bloßen Zwecke wieder führt, da es gleichermaßen „Aufbau" und „Zerstörung"
vorwärts treibt, mit ziemlicher Sicherheit zum Untergang. Also bleiben logisch nur
das Gewahrwerden und der aus ihm erwachsende tiefere Gehorsam vor dem gei-
stigcn Ordnungsgeheimnis in der Materie als Schöpfung übrig.
Auf dieser dritten Ebene kann unmöglich mehr die Form die erste Rolle spielen,
wie Schweicher, und nicht nur er, sie gegen die „Informels" verlangt. Es rückt
vielmehr das „Material", dessen Inflation Schweicher verurteilt, in den Vorder-
grund, obgleich das Wort Material noch typisch aus dem Wortschatz der Zweck-
verwertcr stammt. Daß sich infolgedessen auch die Rolle der Persönlichkeit, und
zwar nach dem „Anonymen" hin, verändert, kann nur auf der Basis des heute
vorherrschenden Geltungsdranges mißverstanden werden.
In Wahrheit wird das übrigens weitgehend gelöste Problem der Form durch das
der Materie als der lebendigen, schöpfungseigcnen Stoffe und Kräfte mit eigenen
Strukturen, eigenen Verhaltensweisen und tausendfachen Gestaltangeboten abge-
löst. Den letzteren hat der Bildnervon sich aus eine persönliche Antwort zu erteilen.
Das aber beweist schon, daß der zuvor angesprochene Gehorsam ein wirkliches
Hinhorchen auf die innere Schöpfungsnatur und darum auf die Gestaltbestimmung
der Materie fordert. Aber es beweist auch die Notwendigkeit einer persönlichen
Entscheidung, weil ja nur sie das Lebendige zu erhorchen fähig ist. Diese Ent-
scheitlung freilich ist nicht mehr als eine subjektiv-willkürliche gegen die „Strö-
mung" und Struktur des Lebens in der Materie, sondern als eine persönliche Be-
gegnung mit dem Objektiven und damit überhaupt erst als eine antwortende Ent-
scheidung zu verstehen. Von ihrem Format hängt es ab, 0b die Antwort zum Kunst-
werk wird, doch solcher Reife geht erst einmal das Experiment voraus. Die Reife
aber heißt, um es noch einmal klar zu sagen, nicht mehr Form, sondern Gestalt,
weil nur in ihr das wirkende Wesen sowohl in der Materie als auch in der ant-
wortenden bildnerischen Persönlichkeit zum freicn Bild und Vorgang ihrer beson-
deren Beziehungen finden und gedeihen kann.
Damit wäre so einigermaßen die objektive Situation in einem Lebens- und Kunst-
bercich gegeben, in dem noch alles vor uns liegt, auch wenn das Versagen der
Niehts-als-Informellen mit ihrer bloßen Motorik nicht gut geleugnet werden kann.
Doch sind wir damit zugleich auch die ganze Zeit mit Günther Kraus und, nebenbei.
auch mit seinen Freunden Ludwig Merwart und Theo Braun beschäftigt, obgleich
von ihnen bisher noch mit keinem einzigen direkten Wort die Rede war. Aber bei
den Dreien, wie übrigens auch bei den Deutschen Emil Schumacher und Konrad
Westpfahl, geht es nun einmal unausweichlich um das Verhältnis Materie- Gestalt.
Wols und Pollock hatten damit begonnen. Childs, Francis und noch viele andere
Künstler in Japan, Frankreich, Italien und jugoslawien liegen auf derselben Linie.
Hier aber kann jetzt nur noch von Günther Kraus die Rede sein.
Seine malerische „Materie" sind vor allem die Nitrolacke und die Kunstharze, die
er der Ölfarbe schon deshalb vorzieht, weil er scharfe Konturen, präzise Grenzen
im Nebeneinander der Farbwerte, klare „Figurationcn" und sozusagen perlenfeste
Spritz- und Tropfungsniederschläge braucht. Auch seine Wandgestaltungen in
Beton-Glas, Stein- und Keramik-Mosaik oder auch als Photomontagen beweisen,
wie sehr es ihm darum geht, nicht etwa feste Bild- und Formkompositionen hervor-
zubringen, sondern Gestaltvorgängc und damit eben bildnerischcs Bewegungs-
erlebnis auszulösen, wie man das in mehreren Filialen der Ersten Österreichischen
Sparkassen verfolgen kann. Stets wollen die Angebote der Stoffe selber, die in
ihnen schlummernden, besonderen, weil nur durch die persönliche Antwort von
Kraus wachgerufenen Gestaltanträge - ein anderer Bildner spräche andere Gestalt-
anträgc an - ihre Bildwirklichkeit gewinnen.
Kraus - Jahrgang 1927 - ist noch jung, und noch jünger ist der Weg, auf dem
er geht. Kein Wunder also, wenn das Wollen und Experimentieren manchmal noch
dem Gestalten, das immer, ungeachtet der persönlichen Entscheidung, eben ein
Geborchen im hier gemeinten Wortsinn ist, die Bahn verlegt und das Geschehen-
können streitig macht. Manche der durch „Abdruck" oder „Abklatsch" entstan-
denen Bilder mit Seitenverkehrung und anderer Schichtung oder auch einzelne
Figurationen als Produkte etwas zu „antwortloser" Gieß- und 'l'ropfverfahren schei-
nen als Belege auf.
Im allgemeinen aber wird deutlich spürbar, daß der Rhythmus in Kraus' Schaffen
dem bloßen Wollen entzogen ist und schon etwas „Organisches", also dem Gestalten
Verwandtes an sich hat. Es wechseln da Perioden dichter Fülle mit solchen der
Reduktion auf gestraffte Zeichen ab. Gerade die Perioden der Fülle aber kommen,
wenn nicht alles täuscht, auch wirklich aus einer solchen, sind also nicht nun
Explosionen und Koketterien mit „Chaos" oder „Nichts". Das ist zumindest ein
erfreuliches Versprechen, und es ist - weit über Kraus hinaus - zu hoffen, daß
es den Advokaten der „Form" mit ihren so gern gehörten Kassandrarufen gegen
das Chaos und das Nichts nicht wiederum gelingt, mit blinden Alarmen die Fülle
suspekt zu machen und so der „Gestalt" den Atem abzudrehen.
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