ERICH EGG
Die Ausstellung „EDELZlNN AUS DER SAMMLUNG
DR. KARL RUHMANN" im Tiroler Landesmuseum
lierdinandeum 1960 hat die Gelegenheit geboten, ein
Gebiet des Kunsthandwerks in den Vordergrund zu stel-
len, das in einer großen Ausstellung noch kaum zu
sehen war, obwohl das lnteresse des Publikums am alten
Zinn heute noch sehr groß ist. Dieser Mangel, daß Zinn
fast nie zu eigenen Ausstellungen vereinigt wurde, hat
einen zweiten Nachteil mit sich gebracht: es gibt kaum
eine zusammenfassende, regional gegliederte Literatur
über dieses Kunsthandwerk. Zinn ist überhaupt erst seit
1884 in die wissenschaftliche Literatur „eingedrungen".
Eingehend behandelt wurde nur das sächsische, schle-
sische, nürnbergische, böhmische, französische und salz-
burgische Edelzinn. Das österreichische Zinn, im Sinne
der heutigen Grenzen, wurde nie gewürdigt.
Die Zinnsammlung Dr. Karl Ruhmann ist nach dem
Verkauf und der Zerstörung der berühmten Zinnsamm-
lungen in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die be-
deutendste private Zinnsammlung überhaupt. Sie be-
schränkt sich keineswegs auf Österreich, sondern umfaßt
Werke aus allen Epochen und allen „Zinnländern" Eu-
ropas. Sie ist streng auf das Edelzinn, das heißt auf
Werke ausgerichtet, die eine in diesem Material höchst-
mögliche künstlerische Gestaltung aufweisen. Auf alle
nur volkskundlich oder kulturgeschichtlich interessanten
Stücke wurde verzichtet. Unter diesen künstlerisch ge-
stalteten Objekten sind wahre Zimelien europäischer
Zinnkunst. Der Katalog dieser Ausstellung führt in 109
Abbildungen einen Großteil der 187 Ausstellungsobjekte
vor.
Hier soll in zwei kurzen Beiträgen nur das aus Oster-
reich stammende Edelzinn i.n dieser Sammlung be-
sprochen werden. Der derzeitige Stand der wissenschaft-
lichen Forschung bietet noch keine Möglichkeit, eine
Geschichte des österreichischen Zinns zu schreiben, weil
die Bestände der österreichischen Museen und im Privat-
besitz nicht erfaßt sind. Außerdem hat die föderalisti-
sehe Verfassung der einstigen Erb- und heutigen Bundes-
länder, die mehr oder weniger nur in der Person der
habsburgischen Herrscher das Gemeinsame betonten,
keine rein „österreichische Kunst" aufkommen, sondern
in den einzelnen Ländern eigene Stilformen entstehen
lassen. Allerdings macht gerade diese Vielfalt den Reiz
der Kunst in Österreich aus.
Wenn man die alten Länderkomplexe - Niederöster-
reich (Ober- und Niederösterreich), lnnerösterreich
(Kärnten, Steiermark) und Tirol mit dem allerdings erst
1815 dem österreichischen Gebiet eingegliederten Salz-
burg - betrachtet, so ergibt sich bei aller Vielfalt
doch auch wieder manches Gemeinsame. Die Sammlung
Ruhmann ist wahrscheinlich die erste, die Österreich ihr
besonderes Augenmerk zuwendet, aber trotzdem ist es
nicht leicht, aus dem vorhandenen Material Gültiges über
das österreichische Zinn auszusagen.
O b e rö s t e r r e i e h hatte bedeutende Zinngießerstiidte,
denn an die Stadt war das Handwerk der Zinngießcr un-
bedingt gebunden, war doch das Zinn das „Silber des
Bürgers". Wels, LinZ, Steyr und Ried waren die Vororte
für das Edelzinn. Ein typisches Werk des 16. Jahrhun-
derts ist der Zunithumpen der Schneider von Abraham
Bück in Steyr von 1575 (Abb. 1), eben eines jener großen
Umtrunkgefäße, mit denen sich die Handwerksgenossen
Bescheid taten. Bezeichnend für den llumpen sind die
drei Füße (hier als Löwen gebildet) und die hohe koni-
sche Form, deren Wandung reich mit gravierten Blatt-
ranken besetzt ist und in der Mitte ein Festmahl mit
Tafelmusik und Narrenspiissen zeigt. Die Frage nach
dem Graveur ist hier wie überall schwer zu beantworten,
im allgemeinen wird man aber wohl doch dem Zinn-
gießer auch die Dekoration zuerkennen müssen.
Das 17. Jahrhundert vertritt Hieronymus Ledermayr in
Wels (um 1630), einer der bedeutendsten österreichischen
Zinngießer überhaupt. Von ihm stammt das „Krügel"
(Deckelkrug), eine für Ober- und Niederösterreich typi-
sche Form des Trinkgefäßes, wie ja der Begriff „Krügel"
eine echt österreichische Sache ist (Abb. 2). Ledermayr
versteht es, die Dekoration mit Blüten und Ranken
großflächig und damit beinahe klassisch zu gestalten.
Der Teller mit seiner Marke ist ein Unikum (Abb. 3). Er
zeigt am Rand auf gerauhtem Grund herausgeschnittene
antikische Ornamente (Maskenköpfe und Akanthus). So-
wohl die im Zinn ganz seltene Technik des Flachschnit-
tes als auch die Ornamentik lassen einen Italienaulent-
halt Lcdermayrs als ziemlich sicher gelten.
Kennzeichnend für das 18. Jahrhundert steht die Kaffee-
kanne des Linzcr Meisters Andreas Bück (um 1730;
Abb. 4). Die birnförmige Gestalt, der Bandelwerkdekor
und die kulturgeschichtliche Neuheit des Kalfeegetränks
bezeugen den Wandel von Geschmack und Stilgelühl.
Für Niederösterreich war im Edelzinn natürlich
Wien bestimmend, obwohl diese Stadt keineswegs etwa
die Stellung Augsburgs oder Nürnbergs erreichen konnte.
Ein niederes Deckelkrügel von Hans Hainzmann aus der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Abb. 5) gliedert sich
in die österreichische Gesamtentwicklung gut ein, ein
Waschbecken aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
(Abb. 6) ist stark von der Plastik der damaligen Zeit
beeinflußt. Auf dem Muschelrand sitzt ein von zwei
Delphinen gestützter, geflügelter Putto, für den bestimmt
nicht der Zinngießer, sondern ein Bildhauer das Modell
geformt hat. Die Blütezeit der österreichischen Barock-
kunst findet auch im Edelzinn einen Widerhall, wenn
damit auch der eigentliche Charakter dieses Kunsthand-
werks nicht zum Ausdruck kommt. Der höfische Ein-
fluß erfaßte alle Zweige künstlerischer Betätigung.
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