancetores und
der Brücke. An deren Stelle trat eine Toreinfahrt, die in
Anlehnung an Schönbrunn von zwei Obelisken flan-
kiert wird, deren ungewöhnlich reicher plastischer
Schmuck aus mächtigen Figuren von Flußgöttern be-
steht. Die Turmhaube und die Uhrstube des Haupttur-
mes wurden ebenfalls barockisiert. Die ehemaligen
Bastionen an der Nordseite des Schlosses ließ Graf
Cavriani in Pavillons umbauen, gab ihnen schöne, mit
Hermenpilastern geschmückte Portale und als Bekrä-
nung eine Attika mit Vasen und Statuen.
Einer dieser Pavillons ist nun innen modernisiert und
mit allen Bequemlichkeiten (Schlafzimmern, Wohnzim-
mern, elektrischer Heizung, Bad usw.) ausgestattet wor-
den. Die alte Kasematte im Untergeschoß, deren Ge-
wölbe seit Jahrhunderten von einer schweren eisernen
Zugschließe zusammengehalten wird, wurde zu einer
Halle mit großem offenen Kamin umgestaltet. Das
schmiedeeiserne Geländer der neu eingebauten Stiege,
die Wandappliquen, Stiche von Riedinger und Jagd-
trophäen des neuen Hausherrn, geben dem Raum ein
„männliche? Gepräge. Es ist zu wünschen, daß die aus-
ländischen Besucher, die hier zu ernsten Konferenzen
oder zu einer gelegentlichen Jagd zusammenkommen,
sich wohlfühlen werden.
Bei der umfassenden Barockisierung hatte Graf Cavri-
ani auch des Parkes nicht vergessen. Er ließ eine große
Mittelachse anlegen, als deren Abschluß man vom
Schloßbalkon aus die Ortschaft Reisenberg (Goldberg,
Kirche) sehen kann. Mit diesem Ausblick vom Schlaf},
über den Park, den Schloßteich, bis weit in die freie
Landschaft hinaus, wurde hier ein Gedanke aufgegriffen,
der in der Konzeption des Parkes von Versailles ver-
wirklicht worden war.
Das Schloß selbst freilich ist noch nicht eingerichtet und
seine zukünftige Verwendung derzeit noch nicht völlig
geklärt. Da viele Wissenschaftler, oft in Gruppen, stu-
dienhalber den Reaktor von Seibersdorf besuchen wer-
den und die Atomforschung durch Gedankenaustausch
und Symposien gefördert wird, wäre es wohl wünschens-
wert, die Säle und Wohnräume des Schlosses für die zu
Besuch weilenden Experten instand zu setzen. Die Nähe
Wiens, der schöne Park und die noch bestehenden Jagd-
und Fischereimöglichkciten legen aber auch den Plan
zur Gründung eines Country-Clubs nahe.
Es ist erfreulich, daß endlich das Interesse an der Er-
haltung der vom Verfall bedrohten Schlösser und Klö-
ster erwacht ist. Vieles wurde auf diesem Gebiet schon
geleistet. Leider stehen aber dem Bundesdenkmalamt
viel zu geringe Mittel zur Verfügung. Sonntagsbeilagen
verschiedener Zeitungen lenken beinahe wöchentlich
die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ein neues Ob-
jekt, das dem vollständigen Verfall preisgegeben ist. Was
immer aber in Seibersdorf geschehen mag, die Freunde
österreichischer Architektur und die Behörden, die für
die Erhaltung und Rettung dieser Werte verantwortlich
sind, können es nur begrüßen, wenn solch ein Juwel
für die Nachwelt nicht als Ruine, sondern als brauch-
bares, bewohntes und betreutes Kulturgut erhalten wird.