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Volltext: Alte und Moderne Kunst VI (1961 / Heft 45)

 
liresken und ihrer reizvollen Idylle 
in der hyzantinisch-römischen 
Kunst, aber da ist sie noch streng 
und stilisiert, kennt ein nur schablo- 
nenhaftes Gefüge: absonderliche Ge- 
steinsbildungen schieben sich in 
schematischer Gliederung überein- 
ander und in verzerrter Perspektive 
zeigt man sie in ihrer Aufsicht. 
„Wenn Du Gebirge in einer guten 
Weise entwerfen willst", lesen wir 
im Trecento bei Cennini, „welche 
natürlich scheinen, so nimm große 
Steine, rauh und unpoliert, und 
zeichne sie nach der Natur, indem 
Du ihnen Licht und Schatten ver- 
leihst, je nachdem es Dir die Ein- 
sicht erlaubt." Die Landschaften sind 
kahl, ihre Höhen unbewachsen. 
Pflanzen und Bäume erfahren eine 
ornamentale Eingliederung. Wenn 
uns diese starke Vereinfachung 
heute wieder in gewisser Weise 
reizvoll erscheint, so ist dies auf 
3 
l Landschaft am Genfer See. Ausschnitt 
aus „Der wunderbare Fischzug" von 
Konrad Witz aus dem jahr 1444. Genf, 
Musee d'Art et d'Histoire. 
2 Der Mondsee mit dem Schafbcrg. 
Federzeichnung von Wolf Huber aus 
dem Jahr 1510. Nürnberg, Germanisches 
XNationalmuseum. 
3 Die Alpenlandsebaft mit den Weiden- 
bäumen (Donaulandschaft). Federzeich- 
nung von Albrecht Altdorfer um 1511. 
Wien, Akademie der bildenden Künste. 
Im selben jahr entstand auch die Zeich- 
nung „Die Donau bei Sarmingstein" (im 
Strudengau). In beiden Fällen vermutete 
man eine Zeichnung nach der Natur. 
bestimmte Formen und Neuentdek- 
kungen zeitgenössischer Malerei 
zurückzuführen, welche das Klare 
und Einfache hin und wieder zum 
Prinzip erhob. Viel später bewirkt 
auch der Aufschwung des Natur- 
gefühls bei Dante und Petrarca 
kaum eine Lösung der immer hand- 
werksmäßiger, routinierter und ge- 
dankenloser wiedergegebenen Land- 
schaften. Die strenge Überlieferung 
eines Schemas hemmt auf der einen 
Seite die Entfaltung des Naturstu- 
diums, auf der anderen Seite fördert 
sie eine Konzentration auf die 
Form. Naturalisten und Stimmungs- 
maler treten erst in der tcskani- 
sehen Landschaftsmalerei des Quat- 
trocento auf. Zusammen mit der 
umbrischen bietet sie das einzige 
Beispiel für den Übergang von der 
mittelalterlich typisierenden zu 
einer individuellen Auffassung und 
freieren Entfaltung. 
Im deutschen Raum wird es erst 
viel später, nach einer entscheiden- 
den Veränderung des Zeitbegriffs 
möglich, die Landschaft überhaupt 
zu sehen, ihr Vorhandensein zu re- 
gistrieren. Die unveränderlich- 
ruhende, überirdisehe Zeit, die 
einen schematischen, stets gleich- 
bleibenden Bildentwurf und -cha- 
rakter ermöglichte, weicht dem Er- 
fassen irdischer Raum- und Zeit- 
kategorien, des Nah und Fern, des 
Vorn und Hinten auf der Erde, 
nachdem man vorher nur ein Oben 
und Unten kannte. Man lernt das 
Übereinander in der Fläche als Hin- 
tereinandcr im Raum kennen, be- 
achtet Größenverhältnisse. Weil die 
Erde in einen irdisch-zeitliehen Ab- 
lauf gestellt wird, kann die Land- 
schaftsmalerei aufkommen. Ihre 
Entdeckung und die damit verhun- 
dene einschneidende Veränderung 
im Denken und Empfinden des mit- 

	        
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