MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst VI (1961 / Heft 45)

 
neuer Freund, der ihn endgültig von der literarischen 
Malerei wegführt. 
„Pissarro hat einen ungeheuren Einjluß auf mich gehabt, 
da: war ein Mann, der einem zu raten verstand, so etwa: 
wie der liebe Colt." 
Nach dieser vehementen Frühperiode, betritt Cezanne 
den Weg, dessen Ziel für ihn jene Aufgabe ist, die eigent- 
lich das Streben seiner ganzen Epoche kennzeichnet: Das 
Suchen nach dem Elementaren, das Veranschaulichen 
jener Kräfte, die hinter dem Sichtbaren wirksam sind. 
Der Betrachter Cezannscher Landschaften kann - be- 
sonders im Vergleich mit entsprechenden Photos - sehr 
bald feststellen, daß der Künstler nie ganz von den topo- 
graphischen Gegebenheiten abweicht, nie, selbst in seinen 
späten, nur mehr andeutenden Aquarellen, ganz den 
Boden der Wirklichkeit verläßt. Woran aber liegt es, daß 
eine gewisse Distanziertheit, eine fast völlig unpersön- 
liche Kühle bei aller Farbkraft und sonnenleuchtenden 
Wiedergabe der Natur den Laien beunruhigend und zu- 
gleich faszinierend gefangenhält? 
Die Grundformen des Waldbodens, der Landschaft, der 
Gebirge scheinen geradezu bis auf ihre geologische Ur- 
struktur reduziert. Die licht- und schattenwechselnde Le- 
bendigkeit des flimmcrnden Sonncnlichts auf Blättern, 
Bäumen, Häusern und dem Meer ist in die glasige Helle 
einer völlig luft- und windlosen Atmosphäre getaucht. 
Alle Vielfalt des Lebens, alles Blühen und Vergehen in 
der Natur ist auf eine in Farbkontrasten aufgebaute 
strukturelle Form gebracht, Zugleich verändert Cezanne 
die Spannungen von Nähe und Ferne, d. h., er hebt sie 
gleichsam auf, denn was bei der Betrachtung der Natur 
gewohnheitsgemäß ein Gehen in die Tiefe ist, wird bei 
Cezanne Ausfüllung der Bildfläche, bedingt durch ein 
Nachvornerücken des Hintergrundes. Damit wird ein 
seltsamer Schwcbezustand zwischen Tiefe und Fläche er- 
reicht, welcher dem Bild von vornherein etwas unwirk- 
lich Rätselhaftes gibt. In seinen Bildern herrscht durch 
das Fehlen ausgeprägter Schlagschatten und Lichteffekte 
ein ständig gleichbleibendes und keiner atmosphärischen 
Veränderung oder persönlichen Empfindung unterwor- 
fenes „stimmungsl0ses" Licht. Die verschiedenen Erschei- 
nungsformen der Materie werden einander angeglichen, 
die Unterschiede übergangen, auf alle belebende Staffage 
verzichtet. 
Cezanne, der Seite an Seite mit dem Impressionismus 
lebt, vermeidet streng jeden Momenteindruck, jede vir- 
4 
tuos-lttmosphiirisehe Stimmung, jede Licht- und Schatten- 
wirkung, also die wesentlichstrn Errungenschaften dieser 
ganz dem Optischen zugekehrten Richtung. lhm geht 
es um eine von der Vergiine chkeit unzihhlingigt-„NYfahr- 
heil", um eine vom Per onliehen gänzlich ahgerüekte 
absolute Darstellung der Natur. lis geht ihm darum. 
„ . . . ihre Eziviglecil erst sichtbar zu nzarbezz". 
Alle diese Vereinfachungen in der Landschaft setzt er in 
eine feinst differenzierte Farhwelt, in der für ihn eigene 
logische Gesetze herrschen, durch welche die subtilsten 
ilionwerte einer strengen Harmonie unterworfen werden 
und eine fast kristallklare Ausgewogenheit ergehen. je- 
des Bild, das Cezanne malt, ist ein wirklicher Schöpfungs- 
ukt. lir malt unendlich lang am und pedantisch genau; 
man weil}, dall er jedem Parhfleck auf der einen Seite 
die lintaprechung auf der anderen Seite entgegensetzt 
und damit ein (ileichgewicht und eine Ausgewogenheit 
im Optischen zu erreichen versticht, welche seinem mea 
diIcran-klaebischcn ldeal entgegengekommen. (,.ll"'irmüx- 
xvn im Kontakt mit rler Natur wieder lalayxisrfv uiurrlenfj 
Damit hängt es auch zusammen, daG die Bilder (Üezannes 
in jeder Entstehungsphitse schon abgeschlossen sind. 
Cezannes kühner Vorstoß in du (jebiet objektiven Gei- 
stes in einem jahrhundert, das unter dem Zeichen einer 
 

	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.