Stutzuhr, die sowohl der künstleri-
schen Ausführung als auch dem raf-
finierten Werksaufbau nach zu den
Höchstleistungen der Wiener Uhr-
macherci gehört. Es ist ein Skelett-
werk' mit 8 Tage-Gangdauer, mit
Viertelstundcnschlag und kleinen
Hilfszifferbliittern in den Zeigern
für Datum, Wochentag, Monat und
Mondphasen, sämtliche mit Schwer-
kraftantrieb ohne Getriebe zum
Uhrwerk. Beim Schwerkraftantrieb
ist hinter dem Zifferblatt eine Masse
mit Schwerpunkt unter dem Dreh-
punkt vorgesehen die dauernd nach
abwärts weist; besonders raffiniert
ist dabei der Antrieb der Mond-Ku-
gel, die sich um die Zeigcrachse
dreht, daher in der Mondkugel einen
kleinen l-lilfsrahmen und eine Win-
kelübersetzung erfordert.
Abb. 3 zeigt eine weitere interes-
sante Stutzuhr, die ebenfalls für die
Bestrebungen der Wiener Uhrma-
cher der Kongrcß-Zeit sehr kenn-
zeichnend ist. Es ist eine Portal-Uhr
mit sehr weitgehend getriebener
Skelettierung, mit 8 "Tage-Gang-
dauer durch Gewichts-Antrieb -
einem Raffinement, das besondere
uhrmacherischc Ansprüche stellt -
und das von Sammlern hoch ge-
schätzt wird. Im Pendel sind zur
Kompensation teilweise mit Queck-
silber gefüllte Glasröhren verwen-
det. Leider ist das Uhrwerk nicht
signiert. Zum Schutz gegen Staub
dient ein Glassturz, der aber hier
wie bei den anderen Uhren zum
Photographieren entfernt worden
war.
Abb. 4 zeigt eine andere Wiener
Stutzuhr mit der Signatur „j os e ph
Binder in Wien", einer Uhr,
die starke Anregung durch die kon-
temporären französischen Kamin-
uhren zeigt. Gleichzeitig führt sie
aber auch die hohe Stufe vor Augen,
die die Wiener Bronzearbcitcn in
dieser Zeit erreicht hatten; in den
Proportionen erkennt man bereits
eine starke Wiener Assimilierung.
' Als Formuhrcn bezeichnet man kleine,
als Anhänger oder in der Tasche zu
tragende Uhren, deren Gehäuse in den
verschiedensten Formen, die sich die
Phantasie des Gchäusemaehers nur aus-
denken konnte, hergestellt waren. Es
gab Früchte, verschiedene Geb chsge-
genständc, Musikinstrumente, käfer und
Schmetterlinge aus Silber, Gold oder
Halbedelsteinen, häufig mit feiner Email-
urbeit verbunden. Ein Hauptzentrum für
die Herstellung solcher Uhren war Genf,
aber auch in Wien sind ziemlich viel
gute Formuhren hergestellt worden.
2 Als ZIlpPlCF bezeichnet man jene klei-
nen und mittleren Stutzuhren, bei denen
ein kurzes Pendel vor dem Zifferblatt
schwingt. Die mittelgroßen Zappler
scheinen im 18. Jahrhundert in Augs-
Bezüglich Joseph Binder be-
richtet Dr. Hüfer; joseph Binder
lernte bei Caspar Brandl in Wien,
wurde 1802 freigesprochen, er-
hielt dann Schutzbefugnis, wurde
1817 Bürger und Meister und 1826
llofuhrmacher; 1' 1833. Von ihm
sind zahlreiche Uhren erhalten;
im ehemaligen Hofmobiliendepot
waren drei; auf der Gewerbeaus-
stellungvon1835 waren zwei astro-
nomische Uhren ausgestellt.
Abb. 5 zeigt einen Vertreter der sel-
tenen Nachtuhren. Diese Nachtuhr
ist als Lichtschirm ausgebildet, der
aus Milchglas hergestellt ist. Hinter
dem Schirm trägt ein Arm ein
Nachtlicht, wie es vor der Einfüh-
rung des elektrischen Lichts allge-
mein üblich war: ein Schälchen -
zu 3A mit Wasser gefüllt - und
darauf eine Schicht Rüböl, worauf
ein kleiner Schwimmer mit einem
Docht lag. Die Zeiger heben sich
vor dem schwach beleuchteten Zif-
ferblatt stark ab.
Abb. 6 zeigt als einen Vertreter
einer anderen Untergruppe der
Stutzuhren eine für das Biedermeier-
typische, romantische Kombination,
die man später wegweriend als Nip-
pes bezeichnete. Es ist eine kleine,
als Taubenkobel ausgebildete Uhr,
die in einer Umgebung von Blumen
und einem Baum auf einem Bronze-
Soekel aufgestellt ist.
Abb. 7 zeigt - in dieselbe Gruppe
gehörig - eine idyllische Schieß-
stand-Uhr, die gleichzeitig als Tin-
tenfaß fungiert, wobei der Deckel
des einen Behälters einen Teich
vorstellt, auf dem ein Schwan
schwimmt. Die Bronzen und die
ganze Ausführung sind von hervor-
ragender Qualität. Es handelt sich
um ausgesprochene Luxus-Erzeug-
nisse für die sich im Wien der Met-
ternichzeit treffenden Persönlich-
keiten Europas. Alle diese Nippes-
uhren ebenso wie die ihnen ver-
wandten Zappler sind fast nie sig-
niert, so daß wir über ihre Herstel-
ler nichts wissen.
burg aufgekommen zu sein; in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren
die ganz kleinen Zappler eine Wiener
Spezialität.
3 Ludwig Hevesi: „Eine Ausstellung aller
Fächer und Uhren in Wien" in „Kunst
und Kunsthandwerk" (jahrgang VI,
1903, Heft s).
' Als Skeleltwerk bezeichnet man alle
Anordnungen, die einen Einblick in das
Werk von vorne erlauben. Hiezu sind im
Zifferblatt selber eine oder mehrere
Ausnehmungen notwendig, die einen
Einblick zu den Wechselrädern und der
Kadraktur ergeben; bei den raffinierte-
sten Skelettuhren sind auch die Platinen
(Lagcrträgerplatlen des Werkes) durch-
brochen.