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Volltext: Alte und Moderne Kunst VI (1961 / Heft 45)

 
telalterlichen Menschen kommt 
nicht von ungefähr, vielmehr wen- 
det sich seine ganze Geisteshaltung 
einer viel veräußerlichteren, mate- 
rielleren Grundtendenz zu. Der S0- 
ziologe datiert die Anfänge des Ka- 
pitalismus ins 14. und 15. jahrhun- 
dert, das Zeitalter neuer Wirt- 
schafts- und Produktionsformen. 
Die Kunst löst sich vom symboli- 
schen Sinn, wird erdbezogencr, wie 
auch die bürgerliche Dichtung, in 
der sich ein derber, höchst diessei- 
tig orientierter Naturalismus breit- 
macht. Einzelheiten des Lebens 
werden gesehen und gemalt. Schließ- 
lich wird es möglich, das Räumliche, 
Atmosphärische darzustellen; das 
Sittenbild entsteht, wie in den für 
die Herzöge von Burgund und den 
Herzog von Berry angefertigten 
Stundenbüchern, die in gewisser 
Hinsicht den Ursprung bürgerlicher 
Malerei vom Porträt bis zur Land- 
schaft bilden. 
Die Bilder werden nun auf einen 
Rahmen angewiesen, der den fest 
umgrcnzten Ausschnitt einesErden- 
teils umfaßt. Das Abbild wird zum 
Vorbild, wobei es sich zunächst 
noch um naturübergeordnete Kom- 
positionen handelt; damit beweist 
sich auch, daß der Mensch die Na- 
tur zu sehen beginnt, wie sie ihm 
der Maler zeigt. 
Freilich wurde die Welt der Dinge 
und Taten vor der Entdeckung des 
irdischen Bereichs nicht einfach 
ignoriert, aber sie wird wie durch 
ein Fenster gesehen. Nur langsam 
hebt sich der Goldgrund, der die re- 
ligiösen Darstellungen in eine über- 
irdische Sphäre gerückt hat, wird die 
Landschaft in das Altar- und An- 
dachtsbild hineingenommen, dem 
frommen Werk aber stets unterge- 
ordnet. Sie ist schmückendes Bei- 
werk,und die ausgesprochene Land- 
schaft entsteht erst mit dem Her- 
vortreten des Mcnschen aus seiner 
Anonymität. Die Brüder van Eyek 
setzen einen Beginn, indem sie die 
gesamte sichtbare Welt in ihre Bil- 
der einbeziehen, und um die Mitte 
des 15. Jahrhunderts, drei Jahre 
nach Jan van Eycks Tod (1441) ent- 
steht die erste bestimmbare. vor- 
handene Landschaft im „Wunder- 
baren Fischzug" des Genfer Altars 
von Konrad Witz. Über Pieter Brue- 
ghel d.Ä., Rembrandt und Rubens, 
gelangt sie zu immer größerer 
Breite, wird sie eine der entscheiden- 
den Selbstverständlichkeiten abend- 
ländischer Malerei; Philipp Otto 
Rungc sah 400 Jahre später in 
der Landschaft die letzte Möglich- 
keit des Europäers. 
Noch bildet die Landschaft aber 
Staffage, Hintergrund, Beiwerk. Als 
erster stieß Albrecht Altdorfer die 
letzten frommen Vorwände zurück, 
um zum ersten selbständigen Land- 
schaftsbild Europas zu gelangen. Bis 
4 
dahin war das menschliche Ge- 
schehen vom Landschnltshintcr- 
grund noch völlig getrennt; selbst 
Dürer gelang der letzte, entschei- 
dende Schritt noch nicht, ihm ver- 
danken wir jedoch jene Reihe von 
Aquarellen, die von einer vorläufi- 
gen Selbständigkeit zur Begleitland- 
schalt zurückgeführt wurden, die 
spätere Landschaltskunst also in ge- 
 
4 Die Drahtziehmühle. Silberstiltzeich- 
nung von Albrecht Dürer um 1517718. 
Bayonnc, Musec Bonnat. 
5 Ein Landschafzszeichncr am Zimmer- 
Iensler. Holzschnitt aus dem Jahr 1531 
von Hieronymus Rodler.
	        
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